Ein Jahr Schwarz-Grün in Hessen:Bouffier macht den Stilwechsel wahr

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Volker Bouffier auf dem Weg zu einer CDU-Präsidiumssitzung im August 2014 in Berlin. (Foto: Jörg Carstensen/dpa)

Schwarz-Grün arbeitet gut in Hessen, ohne großes Gewese. Die CDU unter Ministerpräsident Volker Bouffier zeigt, dass sie sich auch benehmen kann. Und die Grünen sind begeistert von sich selbst. Doch irgendwann werden die Bürger womöglich genug von der Harmonie haben.

Kommentar von Susanne Höll

Es war ein erstaunlicher parteipolitischer Tabubruch, der sich da vor ziemlich genau einem Jahr in Wiesbaden ereignete. Die Hessen-CDU, eine tiefschwarze und wenig zimperliche Kampftruppe, geformt von dem Deutschnationalen Alfred Dregger, später geführt von Roland Koch, bot den Grünen am 22. November 2013 an, über die erste Koalition in einem deutschen Flächenland zu verhandeln.

Ach, was wurde damals nicht alles geredet, gehofft, prophezeit und schwarzgemalt. Interessantes Experiment lautete die eine Prognose; kann niemals gutgehen die andere. Alternativ-Puristen wehklagten, die Grünen würde ihre Seele verkaufen. Christdemokraten der Dregger-Schule fröstelten bei dem Gedanken, mit Ökopaxen gemeinsame Sache machen zu müssen. Und was ist geschehen? Im Wiesbadener Landtag herrscht politische Langeweile, allerdings der ernsthaften Art. Es wird gut gearbeitet, ohne großes Gewese.

Der Stilwechsel wird wahr, den Ministerpräsident Volker Bouffier versprochen hatte und an den dies- und jenseits der Landesgrenzen kaum ein Mensch zu glauben wagte. Die hessischen Konservativen, die unter wechselnder Führung genüsslich der politischen Aufwiegelei frönten, die rote und besonders grüne Konkurrenz schmähten und diffamierten - sie zeigen nun, dass sie sich auch anständig benehmen können.

Die Grünen: begeistert von sich und dem Regierungspragmatismus

Bouffier hat mit der unseligen alten Praxis gebrochen, aus Vernunft und Kalkül, aber auch aus persönlicher Disposition. Die Hessen hatten genug von der jahrzehntelangen Keiferei; die neue Art der schwarz-grünen Koalition gefällt den Leuten. Bouffier hatte auch die Nase voll: Der Mann aus Gießen war niemals jener beinharte schwarze Sheriff, den sich Koch und dessen Leute gern gewünscht hätten; sondern ein ziemlich friedfertiger, sprachlich ausschweifender Mittelhesse, mit Sehnsucht nach möglichst effizienter politischer Eintracht.

Ihm hat die Koalition nicht geschadet, auch den Grünen nicht, bislang jedenfalls. Die Grünen sind von sich selbst und ihrem Regierungspragmatismus ziemlich begeistert. Vize-Ministerpräsident Tarek Al-Wazir eröffnet nun Autobahnteilstrecken in Osthessen und macht sich stark für den internationalen Finanzplatz Frankfurt. Er höchstpersönlich etablierte die Stadt als ersten europäischen Standort für Transaktionen in der chinesischen Währung Renminbi. In manchen Momenten wundert sich Al-Wazir selbst über seine Wandlung. Rufe nach der Wahrung von Menschenrechten im Reich der Mitte blieben aus.

Die Basis der Partei nimmt den mit allerlei eigentümlichen rhetorischen Biegungen verbundenen Wechsel von den Oppositionsreihen in die Regierung gelassen-klaglos hin. Die Gegner des Ausbaus am Frankfurter Airport werden sich wohl nie wieder mit den Grünen versöhnen.

Alles gut also mit der neuen Heimeligkeit? Wohl kaum. Irgendwann werden die Parteimitglieder und die Bürger womöglich genug haben von der lautlosen Harmonie im Lande. Denn der Wähler kann ein wahrer Schlingel sein. Erst regt er sich auf, dass sich die Politiker fortwährend streiten und verlangt, dass sie gefälligst in Ruhe das Wohl des Landes mehren. Wird der Wunsch erfüllt, ist er es auch nicht zufrieden, hadert mit den tatsächlich oder vermeintlich grauen Gestalten in der Regierung, die es nicht mehr krachen lassen, nimmt übel und geht dann aus Langeweile entweder nicht mehr zur Wahl oder Populisten auf den Leim.

In Hessen sind die Populisten - sprich die Alternative für Deutschland - noch keine sonderliche Gefahr für die Regierung. Die AfD dort zerlegt sich gerade selbst. Auch SPD und FDP können das politische Geschäft derzeit nicht beleben. Sie machen einen sauertöpfischen Eindruck und wirken wie gelähmt. Die Sozialdemokraten mit Oppositionschef Thorsten Schäfer-Gümbel an der Spitze haben ihre Wahlniederlage noch immer nicht verwunden und verströmen Griesgram. Und die FDP treibt der Schmerz des Machtverlusts, gepaart mit dem Überlebenskampf, in den Wahnwitz. Ihr Fraktionschef Florian Rentsch warf der CDU allen Ernstes vor, mit den Grünen einen Pakt mit dem Teufel eingegangen zu sein.

So wie es ausschaut, obliegt es Schwarzen und Grünen selbst, für mehr Farbe in Hessen zu sorgen. Sie müssen sich früher oder später politische Kontroversen leisten - am besten solche des gehobenen Niveaus. Sollte ihnen das gelingen, wäre der polithistorische Stilwechsel in Hessen tatsächlich vollbracht. Und zugleich wäre dann eine große Hürde für eine alternativ-konservative Regierung im Bund aus dem Weg geräumt. Den Bundes-Grünen fehlte vor Jahresfrist schlichtweg der Mut zu einem Traditionsbruch. Sie können womöglich von Hessen lernen.

© SZ vom 19.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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