Ein Jahr Schwarz-Gelb:Niederlagen und Niedertracht

Vor einem Jahr schlossen Union und FDP ihre "Wunschkoalition". Merkel und Westerwelle weckten damals den Eindruck, für einen Aufbruch zu stehen - eine Illusion. Die "Wunschkoalition" ist längst zu einem Witz verkommen.

Nico Fried, Berlin

Wenn überhaupt so etwas existiert wie ein schwarz-gelbes Lebensgefühl, dann gibt es nur ein Wort dafür, woraus es eigentlich besteht. Dieses Wort heißt Unverständnis.

Man versteht nicht, warum ein Land nach einer schweren Wirtschaftskrise einen ungeahnt rasanten Aufschwung erlebt, die Regierung davon aber nicht profitiert. Man versteht allerdings auch nicht, warum eine Koalition fortwährend alles tut, um an diesem katastrophalen Zustand ihrer selbst nichts zu ändern. Und vor allem versteht man nicht wirklich, wie es überhaupt so weit kommen konnte. Natürlich, letzteres kann man vielleicht noch erklären. Verstehen kann man es nicht.

Selbst das Jubiläum ist ja symptomatisch. Nur diese Koalition ist in der Lage, die Tage vor ihrem ersten Geburtstag mit einem Streit zu verbringen, der alle Vorurteile über den internen Vertrauensverlust nicht bestätigt, sondern übertrifft. Tagelang hadert der Außenminister mit der Europapolitik der Kanzlerin. Das kann vorkommen. Guido Westerwelle aber trug den Konflikt mit Angela Merkel öffentlich aus, blamierte ihren Regierungssprecher und brüskierte damit die Kanzlerin. Das sagt viel aus über das Klima in einer Regierung, in einer Koalition und zwischen den wichtigsten Partnern. Das Lebensgefühl der Koalition als Ganzes ist die Sorge jedes einzelnen Partners ums politische Überleben.

Nichts macht den Abrieb deutlicher als das Wort von der "Wunschkoalition". Bis zur Bundestagswahl war dieser Begriff nur eine Behauptung, mit nichts unterfüttert als einigen Bekenntnissen, wobei Westerwelles Bekenntnis immer stärker war als die eher pragmatischen Einlassungen von Angela Merkel zu diesem Thema. Seit der Regierungsbildung aber hat der Begriff Spott und Häme aufgesogen. Mittlerweile wird das Wort von der Wunschkoalition im öffentlichen Diskurs nur noch als Ironisierung ernst genommen. Seine Bedeutung hat sich damit ins Gegenteil verkehrt. Die Wunschkoalition ist ein Witz geworden.

Das Ergebnis der Bundestagswahl 2009 war für Union und FDP Segen und Fluch zugleich. Angela Merkel hatte mit der schwarz-gelben Mehrheit geschafft, was ihre Partei von ihr gefordert hatte, die Befreiung aus der großen Koalition. Die Ergebnisse in reinen Zahlen aber machten den kleineren Koalitionspartner FDP zum großen Sieger. Guido Westerwelle hatte nach vielen Jahren mehr erreicht, als selbst manche der eigenen Leute ihm wohl jemals zugetraut hätten. Zum liberalen Überschwang im Anspruch, der in Westerwelles Wort von der geistig-politischen Wende seinen Ausdruck fand, kam der Überschwang in der Euphorie des Sieges. Das war in der Summe deutlich zu viel. Es konnte schon nicht passen zum mageren Ergebnis der CDU. Aber er war eine regelrechte Provokation für den großen Verlierer unter den Siegern, die CSU. Deshalb eierte das dritte Rad am Wagen schon, bevor der Wagen überhaupt richtig Fahrt aufgenommen hatte.

Nur eine Illusion

Eine weitere Hypothek dieser Koalition war die Erwartung, die sie selbst geschürt hatte. Der FDP bescherte die Hoffnung ihrer Wähler erst den enormen Aufstieg und dann den tiefen Fall. Die Koalition insgesamt leidet aber bis heute daran, dass sie vorgab, für eine neue Politik zu stehen, für einen Aufbruch, für irgendetwas anderes als das vorige. Die Illusion war wirkmächtig. Aber es war eben nur eine Illusion. Und ihre Entdeckung wirkte besonders heftig, weil sich die Menschen von der großen Koalition vorher so schlecht nicht regiert fühlten.

Guido Westerwelle, Horst Seehofer, Angela Merkel

Das früher gern gebrauchte Wort von der "Wunschkoalition" gilt innerhalb der Regierungsparteien inzwischen als traurige Pointe: Guido Westerwelle, Angela Merkel und Horst Seehofer (von links).

(Foto: AP)

An niemandem war diese Desillusionierung deutlicher zu erkennen als an der Kanzlerin selbst: Anders als mit der SPD, so stellte es Merkel vorher immer wieder in Aussicht, könne man in der bürgerlichen Koalition mit der FDP schneller regieren, zielgerichteter, einiger. Die ersten Monate nach ihrer Wiederwahl regierte Merkel dann erstmal langsamer, chaotischer und im wachsenden Dissens.

Der Stolperstart ist eine Parallele zum Beginn der Regierung Gerhard Schröders elf Jahre zuvor. Doch die Probleme der schwarz-gelben Koalition erklären sich eher aus den Unterschieden zu Rot-Grün. Schon der Übergang 1998 war gelassener als der überdreht wirkende Regierungsantritt 2009. Nach 16 Jahren Helmut Kohl erschien ein Wechsel im Kanzleramt selbst den Verlierern nicht nur aus demokratietheoretischer Sicht vertretbar. Für eine neue Generation von CDU-Politikern, denen es nicht gelungen war, Kohl rechtzeitig zum Rückzug zu bewegen, bot dessen Abwahl die einzige Chance, ihn endlich loszuwerden. So hatten viele was davon. "Die Ära Kohl endet im Land des Lächelns", schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung.

Die erste rot-grüne Regierung kam politisch-kulturell einer Revolution zumindest nahe. Gleichwohl wirkte sie damals gar nicht so. 1998 war eine Wahl, die dem Sieger mehr Probleme bereitete als dem Verlierer. Die rot-grüne Regierung hatte ja eigentlich gar nicht mit sich selbst gerechnet. Noch beim Blick auf die Ergebnisse am Wahlabend trauten viele Sozialdemokraten ihren Augen kaum, und die Grünen fürchteten, Gerhard Schröder könne eine große Koalition bevorzugen. Das rot-grüne Projekt, von dem später oft die Rede war, bestand damals zunächst nur in der Chance zur Macht.

Wenn es überhaupt jemals ein rot-grünes Lebensgefühl gab, dann wurde es erst mühsam geweckt. Aufbruch wurde auch formuliert, aber die gesellschaftlichen Reformen, von den wirtschaftlichen ganz zu schweigen, waren schwer durchzusetzen, die Begleitmusik klang grausam kakophon und Herausforderungen wie der Kosovo-Krieg und drei Jahre später der Terror des 11. September 2001 und dessen Folgen zerrten an der Identität beider Parteien. Rot-Grün hat sich durchgebissen. Doch der Verschleiß war groß, weshalb Gerhard Schröder niemals die Chance auf 16 Jahre hatte.

Die schwarz-gelbe Koalition 2009 war dagegen alles andere als eine politisch-kulturelle Revolution, aber vor allem die Liberalen wollten sie als solche deuten. Dabei hieß die Kanzlerin, anders als 1998, vorher wie nachher gleich. Nur glaubten die Liberalen, sie könnten Merkel verändern. Das konnte nicht gutgehen. Merkel hat statt dessen die FDP verändert. Die schwarz-gelbe Geschichte seit dem Oktober 2009 ist deshalb eine bislang einzigartige Erzählung über Abstriche am Angekündigten, über die Ernüchterung nach dem Erfolg, über Niederlagen, Niedergang und als Folge bisweilen sogar Niedertracht. Vor einem Jahr ist es der Koalition nicht gelungen, eine überzeugende Idee von sich und ihrer Politik zu formulieren. Jetzt formuliert sie nur noch Erklärungen, warum so vieles anders gekommen ist, als es einstmals versprochen wurde.

Die Zukunft der schwarz-gelben Koalition hängt nicht, wie es ihre Protagonisten gerne behaupten, davon ab, dass sie nun einfach ihre Arbeit macht. Das ist allenfalls eine Selbstverständlichkeit, nicht aber ein Rettungsprogramm. Die Zukunft der Koalition hängt davon ab, wie ihre drei Teile die Probleme lösen, die im verhängnisvollen ersten Jahr entstanden sind. FDP und CSU müssen eine Antwort auf den Autoritätsverlust ihrer Parteivorsitzenden finden. Und die Kanzlerin muss eine Ordnung schaffen, die sie im ersten Jahr nur postulierte. Anderenfalls wird es für Angela Merkel sogar schwer, wenigstens Schröders sieben Jahre zu übertreffen.

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