Ein Jahr Schwarz-Gelb:Luftschlösser und Baustellen

Großen Worten folgen in der Politik oft kleinere Taten. Nach einem Jahr schwarz-gelber Koalition wird mancherorts kräftig gehämmert und geschraubt, aber anderswo steht noch nicht einmal der Gebäudeplan.

im Überblick.

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Ein Jahr Schwarz-Gelb:Atomstrom: Ausstieg aus dem Ausstieg

Treffen der Koalitionsspitzen zu längeren Atomlaufzeiten

Quelle: dpa

Die Idee: Die Laufzeiten der Atomkraftwerke werden verlängert. Im Gegenzug wird von den Kraftwerksbetreibern Geld kassiert, um den Ausbau erneuerbarer Energien zu fördern.

Das ist passiert: Begleitet von viel koalitionsinternem Krach und Bürgerprotesten hat die Bundesregierung inzwischen ein Energiekonzept und entsprechende Gesetze vorgelegt. Die Laufzeitverlängerung soll noch in diesem Jahr beschlossen werden. Auch die finanzielle Gegenleistung ist in den Gesetzesvorlagen geregelt. Allerdings fließt das meiste Geld in den Bundeshaushalt statt in erneuerbare Energien. Kritiker sehen in dem Konzept lediglich ein Milliardengeschenk an die Energiekonzerne.

Und jetzt? Atomkraftgegner in ganz Deutschland gehen gegen die Laufzeitverlängerung auf die Straße. Auch viele kommunale Stromversorger kritisieren die Regierung. Sie haben - im Vertrauen auf den Atomausstieg - in alternative Energien investiert. Noch ist nicht sicher, ob die Verlängerung wie geplant ohne Zustimmung des Bundesrates durchgesetzt werden kann. Die Opposition will dagegen vor dem Bundesverfassungsgericht klagen. Bekommt sie recht, dürfte eine Laufzeitverlängerung vom Tisch sein. Im Bundesrat hat Schwarz-Gelb keine Mehrheit.

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Ein Jahr Schwarz-Gelb:Verteidigung: Abschied von der Wehrpflicht

Guttenberg stellt Pläne für Bundeswehrreform vor

Quelle: dpa

Die Idee: Eine Freiwilligenarmee, wie sie die FDP im Wahlkampf forderte, wird die Bundeswehr nicht. Allerdings soll die Wehrdienstzeit spätestens zum 1. Januar 2011 auf sechs Monate verkürzt werden.

Das ist passiert: Nach zähem Ringen einigten sich die Koalitionspartner im Mai, zum 1. Juli die verkürzte Wehrdienstzeit einzuführen. Doch die Bundeswehr hatte noch nicht einmal damit begonnen, den Beschluss umzusetzen, als die Debatte um eine gänzliche Abschaffung der Wehrpflicht wieder aufflammte. Just als Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sein Sparpaket schnürte, erklärte Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), er könne nur sparen, wenn die Wehrpflicht abgeschafft werde. Horst Seehofer ging auf die Barrikaden, die Wehrpflicht gehöre zum Kern der CSU-Identität. Im September vollzog er eine überraschende Wende und erklärte sich mit der Aussetzung des Pflichtdienstes einverstanden. Die "Aussetzung" kommt im Grunde allerdings der Abschaffung gleich.

Und jetzt? Bis 2014 soll die Bundeswehr acht Milliarden Euro einsparen. Die Reform der Streitkräfte sieht neben der Aussetzung der Wehrpflicht auch eine Verkleinerung der Streitkräfte vor - die Rede ist von 185.000 statt der bisher 250.000 Soldaten. Zu der Reform gehört auch der Umbau des Verteidigungsministeriums - auch hier soll kräftig Personal eingespart werden, wie auch der Bericht der Strukturkommission fordert. Die parlamentarische Debatte zur Reform soll frühestens Ende des Jahres beginnen.

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Ein Jahr Schwarz-Gelb:Rente mit 67

Seehofer gegen zusaetzliche Sparopfer fuer Rentner

Quelle: ddp

Die Idee: Vor allem die Union will etwas gegen die steigende Altersarmut tun. Wer ein Leben lang in Vollzeit gearbeitet hat, soll eine Rente oberhalb der Grundsicherung bekommen. Außerdem sollen die Rentensysteme in Ost und West angeglichen werden. Noch von der großen Koalition beschlossen wurde die Rente mit 67.

Das ist passiert: Viel Streit gab es um die Rentengarantie - trotz Wirtschaftskrise und sinkender Löhne blieben die Renten unangetastet. Rainer Brüderle, FDP-Wirtschaftsminister, hält diese auf Dauer für nicht finanzierbar, erhält aber nur wenig Unterstützung aus der Koalition. Ärger gab es auch um die Rente mit 67. Horst Seehofer (CSU) drohte, seine Unterstützung zu entziehen, sofern Firmen nicht garantieren, Menschen in diesem Alter überhaupt zu beschäftigen.

Und jetzt? Noch steht die Koalition mehrheitlich hinter der Rentengarantie. Bleibt also die Frage, wie man sie bei einer sinkenden Anzahl von Beitragszahlern und einer steigenden Anzahl von Beziehern finanzieren kann. Die Rente mit 67 könnte eine Möglichkeit sein, das Ungleichgewicht von arbeitender Bevölkerung und Menschen im Ruhestand etwas abzufedern. 2012 beginnt die schrittweise Anhebung des gesetzlichen Rentenalters. Die SPD will nun im Bundestag über die Rente mit 67 abstimmen lassen - und kann so ganz nebenbei einen weiteren Keil in die Regierung treiben. Jedenfalls, wenn Horst Seehofer bei seiner Absage an das höhere Eintrittsalter bleibt.

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Ein Jahr Schwarz-Gelb:Hartz IV und Dumpinglöhne: Hausaufgaben für die Koalition

Hartz-IV-Reform beschlossen

Quelle: dapd

Die Idee: Die Koalition kündigte nach der Bundestagswahl an, das Schonvermögen für Hartz-IV-Empfänger zu erhöhen. ALG-II-Bezieher, die privat für den Ruhestand vorsorgen, dürfen dreimal so viel zurücklegen als bisher. Darüber hinaus plante die Bundesregierung eigentlich keine Änderungen der Hartz-Gesetze. Dafür wollte sie sittenwidrige Dumping-Löhne gesetzlich verbieten.

Das ist passiert: Die Anhebung des Schonvermögens wurde im März gesetzlich verankert. Schon im Februar allerdings hatte das Bundesverfassungsgericht die Regierung verpflichtet, bei Hartz IV grundlegend nachzubessern. Die aktuelle Art der Berechnung entspreche weder dem tatsächlichen Bedarf noch dem Grundgesetz, urteilte das Gericht. Der Richterspruch löste eine Grundsatzdebatte aus, in der Vizekanzler und Außenminister Guido Westerwelle den Begriff der "spätrömischen Dekadenz" prägte und sich dafür reichlich Kritik zuzog - auch vom Koalitionspartner. Nachdem bei der Hartz-Reform bedürftige Kinder besonders berücksichtigt werden sollten, wurde ausgiebig über die Vor- und Nachteile eines Gutscheinsystems für Sachleistungen diskutiert.

Und jetzt? Am 20. September beschloss das Kabinett die Neuberechnung. Erwachsene bekommen fünf Euro mehr, Kinder müssen ohne Zuschlag auskommen. In ein Bildungspaket für Kinder aus Hartz-IV-Familien werden 700 Millionen Euro investiert. Damit sollen Hartz-IV-Kindern Nachhilfestunden, Sport- und Musikstunden finanziert werden. Dem Gesetz muss neben dem Bundestag auch der Bundesrat zustimmen. Da die Oppositionsparteien die Reform in der derzeitigen Fassung strikt ablehnen, wird es ein Vermittlungsverfahren geben. Ein Gesetz zum Verbot von sittenwidrigen Löhnen fehlt bislang völlig auf der Agenda.

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Ein Jahr Schwarz-Gelb:Bildung: Stipendien, Bafög und das Zukunftskonto

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Quelle: AP

Die Ideen: Mit einem "nationalen Stipendienprogramm" werden bis 2013 rund 160.000 Studenten mit 300 Euro monatlich gefördert, unabhängig vom Einkommen der Eltern. Das Bafög für Schüler und Studenten steigt. Für jedes neugeborene Kind wird ein "Zukunftskonto" für Bildungskosten eingerichtet, bei dem der Staat 150 Euro zuschießt und die Einzahlungen der Familie prämiert.

Das ist passiert: Das "nationale Stipendienprogramm" heißt inzwischen "Deutschlandstipendium" und ist erheblich geschrumpft. Ursprünglich sollten Bund und Länder je die Hälfte des staatlichen Anteils tragen. Doch die Länder stellten sich quer und drohten, das Gesetz im Bundesrat zu blockieren. Um das Gesetz zu retten, bezahlt die Bundesregierung nun den gesamten Staatsanteil, schraubt dafür aber ihr Ziel erheblich zurück. Auch die Erhöhung des Bafög drohte zunächst am Widerstand der Länderkammer zu scheitern.

Und jetzt? Das Deutschlandstipendium sollen 2011 etwa 10.000 Studenten erhalten - wesentlich weniger also, als ursprünglich geplant. Mittelfristig soll die Zahl der Geförderten nach wie vor auf 160.000 steigen, das wären acht Prozent aller Studierenden. Die langersehnte Bafög-Erhöhung wurde im Oktober gesetzlich geregelt. Durchschnittlich 13 Euro erhält jeder Empfänger nun mehr. Die Novelle erhöhte auch die Einkommensgrenze für Eltern, so dass ab sofort etwa 55.000 Studenten zusätzlich gefördert werden. Für ihre Zustimmung zu der Erhöhung versprach die Bundesregierung den Ländern, jährlich 130 Millionen Euro in Forschung an Hochschulen zu investieren. Das Thema "Zukunftskonto" ist auf unbestimmte Zeit verschoben.

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Ein Jahr Schwarz-Gelb:Familie: Eltern- und Pflegezeit

Vorschau: Kabinett will Pflege-Mindestlohn auf den Weg bringen

Quelle: ddp

Die Ideen: Familien mit Kindern sollen mehr Geld bekommen. Außerdem soll es von 2013 an eine Garantie auf einen Krippenplatz für jedes Kind ab dem ersten Lebensjahr geben - eine Idee, die noch unter Schwarz-Rot entstand. Parallel dazu plant die Regierung ein Betreuungsgeld von 150 Euro für Eltern, die ihre Kinder stattdessen zu Hause betreuen.

Das ist passiert: Schon zum 1. Januar 2010 stiegen Kindergeld und Kinderfreibetrag. Die Krippenplatz-Garantie bereitet vor allem den Kommunen Bauchschmerzen: Sie befürchten, bis 2013 nicht genügend Plätze zur Verfügung stellen zu können. Auch das Betreuungsgeld wird kritisiert: Man setze damit vor allem für bildungsferne Familien Anreize, die Kinder nicht in die Krippe zu bringen - und nehme ihnen so wichtige Bildungschancen. Kristina Schröder setzte einen weiteren Aspekt der Familienpolitik auf die Agenda, als sie das Familienministerium von Ursula von der Leyen übernahm: die Pflegezeit. Das Konzept sieht für Arbeitnehmer, die Verwandte pflegen, einen Rechtsanspruch auf Freistellung vor. Kritische Stimmen werden vor allem aus FDP und Wirtschaft laut. Der Rechtsanspruch auf Pflege könne den Unternehmen schaden.

Und jetzt? Der Bund hat bislang seinen Anteil in Sachen Krippenausbau geleistet, doch auf Länderseite besteht Nachbesserungsbedarf. Nordrhein-westfälische Kommunen erreichten vor dem Verfassungsgericht des Landes einen Sieg in Sachen Krippenausbau. Das Land habe keine ausreichende Regelung zur Finanzierung der Krippen getroffen. Nun muss das Familienministerium die Zuständigkeiten prüfen. Die Prüfung des Betreuungsgeldes ist erst einmal verschoben. Dafür sei "bis 2013 Zeit" heißt es aus dem Ministerium. Kristina Schröder legte dafür einen Entwurf für die Pflegezeit vor. Er soll auch die Interessen der Wirtschaft wahren: Arbeitnehmer könnten demnach ihre Arbeitszeit für zwei Jahre um 50 Prozent reduzieren können und dabei 75 Prozent ihres Gehalts bekommen. Danach sollen sie weitere zwei Jahre Vollzeit für 75 Prozent des Gehalts arbeiten.

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Ein Jahr Schwarz-Gelb:Gesundheitsreform: Krach um die Kopfpauschale

Bayerische Fachaerzte streiken

Quelle: ddp

Die Idee: Angesichts des Interessendschungels in der Gesundheitspolitik und der gleichzeitigen Kostenexplosion ist es zugegebenermaßen schwer, eine überwölbende Idee zu konzipieren. Doch Schwarz-Gelb scheiterte schon an sich selbst, weil die FDP den Einstieg in die Kopfpauschale wollte, die CSU das auf jeden Fall verhindern und die CDU irgendwas dazwischen. Entsprechend wachsweich liest sich der Koalitionsvertrag im Unterpunkt II.9.1. Gesundheit. Die Regierung hatte zugleich drei Ideen - und keine.

Das ist passiert: Eine richtige Kopfpauschale gibt es noch nicht, den Einstieg in die Kopfpauschale offenbar nur außerhalb von Bayern, denn die CSU ist weiterhin der Meinung, dass die beschlossenen einkommensunabhängigen, nach oben nicht mehr gedeckelten Zusatzbeiträge nichts mit einer Kopfpauschale zu tun haben. Das Neun-Milliarden-Defizit der Krankenkassen sollen alle schultern, wobei "alle schultern" bedeutet: Die Versicherten zahlen viel drauf, weil zu etwaigen Zusatzbeiträgen eine Beitragssteigerung von 14,9 auf 15,5 Prozent kommt; Bund und Länder zahlen ein bisschen drauf, weil sie höhere Zuschüsse zahlen müssen; und Ärzte, Apotheker und Pharmaindustrie zahlen nicht drauf, sondern verbuchen geringere Einkommenssteigerungen als erhofft.

Und jetzt? Derzeit scheint ausgeschlossen, dass es je zu einer richtigen Kopfpauschale kommt, doch bei Horst Seehofer weiß man ja nie. Daneben scheint das Augenmerk von Gesundheitsminister Philipp Rösler derzeit vor allem auf den privaten Versicherern zu liegen, von denen manche unter ihrer finanziellen Situation ächzen. Denn fast im Monatsrhythmus gibt es neue Gesetzesvorschläge, die den Privaten entgegenkommen. Zum Beispiel soll der von den gesetzlichen Kassen ausgehandelte Arzneimittel-Rabatt künftig auch für Private gelten, die Beitragsbemessungsgrenze sinken und es für junge Gutverdiener die Möglichkeit geben, bereits nach einem Jahr anstatt nach 36 Monaten zu wechseln.

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Ein Jahr Schwarz-Gelb:Finanzen: Sparen, sparen, sparen

Sparpaket - Kosten-Stempel

Quelle: dpa

Die Idee: "Die Wirtschafts- und Finanzkrise sowie die zu ihrer Bewältigung ergriffenen Maßnahmen haben tiefe Spuren in den öffentlichen Haushalten hinterlassen", stellten Liberale und Konservative in ihrem Koalitionsvertrag treffend fest. "Mit der Überwindung der Krise muss ein strikter Konsolidierungskurs einsetzen." Der Koalition blieb nach Gesetzeslage auch nichts anderes übrig als zu sparen: Die große Koalition hatte den Konsolidierungskurs mit der "Schuldenbremse" fest im Grundgesetz verankert.

Das ist passiert: Anfang Juni machte die Regierung ernst. Bundeskanzlerin Merkel und ihre Minister schlossen sich ein Wochenende lang im Kanzleramt ein und reichten den Rotstift herum. Alle wollten sparen - nur nicht im eigenen Ressort. Am Ende lag ein Sparpaket auf dem Tisch, das am 1. September im Kabinett beschlossen wurde. Es sieht bis 2014 Einsparungen in Höhe von 80 Milliarden Euro vor. Am meisten will die Regierung bei den Sozialleistungen kürzen, wofür sie scharf kritisiert wird.

Und jetzt? Dem Gesetzesentwurf von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) zufolge werden Hartz-IV-Empfänger nicht länger rentenversichert und müssen auf den Übergangszuschlag in der Zeit zwischen Arbeitslosengeld I und II verzichten. Für Bezieher von Hartz IV fällt neben dem Elterngeld auch der Heizkostenzuschuss weg. Mit einer neuen Abgabe sollen Flugtickets belegt werden, sie beträgt je nach Strecke zwischen acht und 45 Euro. Anderswo wird nach erfolgreichem Protest der Energieunternehmen deutlich weniger kassiert: Die Einschnitte bei Ökosteuersubventionen für energieintensive Unternehmen fallen geringer aus als geplant und auch die neue Brennelementesteuer wird für niedrigere Einnahmen sorgen, als sich die Bundesregierung anfangs erhoffte. Am Donnerstag soll das Sparpaket den Bundestag passieren; eine Zustimmung des Bundesrats ist der Koalition zufolge nicht erforderlich.

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Ein Jahr Schwarz-Gelb:Steuerreform: "Mehr Netto vom Brutto"

Kinderdienst: Staat kann mit 30 Milliarden Euro mehr Steuergeld rechnen

Quelle: dapd

Die Idee: Mehr Netto vom Brutto und ein niedrigeres-einfacheres-und-gerechteres Steuersystem, wie Guido Westerwelle im Wahlkampf geschätzte 18 Millionen Mal wiederholte.

Das ist passiert: Für alle Hoteliers gab's ein bisschen mehr Netto vom Brutto; für manche Familien gab's dank Kindergeld- und Kinderfreibetragerhöhung ein kleines bisschen mehr Netto vom Brutto, wobei ein Großteil davon auf Beschlüsse der großen Koalition zurückging; und für alle anderen gab's überhaupt nicht mehr Netto vom Brutto. Dass die Sache mit den Hoteliers vielleicht nicht so ganz glücklich war, erkannten nach der ersten Aufregung zwar einige Koalitionäre - dummerweise war es da schon beschlossene Sache. Dazu einigte sich die Koalition auf einen Umbau des Steuersystems hin zu einem Stufentarif.

Und jetzt? Das niedrigere-einfachere-und-gerechtere Steuersystem ist so oft gefordert worden, dass es wahrscheinlich Westerwelle selbst nicht mehr hören kann und deswegen erst einmal unterlässt. Die oft angedachte Reform der teils unsinnigen Mehrwertsteuersätze (Zitrone sieben Prozent, Zitronensaft 19 Prozent; Pulverkaffee sieben Prozent, Brühkaffee 19 Prozent) ist auch vertagt, weil Finanzminister Wolfgang Schäuble am Sinn und am möglichen Einnahmevolumen zweifelt. Und der Stufentarif ist so dermaßen aus der Debatte, dass lediglich Möchtegern-Finanzminister Hermann Otto Solms (FDP) noch davon spricht. Aber die Devise, von Westerwelle erst vor wenigen Tagen wieder verkündet, lautet vorerst: "Mehr Netto vom Brutto."

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Ein Jahr Schwarz-Gelb:Krise: Mehr Regeln für die Finanzmärkte

Zinsunterschiede sollen nach dem Willen einiger EU-Politiker erst verwischt und dann eingeebnet werden: Es geht um die Einführung der Euro-Anleihe.

Quelle: ag.ddp

Die Idee: Die Finanzmärkte sollen sicherer werden

Das ist passiert: Krise bei den Banken, Krise in der Europäischen Union - die Bundesregierung will mit schärferen Kontrollen und strafferen Regeln die Finanzmärkte sicherer machen. Künftig soll es nicht mehr möglich sein, dass eine Bank wie die Hypo Real Estate die Bundesrepublik und ein Staat wie Griechenland gleich die ganze EU erpressen kann. Bei der EU macht sich Deutschland beispielsweise für einen strafferen Sanktionsmechanismus für die Euro-Mitgliedsländer stark. Wenn die Staatsfinanzen - womöglich nach jahrelanger Schummelei - aus dem Ruder laufen, sollen Strafen nicht mehr nach Gusto der EU-Mitglieder sondern automatisch verhängt werden. Daneben werden ab 2011 neue EU-Aufsichtsbehörden Banken, Versicherungen und Börsen kontrollieren.

Und jetzt? Viel gedacht, wenig gemacht - zumindest gemessen an der ursprünglichen Idee. Beim Stabilitätspakt wird es auch künftig keinen Automatismus geben, die Bundesregierung konnte sich damit nicht durchsetzen. Auch gegen andere Sanktionsmechanismen, etwa einen Stimmrechtsentzug für EU-Mitglieder, gibt es bereits heftigen Widerstand. Insofern müssen sich auch in Zukunft EU-Mitglieder keine allzu großen Sorgen machen, wenn sie ihre Finanzen nicht im Griff haben. Bei der Einführung der EU-Aufsichtsbehörden hat sich die Bundesregierung zwar mit ihren Forderungen nach einem Verbleib von Kompetenzen bei nationalen Aufsichtsbehörden durchgesetzt, doch womöglich wird genau das die EU-Institutionen schwächen. Positiv ist also, dass die Finanzmärkte stärker beaufsichtigt werden, als Nachteil könnte sich erweisen, dass sich die Behörden im Kompetenzwirrwarr verstricken.

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Ein Jahr Schwarz-Gelb:Integration: Ehrgeiz und Resignation

Migrantenkinder im Schulunterricht

Quelle: dpa

Die Ideen: Die Regierung sieht starke "integrationspolitische Defizite". Zu viele Zuwanderer sprächen schlecht Deutsch. Integrationskurse für Ausländer sollen aufgewertet werden. Besonders Kinder sollen sprachlich gefördert werden. Zwangsverheiratungen will die Regierung zu einem eigenen Straftatbestand machen. Außerdem sollen wegen des Fachkräftemangels ausländische Qualifikationen leichter anerkannt werden.

Das ist passiert: Es wurde viel geredet - über die Mängel in der Integration, über die vermeintlichen Schuldigen, über die Angst der Deutschen vor zu vielen Fremden. Die Integrationsbeauftragte im Kanzleramt, Maria Böhmer (CDU), forderte die Einführung von Integrationsverträgen. Integrationsverweigerer - die etwa ihre Kinder nicht in die Schule schicken oder Integrationskurse nicht besuchen - will die Regierung bestrafen. Zuletzt sorgte Horst Seehofer für Aufregung, als er die Integrationsfähigkeit insbesondere von Muslimen in Frage stellte und sich gegen "Zuwanderer aus diesen Kulturkreisen" aussprach. Bildungsministerin Annette Schavan und Wirtschaftsminister Rainer Brüderle hingegen betonen, wie wichtig qualifizierte Zuwanderer für Deutschland sind.

Und jetzt? Bis Ende des Jahres soll ein Anerkennungsgesetz für ausländische Abschlüsse verabschiedet werden. Eine Internetdatenbank soll dafür sorgen, dass die Bewertung von Qualifikationen aus dem Ausland höchstens noch drei Monate dauert. Die Bestrafung von Integrationsverweigerern steht immer noch im Raum und wird von CDU- und FDP-Politikern aufrechterhalten. Das Bundesinnenministerium will außerdem in einer Umfrage von den Bundesländern wissen, wie sie bisher mit Zuwanderern umgegangen sind, die Hartz IV empfangen und Integrationskurse nicht besucht haben. In solchen Fällen können schon jetzt Sanktionen erlassen werden.

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Ein Jahr Schwarz-Gelb:Datenschutz: Tatort Internet

Demonstration fuer mehr Datenschutz

Quelle: dapd

Die Ideen: Ursula von der Leyens umstrittene Gesetzesinitiative zur Sperrung kinderpornographischer Webseiten wird fallengelassen. In Zusammenarbeit mit der Internetwirtschaft werden solche Angebote stattdessen sofort gelöscht; nach einem Jahr soll dieses Vorgehen evaluiert werden. Die Koalition setzt sich für Gesetze gegen Kriminalität im Internet auf internationaler Ebene ein. Das Datenschutzgesetz wird reformiert und an die Bedingungen der neuen Medien angepasst, auch um "verbesserte Rahmenbedingungen für informierte und freie Einwilligungen zu schaffen", wie es im Koalitionsvertrag heißt.

Das ist passiert: Im Juli zeigte eine Studie von Bundeskriminalamt und Innenministerium, dass das Löschen der besagten Seiten nur schlecht funktioniert - auf vierzig Prozent der Websites kann demzufolge auch noch nach einer Woche zugegriffen werden. Für neuen Zündstoff sorgte der Suchmaschinenriese Google mit der Ankündigung, seinen Street-View-Dienst auf 20 Städte in Deutschland auszuweiten. Das Vorhaben löste eine breite öffentliche Debatte aus, in der sich Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) vehement mit der Forderung nach schärferer Regulierung des Internets zu Wort meldete.

Und jetzt? Ob die gesetzliche Regulierung des Internets funktioniert, ist stark umstritten. Kaum Zweifel bestehen allerdings daran, dass derartige Gesetze nur auf internationaler Ebene sinnvoll wären. Initiativen in diese Richtung gibt es bislang keine. Zwar verabschiedete das Kabinett im August eine Änderung des Datenschutzgesetzes. Diese schränkt in erster Linie Arbeitgeber in ihren Möglichkeiten ein, Mitarbeiter zu überwachen. Die angekündigte Anpassung des Datenschutzes an die Erfordernisse der Netzgesellschaft wurde bislang allerdings nicht in Angriff genommen.

© sueddeutsche.de/beitz/leja/aum/kler/gba
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