Ein Jahr Schwarz-Gelb:Koalition des Missklangs

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Deutschland wartet vergeblich auf den harmonischen Dreiklang. Nach einem Jahr schwarz-gelber Koalition ist klar: Diese Mischung aus Dilettantismus, offenem Streit und Klientelpolitik ist kein Anfängerfehler, sondern zentrales Merkmal der Regierung.

Claus Hulverscheidt

An diesem Donnerstag wird die christlich-liberale Regierung zwölf Monate im Amt sein. In Berlin finden deshalb gleich mehrere Pressekonferenzen und Präsentationen mit ebenso hübschen wie heiteren Titeln statt: "Ein Jahr unter neuer Führung - eine Erfolgsbilanz" lautet eine der Überschriften, "Deutschland auf Erfolgskurs" eine andere.

Ein Jahr schwarz-gelbe Koalition: Guido Westerwelle (FDP), Angela Merkel (CDU) und Horst Seehofer (CSU) bekommen den harmonischen Dreiklang einfach nicht hin. (Foto: dapd)

Um sicher zu gehen, dass die frohe Botschaft auch tatsächlich flächendeckend verbreitet wird, wandten sich einige besonders eifrige Kabinettsmitglied auch direkt an Zeitungsredaktionen oder Fernsehsender: Finanzminister Wolfgang Schäuble ließ auf diesem Wege wissen, dass er sich kaum an eine Regierung erinnern könne, die in so kurzer Zeit so viel Gutes bewirkt habe wie die amtierende Koalition. Und Vizekanzler Guido Westerwelle verkündete, der Republik gehe es - Schwarz-Gelb sei Dank - heute besser als vor einem Jahr.

Viele Hoteliers und auch der ein oder andere Chemie-Boss werden da mit dem Kopf genickt haben. Manch anderem jedoch dürfte das Lachen im Halse stecken geblieben sein ob dieses eigentümlichen schwarz-gelben Humors. Nach Amtsantritt der neuen Koalition hatte das Gros der Bürger deren Wirken noch mit ungläubigem Staunen begleitet.

Mittlerweile aber hat sich der Verdacht erhärtet, dass die Mischung aus Dilettantismus, offenem Streit und Klientelpolitik, die Union und FDP beinahe täglich zur Schau stellen, womöglich weniger ein Startproblem als das zentrale Charakteristikum dieser Regierung darstellen könnte.

Wie anders lässt sich die Haushaltsentscheidung interpretieren, die die Spitzen der Koalition am Sonntagabend getroffen haben? Der seit Monaten angekündigte Abbau von Ökosteuersubventionen für energieintensive Firmen wird demnach weitgehend gestoppt - dafür steigt die Tabaksteuer. Man könnte meinen, das sei ein kluger Beschluss, denn die angeblich bevorstehenden Massenentlassungen in den betroffenen Betrieben werden nun nicht stattfinden, und zugleich trifft es mit den Rauchern ja nicht die Falschen.

Lässt man aber die immer gleichen Drohgebärden der Wirtschaftsverbände und die scheinheiligen Gesundheitsargumente der Tabaksteueranheber einmal außen vor, kommt man aus dem Staunen kaum mehr heraus: CDU, CSU und FDP, die Parteien des Subventionsabbaus und der einfachen, niedrigen und gerechten Steuertarife, zementieren die allgemeine Subventionitis im Lande und erhöhen die Verbrauchssteuern. Es ist das Gegenteil dessen, was sie in den letzten Jahrzehnten in unzählige Wahlprogramme hineingeschrieben haben.

Und doch, man hätte es kommen sehen können: Denn das Geschenk an Gießereien, Aluminiumwerke und Chemiekonzerne erinnert fatal an die Steuersenkung für Hoteliers von Anfang 2010, als Union und FDP schon einmal einer einzelnen Branche auf Kosten der Allgemeinheit Privilegien zuschusterten.

Was damals - bei sehr viel gutem Willen - als Anfängerfehler erschien, für den sich führende Koalitionspolitiker hinter den Kulissen immer wieder wortreich entschuldigten, erweist sich nun geradezu als modellhaft: Durchsetzen bei Schwarz-Gelb kann sich der, der am lautesten schreit und die größte Lobbyisten-Truppe bezahlt. Die breite Masse hingegen - Durchschnittsverdiener, Kleinbetriebe, Hartz-IV-Empfänger - gerät unter die Räder.

Exemplarisch dafür steht das Sparpaket der Regierung von Anfang Juni, das zunächst durch einen Dreiklang aus geringeren Sozialleistungen, Kostensenkungen im Öffentlichen Dienst sowie Subventionskürzungen und Steuererhöhungen für die Wirtschaft gekennzeichnet war.

Nimmt man die Gesundheitsreform noch hinzu, so ist keine fünf Monate später aus dem einigermaßen harmonischen Drei- ein hässlicher Missklang geworden: Die Ökosteuerprivilegien der Wirtschaft bleiben erhalten, die Kernbrennstoffsteuer wird befristet, die Banken kommen aller Voraussicht nach ohne Finanztransaktionsteuer davon, die Pharmaindustrie wird weit weniger belastet als vorgesehen. Anders die Sozialkürzungen und Beitragserhöhungen: Sie werden ohne nennenswerte Änderungen Anfang 2011 in Kraft treten.

Die Regierung hat in den vergangenen Monaten wiederholt darauf hingewiesen, dass der Sozialetat als größter Einzelposten im Bundeshaushalt von Kürzungen nicht ausgenommen werden könne. Auch sei es systematisch betrachtet richtig, Hartz-IV-Beziehern das Elterngeld und Wohngeldempfängern den Heizkostenzuschuss zu streichen. All das ist nicht falsch. Wer sich aber auf Systematik, Stringenz und Logik beruft, bleibt nur so lange glaubwürdig, wie er diesen Maßstab an alle Politikbereiche gleichermaßen anlegt. Genau das tut die Bundesregierung zum wiederholten Male nicht.

Als Rot-Grün die Ökosteuer 1999 einführte, um einen höheren Rentenbeitrag zu vermeiden, ätzte der damalige FDP- Generalsekretär Westerwelle, Kanzler Schröder regiere nach dem Prinzip "Rasen für die Rente". Über die Politik des Vizekanzlers Westerwelle könnte es entsprechend heute heißen "Paffen für den Profit".

Dazu aber schweigt der Chef-Liberale in seiner Jahresbilanz wohlweislich. Richtig ist: Wirtschaftlich betrachtet steht Deutschland heute besser da als vor einem Jahr. Aber nicht wegen, sondern trotz dieser Bundesregierung.

© SZ vom 26.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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