Ein Jahr Pegida:Pegida auf Facebook: Hetze im Sekundentakt

Ein Jahr Pegida: Wissenschaftler versuchten sich dem Phänomen Pegida bereits in mehreren Untersuchungen zu nähern.

Wissenschaftler versuchten sich dem Phänomen Pegida bereits in mehreren Untersuchungen zu nähern.

(Foto: Illustration: Jessy Asmus/SZ.de)
  • Um herauszufinden, wer die Anhänger von Pegida sind und was sie umtreibt, hat die Süddeutsche Zeitung alle Kommentare und Posts gesammelt, die zwischen 28. Dezember 2014 und 31. Dezember 2015 auf der Facebook-Seite von Pegida veröffentlicht wurden.
  • Eine quantitative Analyse zeigt, wie dramatisch Pegida an Relevanz verlor - bis die Flüchtlingskrise die Bewegung gerettet hat.
  • Die Verantwortlichen von Pegida haben kein Interesse an Diskussionen, denn sie bedeuten mehr Arbeit.

Analyse von Hannes Munzinger, Antonie Rietzschel und Hauke Bendt

Sie hetzen gegen Flüchtlinge, gegen Muslime, gegen Politiker. Seit mehr als einem Jahr demonstrieren in Dresden Frustrierte und Rechte, die sich "Patriotische Europäer" nennen. Fernsehbilder übertragen Woche für Woche die wehenden Deutschlandfahnen in die Wohnzimmer der Republik. Was wollen diese Menschen? Und warum sind sie noch immer da? Sie sagen, sie fühlen sich bedroht. Aber warum?

Ein Jahr Pegida: Illustration: Jessy Asmus

Illustration: Jessy Asmus

Wissenschaftler versuchten sich dem Phänomen Pegida bereits in mehreren Untersuchungen zu nähern. Die Erkenntnis aus diesen Studien ist aber begrenzt. Langzeitstudien, die die Entwicklung der Bewegung über das gesamte Jahr hinweg zeigen, gibt es bisher nicht.

Wer erfahren möchte, wie Pegida funktioniert, muss deshalb dahin gehen, wo die Bewegung entstanden ist und wo sie bis heute am aktivsten ist: zu Facebook. Ohne das soziale Netzwerk wäre Pegida undenkbar. Die Organisatoren nutzen Facebook, um ihre Anhänger zu mobilisieren. Und in den Kommentarspalten wird im Sekundentakt gehetzt. Seit dem 28. Dezember 2014, dem Tag an dem Pegida eine Fanseite auf Facebook anlegte, kamen so Hunderttausende Beiträge zusammen.

Die Süddeutsche Zeitung hat alle Kommentare, Posts und Interaktionen bis zum 31. Dezember 2015 gesammelt und analysiert. Die Ergebnisse sind nicht repräsentativ für die gesamte Bewegung, weil vermutlich viele Menschen Montag für Montag auf die Straße gehen, ohne überhaupt bei Facebook zu sein. Die Auswertung der Seite erlaubt aber einen umfassenden Einblick in die Welt der Pegida-Anhänger.

So aktiv ist die Bewegung bei Facebook

Wie groß die Bewegung auf Facebook ist, lässt sich an einer Zahl ablesen: Fast 200 000 Menschen folgen inzwischen der Pegida-Seite. Zum Vergleich: Die CDU bringt es auf 100 000 Facebook-Nutzer, die der SPD gut 90 000. Damit ist Pegida auf Facebook stärker als die große Koalition.

Gleichzeitig sagt die Zahl wenig darüber aus, wie aktiv die Anhänger sind. Wer einmal auf "gefällt mir" geklickt hat, wird so lange als Anhänger gezählt, bis er diesen Schritt bewusst revidiert. Schon nach einem Monat, Ende Januar 2015, folgen mehr als 150 000 Facebook-Nutzer der Pegida-Seite. Diese Dynamik erreicht die Bewegung nie wieder. Sie ist seitdem nur um etwa 50 000 Anhänger gewachsen.

Aussagekräftiger sind allerdings die Interaktionen. Also: Wie viele Personen haben wie viele Kommentare geschrieben, wie oft wurden Beiträge von Pegida geteilt. Der Januar 2015 war für Pegida auf Facebook ein Rekordmonat: Mehr als 76 000 Kommentare von mehr als 25 000 Kommentierenden. Dazu fast 84 000 Shares, wodurch Pegida-Posts auch solchen Nutzern angezeigt wurden, die der Pegida-Seite nicht folgen.

Der Hamburger Politikberater und Blogger Martin Fuchs hält dies für Kalkül: "Pegida will ihre Reichweite vergrößern, indem sie die Anhänger auffordert, Posts zu teilen oder zu liken. " Das füge sich in ein bekanntes Muster, wonach 90 Prozent der Nutzer Informationen lediglich konsumierten, neun Prozent interagierten und nur ein Prozent selbst Inhalte zum Thema verfassten. "Zudem habe ich den Eindruck, dass Pegida überhaupt kein Interesse an Diskurs und Austausch von Argumenten hat. Sie kritisieren und stellen Forderungen auf, aber Diskussionen mit Andersdenkenden gehen sie seit der Gründung aus dem Weg", so Fuchs.

Je mehr auf ihrer Seite diskutiert wird, desto mehr müssen die Verantwortlichen moderieren. Für die Administratoren eine Zwickmühle: Löschen sie Hasskommentare ihrer Anhänger, riskieren sie den Vorwurf der Zensur. Löschen sie nicht, kann die Seite von Nutzern bei Facebook gemeldet und letztendlich gelöscht werden.

Im Januar errreichen Pegida manchmal mehr als 4000 Kommentare täglich. Es ist schwer zu sagen, was das stark zunehmende Interesse an der Bewegung auslöst, doch die Diskussionen über den Umgang mit Pegida und die Berichterstattung dürften eine große Rolle gespielt haben.

Doch bereits im Februar verschwindet die Euphorie der Pegida-Anhänger, ein Trend, der sich bis Mai fortsetzt. Dann kommt das Thema Flüchtlinge auf, Pegida hat wieder ein Thema und bekommt Aufwind: Die Zahl der Kommentare und geteilten Inhalte nimmt deutlich zu.

In dieser aufgeheizten Stimmung erklärt Bundeskanzlerin Merkel am 31. August: "Wir schaffen das." Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge kündigt außerdem an, Syrer nicht mehr in andere EU-Staaten zurückzuschicken. Syrische Flüchtlinge versuchen nun aus Ungarn über Österreich nach Deutschland einzureisen. Auf der Facebook-Seite von Pegida steigen die Kommentare und Interaktionen immer weiter. Der vorläufige Höhepunkt ist im September erreicht - die Zahl der geteilten Inhalte übertrifft mit 108 000 sogar die Januarwerte deutlich.

Damit lässt sich eine These bestätigen, die schon öfter zu lesen war: Die Flüchtlingskrise hat Pegida gerettet.

Ein Mann, 3187 Kommentare

Angeheizt wird die Diskussion dabei von den Pegida-Verantwortlichen selbst. Denn kommentieren können die Nutzer nur unter den Posts, die die Administratoren veröffentlichen. Neben atmosphärischen Demo-Videos finden sich dort vor allem Berichte zu angeblichen Übergriffen von Flüchtlingen und Rücktrittsforderungen an Politiker. Darunter kommentieren dann die Anhänger. Einige davon überaus aktiv. Im Datensatz finden sich 300 Facebook-Nutzer, die mindestens 100 Kommentare veröffentlicht haben.

Der Anhänger mit den meisten Kommentaren ist ein Mann mit langen schwarzen Haaren, grauem Stoppelbart und John-Lennon-Sonnenbrille. So zeigt er sich zumindest auf mehreren Fotos. In dem untersuchten Zeitraum hat dieser Nutzer mit Abstand am meisten kommentiert: 3187 Beiträge finden sich auf der Facebookseite von Pegida. Von Januar bis Ende Mai 2015 kommentiert er mehrmals täglich. Dann bleibt er monatelang ruhig. Im Oktober wird er plötzlich wieder aktiv, zu Hochzeiten setzt er 24 Beiträge pro Tag ab.

Schaut man sich das Profil sowie die Kommentare bei Pegida aber auch auf anderen Seiten an, ergibt sich das Bild eines Menschen, der Pegida liebt - und das österreichische Model Larissa Marolt. In der Bundesrepublik sieht er einen totalitären Staat, gesteuert von den Feinden Pegidas. Was den Mann antreibt, ist unklar. Die Anfrage der SZ blieb bis jetzt unbeantwortet. Auch andere Kommentatoren wollten sich nicht äußern.

Ein Jahr Pegida: Illustration: Jessy Asmus

Illustration: Jessy Asmus

Doch wer sind übrigen Unterstützer von Pegida? Aussagen darüber sind aus den Facebookdaten kaum zu machen. Zwar geben manche Nutzer neben ihrem Vor-und Nachnamen, Wohnort und Arbeitgeber preis. Unter ihren Fotos finden sich Schnappschüsse aus dem Urlaub sowie klar erkennbare Porträtaufnahmen. Viele kommentieren aber nicht mit echten Namen und verstecken sich hinter symbolhaften Profilfotos. Sonstige Angaben über Alter und Geschlecht sind nicht überprüfbar oder gar nicht vorhanden.

Das Göttinger Institut für Demokratieforschung machte im Frühjahr 2015 eine Onlineumfrage unter 500 Teilnehmern der Demonstrationen und führte Interviews. Die Befragten waren vor allem männlich, konfessionslos und besaßen eine formal gute bis sehr gute Ausbildung. Mehr als die Hälfte war zwischen 36 und 55 Jahre alt. Die Forscher geben selbst zu, dass ihre Studie nicht repräsentativ ist, denn es ergibt sich lediglich ein Bild derjenigen, die gesprächs- und auskunftsbereit sind. Außerdem ist anzunehmen, das vor allem die Jüngeren an einer Onlineumfrage teilnehmen.

Derzeit arbeitet das Institut an einer aktuellen Analyse und stellt fest, dass die Bewegung älter zu werden scheint. Mehr und mehr Rentner kommen zu den Demonstrationen. Gleichzeitig besteht die Bewegung längst nicht mehr nur aus einem harten Kern von Leuten, die schon von Anfang an da war waren. Pegida bekommt immer noch Zulauf, so die vorläufige Analyse der Wissenschaftler (vorläufige Ergebnisse).

Lesen Sie mehr über das gefährliche Weltbild von Pegida.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: