Ein Jahr nach Kundus:Der Krieg im Nebel

Das Bombardement von Kundus fügte der Bundeswehr großen moralischen Schaden zu. Es markierte aber auch das Ende eines Selbstbetruges: Deutschland steckt in einem Krieg, der nicht zu gewinnen ist - in dem Scheitern aber verhindert werden muss.

Daniel Brössler

Sechs Wochen vor der Nacht, die das Ende ihrer Karrieren besiegeln sollte, gaben zwei Männer in Berlin eine große Pressekonferenz. Sie waren guter Dinge. Der eine, Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan, sagte, es sei "jetzt einfach an der Zeit, diese Eskalation vorzunehmen". Er berichtete, dass die Bundeswehr sich im Norden Afghanistans mit schweren Waffen an einer Offensive gegen die Taliban beteilige.

EKD bekraeftigt Kritik an Afghanistaneinsatz

Ein Jahr nach Kundus: Der bundesdeutsche Selbstbetrug ist vorbei, der Konflikt jedoch nach wie vor nicht zu gewinnen.

(Foto: ddp)

Der andere, Verteidigungsminister Franz Josef Jung, gab zu, dass die deutschen Soldaten durch eine verschlechterte Sicherheitslage "herausgefordert" würden, mochte das aber nicht Krieg nennen, zumal der größte Teil des Einsatzgebietes der Bundeswehr doch friedlich sei. So klang es, wenn über Afghanistan geredet wurde. Vor Kundus.

Hinter einem Schleier undurchdringlicher Vokabeln blieb zumeist verborgen, was am Hindukusch wirklich vor sich ging. So schien sich über Jahre im deutschen Afghanistan-Einsatz eine einzige Wetterlage zu halten: der Nebel. Jung war dabei nicht der Erste, der sich hinter Floskeln versteckte, aber der Erste, der sich dabei so ungeschickt anstellte.

Unerträgliche Hilfslosigkeit

Bis zur Nacht von Kundus empfanden viele Jungs Hilflosigkeit als unangenehm, danach wurde sie unerträglich. Der Angriffsbefehl des deutschen Obersts Georg Klein mit seinen verheerenden Folgen hat zwar nicht die Lage in Afghanistan verändert, wohl aber die Darstellung dieser Lage in Deutschland. Krieg muss seitdem auch Krieg genannt werden. Das ist die Zäsur, die Kundus markiert.

Seit den neunziger Jahren beteiligt sich Deutschland, wenn es Regierung und Parlament für geboten halten, an Militäreinsätzen im Ausland. 1999 flogen deutsche Piloten Angriffe im Kosovo-Krieg, nach dem 11. September 2001 versicherte Gerhard Schröder den USA eine "uneingeschränkte Solidarität". Die führte deutsche Soldaten nach Afghanistan. Das entsprach und entspricht der Verantwortung, die das vereinigte Deutschland übernehmen wollte.

Die Deutschen mussten sich von einer Lehre verabschieden, die sie aus zwei von ihrem Land begonnenen Weltkriegen gezogen hatten - jene der unbedingten militärischen Zurückhaltung. Dadurch verschwindet der Einschnitt nicht, für den Kundus steht, aber er verliert an Tiefe. Schon als bewaffnete Soldaten in den Einsatz geschickt wurden, war entschieden, dass sie eines Tages auch schreckliche Fehler begehen würden.

Einlullende Nachrichten

Die Politik indes stand vor einem Dilemma, als sie die Bundeswehr in bewaffnete Einsätze schickte. Mit der Welt habe auch er sich verändert, sagte Kanzler Schröder 2001 vor der Truppen-Entsendung nach Afghanistan. Nicht annehmen konnte Schröder freilich, dass auch sein Volk sich im gleichen Tempo verändern und dass das aus geschichtlicher Erfahrung gut begründete Misstrauen gegen militärische Gewalt plötzlich verschwinden würde.

Als die Abgeordneten des Bundestages an einem Samstag vor Weihnachten das erste Mal deutsche Soldaten nach Afghanistan schickten, ging es um "Sicherheitsunterstützung". Das klang nicht nach Krieg und gewiss nicht nach einem Weg, der schließlich nach Kundus führte. Die Regierenden und die Parlamentarier mögen damals wirklich geglaubt haben, es gelte nur, den Afghanen nach der Vertreibung der Taliban ein bisschen unter die Arme zu greifen.

Später aber ging es nur noch darum, dies die Deutschen glauben zu machen. Als im Süden Afghanistans schon erbitterter Kampf herrschte, drang nach Deutschland doch vor allem die einlullende Kunde vom friedlichen Kundus. Selbst dann noch, als immer mehr deutsche Soldaten in Särgen heimkehrten, wollte sich der Nebel nicht lichten. Bis zum Bombardement von Kundus.

Deutschland hat sich danach nicht verändert, es hat eine neue Seite an sich kennengelernt. Unschuldige Opfer militärischer Konflikte hatten seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs stets andere zu verantworten. Nun waren es die anderen, die den Deutschen Vorhaltungen machten, ein US-General oder ein französischer Außenminister. Schmerzlich endete für Deutschland die Zeit des Selbstbetrugs.

Ein Jahr danach ist es nicht nur für Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg selbstverständlich geworden, von Krieg in Afghanistan zu sprechen. Außenminister Guido Westerwelle hat im Namen der Bundesregierung das Geschehen völkerrechtlich als nicht-internationalen bewaffneten Konflikt eingestuft.

Es hat auch eine - wieder erlahmte - Debatte über das begonnen, was Deutsche am Hindukusch tun und nicht tun können. Noch als Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche und Bischöfin hat Margot Käßmann gesagt, nichts sei gut in Afghanistan. Soldaten benutzen Waffen und töten auch Zivilisten, ist ein Satz aus ihrer Dresdner Predigt.

im Schutz der Floskeln

So unabweisbar diese Feststellung ist, so folgt aus ihr doch nur unter pazifistischer Prämisse eine klare Handlungsanweisung. Krieg setze ein Gewaltpotential frei, für das sie keine Rechtfertigung sehe, hat Käßmann in einem Interview gesagt. Sie bezog das ausdrücklich auch auf das Eingreifen der Alliierten im Zweiten Weltkrieg und fragte gewunden, warum Amerikaner und Briten nicht nach anderen "Strategien" gegen die Nazis gesucht hätten.

Der Erflog steht in Frage

Auch Käßmann weiß eben nicht, wie man durch Nichtstun am besten seine Hände in Unschuld wäscht. Wer heute den sofortigen Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan fordert, muss zumindest in Betracht ziehen, dass dies mehr Menschenleben kosten als retten könnte. Und wer die unverzügliche Rückkehr nur der Deutschen verlangt, sucht letztlich ohne Rücksicht auf die Verantwortung am Ort fürs eigene Land den bequemen Weg.

Zugleich steht von Washington über London bis Berlin die Einsicht, dass die Mission mit Waffengewalt nicht zum Erfolg gebracht werden kann, ja der Erfolg überhaupt in Frage steht. Es beginnt nun der langsame Rückzug, langsam genug, um den staatlichen Strukturen in Afghanistan zumindest eine Chance zu geben, sich zu behaupten. Es folgen auch Verhandlungen mit jenen, die eigentlich besiegt werden sollten. Am Ende wird bestenfalls ein Afghanistan stehen, in dem nicht die Willkür herrscht und das kein sicherer Hafen ist für den Terror. Das ist wenig, sehr wenig gemessen an den ursprünglichen Zielen.

Für die deutsche Regierung ist das schwierig. Sie muss erklären, dass Soldaten der Bundeswehr fern in Asien ihr Leben riskieren für eine Mission, die nicht mehr wirklich gelingen, sondern nur noch vor dem totalen Scheitern bewahrt werden kann. In dieser Situation mag es verlockend sein, mit Floskeln wie "Übergabe in Verantwortung" wieder den Schutz verbalen Nebels zu suchen. Kanzlerin Merkel und ihr Außenminister tun es.

Groß ist auch die Versuchung - diese Tendenz steigt bei der SPD -, sich ganz aus der Verantwortung zu stehlen. Nie wieder Kundus, ist nun zu hören. Das bleibt zu hoffen. Nie wieder einen Krieg verschleiern und vernebeln - das hingegen wäre ein gutes Versprechen.

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