Ein Jahr nach der Revolution in Ägypten:Schicksalsort Tahrir

Als der Umsturz geschafft war tanzten die Ägypter auf dem Tahrir - ein Jahr später zeigt sich auf dem Platz die Zerrissenheit einer Gesellschaft, deren Revolution nie zu Ende gedacht, geschweige denn zu Ende gebracht worden ist. Die Vorstellungen darüber, wie die Zukunft aussehen soll, sind widersprüchlich.

Tomas Avenarius, Kairo

Vor einem Jahr war Kairos Tahrir-Platz Startblock und Zielpunkt der ägyptischen Revolution. In den 18 Tagen des Aufstands wurde der zentrale Platz der Hauptstadt zum schlagenden Herzen einer Nation. Der Aufstand selbst war eine Stegreif-Vorstellung, deren Ende alle Beteiligten überraschte: der drei Jahrzehnte lang herrschende Autokrat Hosni Mubarak gestürzt, sein korruptes Regime am Boden, die Zukunft strahlend. Die Ägypter tanzten auf dem Tahrir.

Demonstranten halten eine riesige ägyptische Fahne auf dem Tahrir-Platz

Ein Jahr nach der Revolution sind die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz gespalten - die Menschen haben sehr unterschiedliche Wünsche, wie ihre Zukunft aussehen soll.

(Foto: AP)

Ein Jahr später fehlt auf dem berühmten Platz diese Spontanität ebenso wie die innere Geschlossenheit. Das Jubiläum auf der Revolutionsbühne wirkte arrangiert, halbherzig, irgendwie auch verlogen.

Die Feiern zum ersten Jahrestag zeigten die Zerrissenheit einer Gesellschaft, deren Revolution nie zu Ende gedacht, geschweige denn zu Ende gebracht worden ist. Die ägyptischen Generäle regieren mit der Eisenfaust, Teile des alten Mubarak-Regimes sind noch immer an der Macht, und dem Volk geht es wirtschaftlich noch immer kein bisschen besser als früher.

Die erfüllten sowie die enttäuschten Hoffnungen der Ägypter verdeutlichten sich in ihren widersprüchlichen Parolen auf dem Tahrir. Die einen geben sich zufrieden mit den gerade erfolgten Wahlen, wollen nun Stabilität und Sicherheit, die Rückkehr zu einer neuen Normalität.

Die anderen wittern einen historischen Betrug: Sie setzen auf eine weitere Runde des Aufstands, diesmal gegen die Militärherrscher, die sich als die selbsternannten Hüter der Revolution geben. Bei all dem scheint nur eines einigermaßen sicher zu sein: Die Bühne, auf der Ägyptens Schicksal entschieden wird, könnte auch ein weiteres Mal Kairos Tahrir-Platz sein.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: