Ölkatastrophe im Golf von Mexiko:Verdrängt und vergessen

Manche Katastrophen brennen sich tief ins kollektive Gedächtnis ein - so wie der Reaktorunfall von Tschernobyl. Ein Unglück aber wie die Explosion der Ölplattform Deepwater Horizon gerät nach nur einem Jahr schon in Vergessenheit. Sobald es keine Bilder von verseuchten Vögeln mehr gibt, setzt der Prozess der Verdrängung ein.

Jeanne Rubner

Der Mensch ist vergesslich. Ein Jahr nach dem Untergang der Deepwater Horizon ist die havarierte Öl-Plattform im Golf von Mexiko für viele nur noch Geschichte; ein fernes Ereignis, dessen dramatische Bilder aus der Erinnerung fast gelöscht sind. Und erneut verseucht frisches Öl den Golf, es fließt aus anderen tiefen Bohrlöchern. Das Geschäft muss weitergehen. Amerikas größte Ölpest ist abgehakt.

Das Vergessen von Umweltkatastrophen gehorcht eigenen Gesetzen. So wie das Gehirn dazu neigt, Ereignisse, die mit Gefühlen verbunden sind, länger zu speichern als kühle Fakten, bleiben nur manche Umweltkatastrophen im kollektiven Gedächtnis haften. Tschernobyl hat sich in das Bewusstsein eingegraben, der bislang größte Atomunfall vor 25 Jahren ist zu Recht Symbol für die Gefahren der Kerntechnik. Andere Katastrophen aber sind vergessen, obwohl ihre Folgen mindestens ebenso tödlich waren.

Welche Katastrophen Menschen erinnern oder verdrängen, lässt sich auch auf psychologische Faktoren zurückführen: Unfälle werden gerne verdrängt, wenn sie weit weg sind. Zudem scheuen Menschen davor zurück, ihren Lebenswandel zu ändern. Schließlich richtet sich der Verdrängungsgrad nach der teilweise subjektiven und emotionalen Risikowahrnehmung. Langfristige und sichtbare Folgen wie bei Atomunfällen, wo Bewohner umgesiedelt werden müssen, empfinden viele als weitaus schwerwiegender als eine Ölkatastrophe.

Die Welt hat viele Tschernobyls erlebt

Nun lassen sich Auswirkungen auf Menschen und Natur nicht penibel aufrechnen, man sollte sie auch nicht vergleichen. Die Deepwater Horizon ist gewiss nicht Fukushima. Und doch: Die Welt hat schon viele Tschernobyls erlebt - und verdrängt. Dazu gehört Bhopal, wo 1984 bei der Explosion eines Chemiewerks in Indien viele tausend Menschen ums Leben kamen, Zehntausende sind noch heute schwer krank. Als im vergangenen Jahr erstmals ein paar Bhopal-Manager vor Gericht standen, bekamen sie lächerlich geringe Strafen, und die juristische Aufarbeitung der weltweit größten Chemiekatastrophe war auch vielen Medien nur ein paar Zeilen wert.

Im Jahr 1989 zerbarst der Tanker Exxon Valdez an einem Riff; auch dies ist eine der verdrängten Katastrophen. Von dieser Ölpest in Alaska hat sich die empfindliche Natur der Arktis noch immer nicht erholt. Trotzdem gehen die Öltransporte unvermindert weiter. Exxon Valdez, Deepwater Horizon, das Muster wiederholt sich: Die Bilder von Stränden voller Teer und ölverschmierter Seevögel lassen die Menschen einen Moment innehalten. Wenn die Schäden sich nicht mehr auf Bilder bannen lassen, sind sie rasch vergessen.

Wer mag schon daran erinnert werden, dass das Öl im Golf von Mexiko nicht verschwunden, sondern auf den Meeresboden gesunken ist, wo es weiterhin wie Gift auf die Lebewesen wirkt, und dass die Fischer am Golf von Mexiko werden auf Jahre hin mit den Folgen der Katastrophe zu kämpfen haben werden? Öl scheint so unverzichtbar zu sein, und die Lust am Autofahren so groß, dass die Menschen Unfälle und Verseuchung in Kauf nehmen.

Nicht das Ausmaß der Umweltschäden, nicht die Zahl der Toten (die Explosion im Golf von Mexiko hat auch elf Menschenleben gefordert) bestimmen, welche Lehren aus Katastrophen gezogen werden. Vielmehr diktiert der Lebensstil, den kaum jemand aufgeben mag, die Konsequenzen. Deshalb wird der Untergang der Deepwater Horizon bald ganz vergessen sein. Viele Amerikaner neigen ohnehin dazu, Umweltkatastrophen zu verdrängen - das liegt auch an der Größe ihres Landes und am tiefen Glauben daran, dass alles technisch machbar sei.

Die Gefahr der schleichenden Katastrophen

Wenn schon die vielen spektakulären Umweltkatastrophen weitgehend folgenlos bleiben, dann gilt das umso mehr für die schleichenden. Die Ölförderung in Nigeria hinterlässt ein hochgradig verseuchtes Nigerdelta. Der Klimawandel bedroht bereits jetzt, durch Versteppung und Überflutung, viele Menschenleben.

Die Belastung mit Feinstaub durch Verkehr und Industrieanlagen fordert jährlich viele Tausende Tote. In Kohlebergwerken kommen, wegen des Hungers nach billiger Energie, Jahr für Jahr Tausende zu Tode. All das wird nur allzu gerne vergessen. Das individuelle Vergessen und Verdrängen gehört freilich irgendwie zum menschlichen Dasein. Die permanente Beschäftigung mit den eigenen Umweltsünden kann ja auch zur Obsession werden; es hilft nicht weiter, bei jedem Einkauf ein schlechtes Gewissen zu haben. Menschen wünschen sich, das wissen Psychologen nur allzu gut, dass Krisen vorübergehen und dass das Leben weitergeht.

Für den Einzelnen mag sich das Vergessen auszahlen, nicht aber für die Gesellschaft. Gefährlich wird es, wenn niemand Verantwortung übernimmt. Gefährlich wird es, wenn Politiker gewählt werden, die den Menschen versprechen, sie müssten ihren Lebensstil nicht ändern oder für Umweltsünden nicht bezahlen. Zum gefährlichen Typus gehören Politiker, die trotz der Gefahren Tiefseebohrungen ohne Einschränkungen erlauben wollen. Der Mensch mag vergessen, was er der Natur antut, die Verantwortung dafür kann er aber nicht abwälzen.

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