Ein Jahr Kosovo:Ein Land, zwei Nationen

Seit einem Jahr ist Kosovo, der jüngste Staat Europas, unabhängig. Der Riss zwischen Serben und Albanern aber besteht weiter - seit der Unabhängigkeit gab es keine offiziellen Kontakte.

Marc Hoch und Enver Robelli

Ein Jahr Kosovo, und nicht viel hat sich geändert. Der jüngste Staat Europas, der mit der Unabhängigkeit am 17. Februar 2008 so hohe Erwartungen verbunden hatte, steht an diesem Dienstag fast genauso trostlos da wie in vielen Abschnitten seiner Geschichte. Allen voran machen den zwei Millionen Albanern die wirtschaftlichen Sorgen zu schaffen (siehe Bericht rechts).

Ein Jahr Kosovo: Geschmückt mit albanischen Flaggen: Eine Brücke im Kosovo, ein Jahr nach der Unabhängigkeit.

Geschmückt mit albanischen Flaggen: Eine Brücke im Kosovo, ein Jahr nach der Unabhängigkeit.

(Foto: Foto: AP)

Aber auch der internationale Paria-Status, die politische Dominanz der vielen ausländischen Funktionäre, die in juristischen, außenpolitischen und Verfassungsfragen das letzte Wort haben, und besonders die ethnische Spaltung des Landes haben nichts an der Tristesse geändert, die einzig von dem Feuerwerk an diesem Festtag ein wenig aufgehellt wird.

"So viele Jahre sind vergangen", heißt es in dem melancholisch-aufbegehrenden Hit "Amaneti i Clownit" der Band Troja, der derzeit oft in Radio und TV gespielt wird. Und der Sänger fragt stellvertretend für die enttäuschte junge Generation: "Wie viele Jahre müssen noch vergehen? / Wie lange müssen wir diese Menschen erdulden, die uns die Kraft geraubt haben?"

Eine Antwort kann die Band nicht geben, aber Antworten bleiben auch die Missionen von Unmik und Eulex schuldig, die das Land in einem Durcheinander von Kompetenzen verwalten. Wie schon vor der Unabhängigkeit ist eines der größten Probleme im Inneren die Zusammenarbeit zwischen Serben und Albanern, die es faktisch nicht gibt. Zwar trägt die (ungeliebte) neue Flagge auf blauem Grund sechs goldene Sterne, welche die Volksgruppen des Kosovo symbolisieren sollen.

Doch von Multikulturalität war im Jahr eins des neuen Staatsgebildes nichts zu sehen. Seitdem die Albaner die Unabhängigkeit erklärt haben, hat es zwischen der serbischen und der kosovarischen Regierung keine offiziellen Kontakte gegeben; nicht einmal zu Gesprächen über den Schutz serbischer Kirchen und Klöster konnten die UN die beiden Parteien bisher bewegen. Es ist wie immer: Tiefes Misstrauen prägt die Politik auf beiden Seiten.

Auch wenn Serbien den Verlust des historisch bedeutenden Territoriums einigermaßen verwunden hat, was die Verluste der Nationalisten bei der Parlamentswahl im Mai belegen - Bestrebungen, die Provinz anzuerkennen und bilateral über Fragen der Grenzen und der Minderheiten zu verhandeln gibt es auch im pro-europäischen Lager von Staatspräsident Boris Tadic nicht.

Die serbische Regierung hält die Unabhängigkeit für gesetzeswidrig, und gegen den "Pseudostaat" kämpft sie heute - anders als in den neunziger Jahren, als sie zu den Waffen griff - mit diplomatischen und juristischen Mitteln. 222 Tage will Außenminister Vuk Jeremic im vergangenen Jahr im Flugzeug verbracht haben, um gegen die völkerrechtlich umstrittene Staatsgründung zu lobbyieren. Anfang Oktober konnte er einen kleinen Triumph feiern: Da billigten die UN eine Resolution, die vom Internationalen Gerichtshof verlangt, die Unabhängigkeit völkerrechtlich zu prüfen.

Und solange die nicht vorliegt, dürften die Zweifel vieler Länder bestehen bleiben: Nur 54 Staaten haben den Kosovo bisher anerkannt. An diesem Dienstag sucht Belgrad eine neue Machtprobe: Das serbische Parlament plant zusammen mit der illegalen Volksvertretung der Kosovo-Serben eine gemeinsame Sitzung im Norden des Kosovo.

Für Europa, das mit der Finanzkrise kämpft, hat der neue Staat derzeit keine Priorität. Dabei dürfte klar sein, dass die jetzige Situation weit davon entfernt ist, "ideal zu sein, manche würden sagen, chaotisch", wie sich der frühere UN-Vermittler Albert Rohan ausdrückt. Solange Serbien nicht kooperiert, ist die Verfassung des neuen Staates nicht durchsetzbar, was bedeutet, dass es Stabilität nicht geben wird.

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