Ein Jahr große Koalition:Regieren in Zeiten des Misstrauens

Ein Jahr große Koalition: Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer, und SPD-Finanzminister Olaf Scholz (der Auslöser der jüngsten Querelen in der Koalition ist), CSU-Chef Markus Söder und die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles (von links).

Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer, und SPD-Finanzminister Olaf Scholz (der Auslöser der jüngsten Querelen in der Koalition ist), CSU-Chef Markus Söder und die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles (von links).

(Foto: AFP/dpa)
  • Die große Koalition bemüht sich, am Ende ihres ersten Jahres als normal arbeitende Regierung wahrgenommen zu werden. Ihre Bilanz ist gut.
  • Jetzt aber rücken Wahlen näher und in der Koalition wird weniger über Projekte geredet als über wachsendes Misstrauen geklagt.
  • Im Koalitionsausschuss gibt es viel zu besprechen: das Klimaschutzgesetz, den Ausbau der Energienetze und des 5G-Netzes und die Reform der Grundsteuer.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Geschäftig geht es zu an diesem Mittwoch im Bundestag. Abgeordnete rennen durch die Gänge, besprechen sich. Besucher schlängeln sich durch die Glaskuppel. Familienministerin Franziska Giffey (SPD) muss sich im Plenum von Abgeordneten zur Regierungsarbeit befragen lassen, Finanzminister Olaf Scholz (SPD) wird im Haushaltsausschuss gelöchert. An diesem Donnerstag dann soll der Koalitionsausschuss tagen und Gesetze voranbringen. Alles normal also?

Nein, das ist es nicht. Die Große Koalition bemüht sich zwar darum, am Ende ihres ersten Jahres als ganz normal arbeitende Regierung wahrgenommen zu werden. Das kann sie tatsächlich mit Fakten belegen. Von 139 Regierungsvorhaben sind zwei Drittel abgearbeitet oder in Arbeit; nur drei Vorhaben - Uploadfilter verhindern, strengere Regeln für Rüstungsexporte in Drittländer und Rüstungsexportrichtlinien "schärfen" - sind zumindest vorerst gescheitert. Das ist erst mal eine gute Bilanz.

Die schlechte Nachricht: Es werden womöglich nicht viel mehr Pläne verwirklicht werden.

Die Koalitionspartner haben zuerst jene Projekte abgearbeitet, die ihnen nutzen. Die CSU hat das Baukindergeld bekommen. Die SPD das Gute-Kita-Gesetz. Die CDU eine kleine Steuerentlastung. Alle zusammen den Digitalpakt für Schulen. Jede Partei kann punkten bei ihren Wählern.

Jetzt aber rücken Wahlen näher, in Europa, in Bremen und in drei ostdeutschen Ländern. Und in der Koalition wird weniger über Projekte geredet als über wachsendes Misstrauen geklagt.

Beim Geld wächst der Argwohn

Für Verdruss sorgt der Bundeshaushalt für das Jahr 2020, der gerade geplant wird. Scholz hat, wie sein Vorgänger Wolfgang Schäuble (CDU), an alle Minister persönliche Briefe geschickt, in denen er deren Budgets erläutert. Kein Minister weiß also, wie viel Geld der andere bekommen soll. Das war bei Schäuble kein Problem; auch, weil es jedes Jahr mehr Geld für alle gab. Nun aber, da es knapper zugeht, wächst der Argwohn. Stellt der SPD-Finanzminister die Genossen besser als die Kollegen der Union? Bekommt Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) mehr für die Grundrente als Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) für die Bundeswehr? Oder Giffey mehr für Kitas als Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) für Mobilität? Belege dafür gibt es nicht wirklich. Aber man traut dem anderen nicht über den Weg.

Hinzu kommt der Ärger über die Debatte um das vorzeitige Ende der Kanzlerschaft von Angela Merkel (CDU). Völlig unnötig, findet man in der SPD, hat sich Johannes Kahrs, der Chef des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD, festgelegt, dass er nur eine Kanzlerin Merkel mittrage. In der Union wiederum hält man es für unnötig, dass aus den eigenen Reihen öffentlich das Abdanken der eigenen Kanzlerin gefordert wird. Wie soll der Bürger glauben, in Berlin werde hart gearbeitet?

Und: Wo Misstrauen und Ärger regieren, werden selbst einfache Dinge schwierig - etwa die Tagesordnung des Koalitionsausschusses für diesen Donnerstag ordentlich festzulegen. Das Thema Wolf, so heißt es am Mittwochmorgen, werde besprochen. Ob der doch schneller geschossen werden dürfe. Abgesetzt, heißt es am Mittag. Aha. Wird man den Streit um den Bundeshaushalt 2020 klären? Weiß man nicht. Das werde nur besprochen, wenn sich Scholz in seinen Einzelgesprächen mit den Kollegen nicht einigen könne. Was wiederum wahrscheinlich sei, man denke nur an den Verkehrsminister, der zusätzlich einige Milliarden Euro für die Bahn fordere.

Das Personal hat sich geändert, die Stimmung bleibt vergiftet

Zur Erinnerung: Angela Merkel hatte den Koalitionsausschuss einst eingerichtet, damit die Spitzen von Regierung und Regierungsparteien besonders große Streitigkeiten lösen. Dass sie Kompromisse finden und regieren können. Jetzt dient das Reden als vertrauensbildende Maßnahme.

Die Stimmung in den Koalitionsausschüssen gehört zu den Dingen, die sich im Laufe des Jahres stark gewandelt haben. Vor den Landtagswahlen in Bayern im vergangenen Herbst trug jedes Spitzentreffen Endzeitcharakter. Wegen des heftigen Streits zwischen den damaligen Parteichefs Merkel und Horst Seehofer (CSU) wusste man nie genau, ob es danach noch eine Koalition geben würde. Die Parteichefs sind inzwischen abgetreten. Ihre Nachfolger Annegret Kramp-Karrenbauer und Markus Söder sitzen nun auch im Koalitionsausschuss, Merkels Einfluss ist geringer geworden, auch der von Seehofer. Die Stimmung allerdings hat sich kaum gewandelt. Wenn sich Koalitionsspitzen und Parteichefs an diesem Donnerstag treffen, müssen sie in vergifteter Atmosphäre ein Mindestmaß an Vertrauen schaffen. Das ist nötig, weil der Berg an Aufgaben so groß ist wie das Misstrauen. Vieles ist dringend. Etwa das Klimaschutzgesetz, das, wie es am Mittwoch heißt, recht sicher im Koalitionsausschuss beraten werden soll.

Das von Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) vorgelegte Gesetz birgt genug Stoff, um die Koalition zu sprengen. Eigentlich setzt die Ministerin nur den Rahmen, um die von der Bundesregierung einvernehmlich beschlossenen Klimaziele umzusetzen. Jeder Minister weiß, wie viel Treibhausgas er einsparen muss. Wie das gelingt, bleibt ihm überlassen. Unmöglich, finden das CDU und CSU. Man werde kein "Mach-mal-Gesetz" akzeptieren, sagt Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus. Der Hintergrund: Alle betroffenen Ministerien wie Verkehr, Energie, Landwirtschaft und Wohnen sind unionsgeführt.

Was noch zu besprechen ist? Der Ausbau der Energienetze und des 5G-Netzes, die Reform der Grundsteuer und die Forschungsförderung für Unternehmen. Vielleicht verliert man auch noch ein Wort über deutsche Banken. Ausgang offen.

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