Arabischer Frühling und die Folgen:Wo bleiben Brot, Freiheit, Würde?

Vor genau einem Jahr ist der Arabische Frühling in Ägypten angekommen. Doch was ist geblieben von der Revolution? Viele junge, liberale Aufständische sind enttäuscht - und die zukünftigen Machthaber sollten gewarnt sein: Die Ägypter haben ihre Stimme gefunden. Von nun an werden sie ihre Forderungen entschlossen vertreten. Wenn nötig auch mit einer zweiten Revolution.

Ashraf Swelam, Kairo

Wieder strömen Ägypter auf den Tahrir-Platz und andere Plätze der Befreiung im ganzen Land, dorthin, wo vor einem Jahr alles begann. Doch was ist der Grund dafür? Wollen sie den ersten Jahrestag ihrer Revolution feiern? Oder werden sie kommen, um einen erneuten Versuch zu starten?

Arabischer Frühling und die Folgen: Junge Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo: Sie werden zum Jahrestag der Revolution nicht ausgelassen feiern.

Junge Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo: Sie werden zum Jahrestag der Revolution nicht ausgelassen feiern.

(Foto: AFP)

Ein Jahr, nachdem eine Mischung aus Revolution und Putsch die dreißigjährige Herrschaft Mubaraks beendet hat, der inzwischen gemeinsam mit seinen beiden Söhnen und einigen hochrangigen Kumpanen vor Gericht gestellt worden ist, sind die Ägypter gespalten wie nie zuvor.

Der Oberste Militärrat, der nach Mubaraks Rücktritt am 11. Februar 2011 die Macht übernommen hat, wird alles tun, um den ersten Jahrestag der Revolution als einen Grund zum Feiern zu präsentieren. Aus seiner Sicht ist das nachvollziehbar. Immerhin hat er mit allen Mitteln und erfolgreich dafür gekämpft, die Revolution einzudämmen und einen neuen Status quo zu schaffen, der mindestens die herausgehobene Stellung des Militärs in der ägyptischen Gesellschaft und Politik wahrt. Unter diesen Umständen ist er nun bereit, die Übergabe der Macht an eine gewählte Führung zu akzeptieren.

Auch die Muslimbrüder, Ägyptens am besten organisierte politische Kraft, werden ganz sicher ihren Teil zum Feuerwerk beitragen. Erst gestern nahmen, mehr oder weniger geordnet, 233 Mitglieder ihren Sitz in den vorderen Reihen des ersten demokratisch gewählten Parlaments in der Geschichte Ägyptens ein (von insgesamt 498 Abgeordneten). Auf genau diesen Moment hatte die Organisation mehr als achtzig Jahre gewartet. Möglich wurde er durch eine Revolution, der sich die Bewegung nur zögernd angeschlossen hatte. Am 23. Januar stellte sich Ägyptens neues Parlament nun als gewählter "Erbe" der Revolution vor - oder versucht dies zumindest. Aber zu Recht?

Die jungen, liberalen Revolutionäre, deren Mut und Entschlossenheit in den achtzehn Tagen der Revolution deutlich wurde, lassen die Sektkorken jedenfalls nicht knallen. Mubarak ist zwar weg, für viele ist sein Regime aber noch sehr intakt. Die Rufe, die an diesen ereignisreichen achtzehn Wintertagen im Januar und Februar 2011 zum ersten Mal laut wurden - "Brot, Freiheit und Würde" - haben bisher kaum Ergebnisse gezeitigt.

Die Politik ist zurück in Ägypten

Zudem haben die beiden Zeremonienmeister des Jahrestages, nämlich der Militärrat und die Muslimbrüder, kaum etwas vorzuweisen, mit dem sie das Vertrauen der Menschen gewinnen könnten. Ganz im Gegenteil. Unter dem Militärrat sind weitaus mehr Menschen getötet, verletzt, misshandelt und vor ein Militärgericht gestellt worden als unter Mubarak. Die Muslimbrüder und ihre radikaleren Vettern, die Salafisten, wollen ihrerseits Ägypten zu einem Land machen, das die jungen Menschen abstößt. Die Schlussfolgerung der Revolutionäre ist daher einfach: Die Revolution geht weiter!

Aber geht das? Die Antwort liegt bei der Mehrheit der Ägypter, die eine Demonstration von Tausenden am 25. Januar 2011 in eine Revolution von Hunderttausenden auf dem Tahrir-Platz drei Tage später und von Millionen Menschen im ganzen Land in den darauf folgenden 15 Tagen verwandelt haben. Werden sie das noch einmal tun? Ich vermute - und dies ist wirklich nur eine Vermutung - nein. Auch Hollywood-Regisseure sagen, dass eine Fortsetzung nie so gut wird wie das Original.

Inmitten der sich verschlechternden Wirtschaftslage einerseits und einem immer schlechter werdenden Sicherheitsklima andererseits sehnen sich die meisten Ägypter nach Ordnung - irgendeiner Ordnung. Daher standen sie in einem Land, das Schlangen als etwas ansieht, dem man besser ausweicht, kilometerlang vor den Wahllokalen an, um ihre Stimme abzugeben und ihre Vertreter für das Parlament zu wählen. Sie haben die Macht selbst in die Hand genommen und in einem demokratischen Prozess den meisten Angehörigen des alten Regimes, die vom Militärrat erneut zur Wahl zugelassen worden waren, eine Niederlage nach der anderen beigebracht.

Sie werden wieder in denselben Schlangen stehen und den zur Volksabstimmung vorgelegten Verfassungsentwürfen zustimmen - und ein paar Wochen später erneut, um ihre Stimme bei der Wahl des ersten demokratisch gewählten Präsidenten in der Geschichte Ägyptens abzugeben. Kurz: In ihrem Verlangen nach Sicherheit - persönlicher wie wirtschaftlicher - hat die Mehrheit der Ägypter entschieden, den neuen Kräften eine Chance zu geben, seien es die Muslimbrüder oder der noch zu wählende neue Präsident.

Ich feiere nicht

Aber diese sollten auch gewarnt sein: Die Menschen haben ihre Stimme gefunden und die Mauer der Angst durchbrochen. Das ist bei weitem die größte Errungenschaft der Revolution. Von nun an werden die Ägypter genau aufpassen und ihre neue Führung zur Verantwortung ziehen, mit allen drei Forderungen - Brot, Freiheit und Würde. Wenn die neue Führung diese Forderungen erfüllen kann, braucht Ägypten wohl keine zweite Revolution. Gelingt dies nicht, wäre es denkbar, dass eine zweite Revolution ausbricht.

Um zur Ausgangsfrage zurückzukehren: Muss die ägyptische Revolution gerettet werden? Ich denke, die Antwort hängt davon ab, mit wem man spricht. Unter den Revolutionären lautet sie mit überwältigender Mehrheit: "Ja". Die meisten Ägypter sagen eher "man wird sehen". Wie vor einem Jahr gilt auch heute: Wenn diese beiden Stimmen gemeinsam sprechen - und keinen Tag eher -, wird es einen neuen Aufstand, wenn nicht sogar eine ausgewachsene Revolution geben. Das wird nicht schon morgen der Fall sein. Aber es ist nicht auszuschließen, dass es irgendwann in der Zukunft dazu kommt. Die Politik ist zurück in Ägypten, aber sind auch die Politiker in der Lage, zusammenzuarbeiten und Erfolge zu liefern? Man wird sehen. Was mich anbelangt: Ich feiere nicht.

Ashraf Swelam, Politikberater und Yale World Fellow, kommt aus Ägypten. Sein Beitrag ist Teil einer Reihe zu aktuellen sicherheitspolitischen Herausforderungen weltweit, die Süddeutsche.de in Zusammenarbeit mit der Körber-Stiftung vor der Münchner Sicherheitskonferenz 2012 veröffentlicht. Die Autoren gehören zum Netzwerk der Munich Young Leaders, einem Kooperationsprojekt von Münchner Sicherheitskonferenz und Körber-Stiftung.

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