Ein Bild und seine Geschichte:"Ins Feuer mit Otto dem Letzten"

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Bücherverbrennung 1938 (Foto: Stadtarchiv Salzburg, Fotoarchiv Franz Krieger)

Kurz nach dem "Anschluss" Österreichs an Hitler-Deutschland zelebrierten Salzburger Nazis eine Bücherverbrennung. Der NS-Führung war das grauenhafte Spektakel unangenehm.

Von Oliver Das Gupta, Salzburg

Seine bedeutendsten Bilder knipste Franz Krieger wohl 1938. Es war das Jahr, in dem das nationalsozialistische Deutschland das Nachbarland Österreich einverleibte und Adolf Hitler den "Anschluss" seiner Heimat an seine Diktatur verkündete.

Krieger, ein Salzburger Pressefotograf, hielt mit seiner Kamera fest, wie der Diktator damals auf dem Residenzplatz in Salzburg vorfuhr: Hitler steht auf dem Beifahrersitz seines Mercedes-Cabriolets und schaut auf ein Meer von Menschen, die enthusiastisch die rechten Arme hochreißen.

Wenig später fotografierte Krieger auf demselben Platz ein Ereignis, das noch schauriger war: die Bücherverbrennung. Blonde Hitler-Jungen, fesch in Lederhosen und hellen Hemden gewandet, werfen Bücher auf einen vorher aufgeschichteten Scheiterhaufen.

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So tun es ein SA-Mann, ein Arbeiter, ein Bauer, ein SS-Mann, ein Soldat, ein Mittelschüler. Krieger knipst sie alle an diesem 30. April 1938. Bei dem Fotografen hinterlassen diese Szenen "für lange Zeit den Eindruck, die ganze 'Volksgemeinschaft' habe auf dem Residenzplatz hinter der Sache gestanden", schreibt der Autor Holger Schaeben in seinem lebendig geschrieben Buch über das österreichische "Schicksalsjahr 1938".

Bücherverbrennen - dieser Akt der Barbarei orientierte sich an ähnlichen Aktionen, die die Nazis kurz nach der Machtergreifung im Frühjahr 1933 initiiert hatten. Damals loderten die Scheiterhaufen "wider den undeutschen Geist" an vielen Orten im Deutschen Reich. Propagandaminister Joseph Goebbels zelebrierte die Bücherverbrennung in Berlin persönlich. Erich Kästner stand in der Menschenmenge dabei und musste zusehen, wie Exemplare seines Romans "Fabian" zu Asche wurden.

In Salzburg wurde die Schandtat fünf Jahre später von örtlichen Nazis professionell geplant und schon im Vorfeld eventisiert. Im Salzburger Volksblatt wurde in der Ausgabe vom 28. April die Bevölkerung zu "dieser Feier herzlichst eingeladen".

Es gab sogar Einladungskarten, für die eigens ein Motiv gefertigt worden war: Flammen züngeln hoch über einem liegenden Davidstern, es brennen auch die Insignien des Habsburger-Reiches, auch das Krukenkreuz des austrofaschistischen Ständestaates ist zu sehen.

Gegen 20.30 Uhr zündeten die Nazis den Scheiterhaufen an, dann vernichteten sie 1200 Bücher, die vorher aus Bibliotheken und Privathaushalten eingesammelt worden waren. Es muss eng zugegangen sein auf dem Residenzplatz an diesem Sommerabend. Etwa 5000 Menschen schauten dem Kulturbruch zu, wie die New York Times damals berichtete.

Über die internationale Presse erfuhr auch der Schriftsteller Stefan Zweig von dieser einzigen medial breiter wahrgenommenen Bücherverbrennung in Österreich. Schockiert schrieb er einen Tag später einem Freund, dass Salzburg die Stadt sei, die schon vorher "am stärksten nazistisch war" und ihn "gedemütigt hatte". Der überzeugte Europäer und Friedensfreund Zweig hatte viele Jahre in der Stadt an der Salzach gelebt, 1934 aber war er ins Exil gegangen, nachdem sich der Austrofaschismus etabliert hatte. Vier Jahre später wurde ein Zweig-Buch ins Feuer geschleudert, damit "es die Flammen fressen wie alles jüdische Geschreibe", wie es bei der Verbrennung über den Residenzplatz schallte.

Die mit Pathos vorgetragenen Reden richteten sich nicht nur gegen Juden, Linke und Liberale, sondern auch gegen konservative und gegen katholisch-klerikale Strömungen. Auch die vergangene Doppelmonarchie wurde geschmäht. Ein "Feuerspruch" schmähte explizit den letzten österreichischen Thronfolger und späteren CSU-Europapolitiker Otto von Habsburg (1912-2011).

Die Nazis hatten zu Beginn der NS-Diktatur noch Kontakt zu Habsburg gesucht. "Hitler hat mich zweimal eingeladen", wie der Sohn von Kaiser Karl einmal in einem SZ-Interview schilderte. Unerkannt hatte er sich den Hetzer auf Massenveranstaltungen angesehen.

Otto von Habsburg (der in seinem langen Leben viel Gutes tat, aber auch manchen Unsinn von sich gab) war nach der Lektüre von "Mein Kampf" klar: Das Buch "war grässlich", diesen Politiker wollte er nicht kennenlernen. Das scheint Hitler gewurmt zu haben. "Unternehmen Otto" betitelte der Ober-Nazi denn auch den Einmarsch in Österreich im März 1938, Habsburg stand auf der Liste derjenigen, die Hitler sofort schnappen lassen wollte.

Entsprechend wurde Habsburg auch bei der Salzburger Bücherverbrennung verteufelt. "Ins Feuer mit Otto dem Letzten", rief ein Soldat und warf ein Buch über den Habsburger auf den Scheiterhaufen.

Den Nazi-Oberen war die Salzburger Bücherverbrennung unangenehm

Allerdings war der Nazi-Führung der Scheiterhaufen auf dem Residenzplatz zu diesem Stadium der Diktatur gar nicht recht. Das war zu viel Radau, das war primitiv, und kam im Ausland schlecht an. Und eine Provokation für katholisch-konservativ bewegte Menschen war es obendrein. Die Diktatur war damals ohnehin schon längt dazu übergegangen, per Gesetz die Verfolgung und Entrechtung vermeintlicher "Volksverräter" und "Schmarotzer" zu regeln - vor allem der Juden.

Die gleichgeschaltete Presse ignorierte die Salzburger Bücherverbrennung deshalb, die Nachricht von dem grauenhaften Spektakel wurde im Reich kaum verbreitet. Auf der Österreich-Seite der Münchner Neuesten Nachrichten findet sich ein Bericht über die Feiern vor dem 1. Mai, aber nichts zu den verbrannten Büchern.

Lieber berichtete man über das Ende der "Bettlerplage in Wien", die Folge gewesen sei von der "Systemzeit". Mit der Bezeichnung "System" bezeichneten die Nazis die pluralistische Demokratie. Heute verwenden Rechtsextreme den Begriff, um Parteien zu diffamieren, die nach dem Zweiten Weltkrieg die freiheitlich demokratische Grundordnung der Bundesrepublik begründet haben.

Wenige Monate nachdem die Bücher auf dem Salzburger Residenzplatz brannten, wütete der rechtsextreme Mob gegen die kleine jüdische Gemeinde. In der "Reichspogromnacht" vom 9. auf den 10. November war das, und auch am nächsten Tag. 41 jüdische Salzburger wurden ins KZ Dachau verschleppt. SA-Leute und deren Helfer zerstörten die örtliche Synagoge und die letzten noch nicht "arisierten" Geschäfte.

Auch der Antiquitäten-Laden von Baruch und Therese Spiegel in der Getreidegasse wurde verwüstet und geplündert. Dort wälzen sich heute Touristen in Scharen vorbei, die meisten wollen zum nahen Geburtshaus von Mozart.

Vor 80 Jahren, in den Stunden nach dem Pogrom, war Pressefotograf Krieger wieder zur Stelle und hielt seine Kamera drauf: Die Tür zum Laden der Spiegels ist aus den Angeln gehoben, die Scheiben geborsten, jemand hat eine Kommode auf den Gehsteig getragen. Männer stehen herum und schauen, was da so an Zerstampftem und Zersplitterten auf dem Boden liegt, sie haben die Hände in den Hosentaschen vergraben. In der Mitte bückt sich eine Frau Mitte 60, um etwas aufzuheben. Das ist Therese Spiegel. Vier Jahre später wird sie in Treblinka ermordet.

Das Stadtarchiv Salzburg verwaltet den Fotonachlass von Franz Krieger.

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