Ein Bild und seine Geschichte:Wie der Reichstag den Ersten Weltkrieg beenden wollte

Georg Michaelis bei einer Regierungserklärung im Reichstag, 1917

Blick in den Plenarsaal des Deutschen Reichstages während der Sitzung am 19. Juli 1917

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)
  • Im Juli 1917 kann das deutsche Kaiserreich den Ersten Weltkrieg nicht mehr gewinnen, die Bevölkerung ist frustriert und ausgehungert.
  • Im Reichstag initiieren Sozialdemokraten, Konservative und Liberale eine Friedensresolution, die auf eine Verständigung der Kriegsparteien abzielt.
  • Die Parlamentsinitivative beendet nicht den Krieg, aber spätere Akteure der Weimarerer Republik wie Friedrich Ebert und Matthias Erzberger haben zusammengefunden.

Von Jana Anzlinger

Ein Bild und seine Geschichte

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Der holzgetäfelte Plenarsaal des Berliner Reichstags ist an diesem Hochsommertag vor 100 Jahren so voll wie selten, die Debatte verläuft hitzig. Der Abgeordnete Constantin Fehrenbach erhält das Wort. Er trägt den Beschluss vor, den sein Ausschuss vorbereitet hat.

Fehrenbach spricht vom tobenden Weltkrieg, vom Frieden und von der Völkerverständigung. Sozialdemokraten, Liberale und die Fraktion von Fehrenbachs katholisch-konservativem Zentrum jubeln ihm zu. Mehrere Abgeordnete anderer Parteien springen von ihren Sitzen auf, sie empören sich.

"Einen denkwürdigen Tag begeht der Deutsche Reichstag mit seiner Friedenskundgebung", ruft Fehrenbach. Ein paar Jahre später wird der Rechtsanwalt aus dem Badischen kurz Reichskanzler der Weimarer Republik sein, aber das ahnt an diesem 19. Juli 1917 noch niemand.

Der Beschluss, über den die Abgeordneten des Reichstags damals streiten, wird sich kaum auf den Ersten Weltkrieg auswirken und trotzdem in die Geschichte eingehen: die Friedensresolution des Reichstags.

"Uns treibt nicht die Eroberungssucht"

Deutschland und seine Verbündeten können den Krieg kaum mehr gewinnen. Was 1914 als kurzer und siegreicher Feldzug gedacht war, hatte sich zu einer nie dagewesenen Blutorgie ausgewachsen. In fast jeder Familie ist ein Vater gefallen oder wird ein Bruder und Sohn vermisst. Hunderttausende kamen verkrüppelt und traumatisiert von der Front zurück.

Auch die Zivilbevölkerung fern der Kampflinien leidet große Not, die Nahrungsmittelversorgung ist mitunter katastrophal. Im Steckrübenwinter haben die Deutschen bitterlich gehungert.

Der wiederaufgenommene uneingeschränkte U-Boot-Krieg sollte den Sieg für Kaiser und Vaterland bringen. Doch statt eines militärischen Vorteils hat die wilde Torpediererei die Vereinigten Staaten von Amerika im Frühjahr 1917 dazu gebracht, den Gegnern Deutschlands zu Hilfe zu kommen (hier mehr dazu).

Angesichts der prekären Lage versuchen in Deutschland Parlamentsabgeordnete, den Krieg zu beenden. In einem gemeinsamen Ausschuss entwickeln sie die Resolution. Der spätere sozialdemokratische Reichspräsident Friedrich Ebert ist dabei, hauptverantwortlich ist aber Matthias Erzberger von der Zentrumspartei.

Erzberger, Ebert und die anderen Friedensbereiten glauben noch daran, dass es glimpflich für Deutschland ausgeht. Der Resolutions-Entwurf von SPD, Zentrum und Fortschrittlicher Volkspartei fordert einen sogenannten Verständigungsfrieden. Das heißt: Alle Kriegsparteien behalten die Gebiete, die sie im Krieg erobert haben, die beteiligten Länder nehmen wieder Wirtschaftsbeziehungen auf. Es soll keine Sieger und keine Verlierer geben.

"Uns treibt nicht die Eroberungssucht", heißt es in der Resolution und das ist wohl die wichtigste Botschaft: Wir werden nicht kapitulieren, aber wir sind zum Frieden bereit. Das Kaiserreich kämpfe, heißt es weiter, zur "Verteidigung seiner Freiheit und Selbstständigkeit", und nicht, um sich noch mehr Territorium einzuverleiben.

Die Feldherren wollen siegen, der Kanzler lehnt die Resolution ab

Nach der Debatte geben die Befürworter Kärtchen ab, auf denen "Ja" steht. Am Ende sind es 214 Stimmen für die Friedensresolution. Deren Gegner, darunter rechte Nationalliberale aber auch die von der SPD abgesplitterte ultralinke USPD kommen auf 116 Stimmen. Damit ist die Friedensresolution angenommen. Beifall tönt durch das Reichstagsgebäude - doch mehr passiert nicht. Das Parlament ist in der Monarchie nicht in der Lage, den Frieden zu erzwingen.

Auf deutscher Seite liegt die Entscheidungsgewalt vor allem bei der Obersten Heeresleitung unter Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff, die Heerführer sind es, die auf deutscher Seite den Krieg führen. Selbst der ohnehin wankelmütige Kaiser Wilhelm II. hat kaum mehr Einfluss. Die Oberste Heeresleitung nimmt die Resolution öffentlich zur Kenntnis. Aber eigentlich kommt ein Verständigungsfrieden für sie nicht in Frage. Die Feldherren wollen siegen.

Auch der frisch berufene Reichskanzler Georg Michaelis lehnt die Resolution insgeheim ab. Der 19. Juli ist sein erster Tag im Parlament, er heuchelt Offenheit. Später wird er den Versuch des Vatikan sabotieren, zwischen den Kriegsgegnern zu vermitteln.

Auch für die Feindstaaten ist die Resolution nicht akzeptabel. Denn dem Vorschlag zufolge würden die von den Deutschen überfallenen neutralen Staaten Belgien und Luxemburg (hier mehr dazu) sowie die besetzten Teile Frankreichs an das Deutsche Reich fallen. Doch von dieser Forderung weicht der Reichstag nicht ab: Den Deutschen gegenüber wäre nicht zu vermitteln, wofür sie jahrelang gelitten haben.

Am selbst 1917 noch vorhandenen militaristischen Hurra-Ton ändert die Resolution wenig. "Neue U-Bootserfolge", melden die Münchner Neuesten Nachrichten in ihren Kriegs-Chroniken am 19. Juli 1917. An der östlichen Front seien Russen "überall unter schweren Verlusten zurückgeschlagen worden", schreibt die SZ-Vorgängerzeitung.

Viele Jahre später wird der Historiker Golo Mann das Reich im Sommer 1917 vergleichen mit einem "Bergsteiger, der sich verstiegen hat" und kurz vor dem Gipfel an einer Steilwand hängt: Einerseits kommt er nach oben nicht weiter, aber andererseits will er nicht absteigen, "weil dann alle bisherige Mühe und Qual umsonst gewesen wäre". Was Mann damit sagen will: Im Juli 1917 kann Deutschland "weder Frieden machen noch siegen".

Die Kräfte der Resolution bauen später das demokratische Deutschland auf

Trotzdem ist die Friedensresolution ein wichtiger Meilenstein der Parlamentsgeschichte. Zum ersten Mal versuchen die gewählten Volksvertreter, aktiv in das politische Geschehen im Krieg einzugreifen. Zwar durfte der Reichstag schon zuvor die Kriegskredite abnicken, doch da fühlten sich die Abgeordneten genötigt, zuzustimmen: Der Krieg war schon erklärt und hätte nicht anders finanziert werden können.

Die Friedensresolution empfinden die Abgeordneten anders. Sie haben die Initiative ergriffen, und sie haben lagerübergreifend agiert: Sozialdemokraten, Linksliberale und Zentrumsabgeordnete haben sich zusammengeschlossen. Ihr interfraktioneller Ausschuss wird das Ende des Kaiserreichs überdauern und Ausschussdemokratie und Spitzentreffen vorwegnehmen.

Im Juli 1917 weiß das noch niemand. Am Tag nach der Friedensresolution diskutiert man im Plenum, ob die Armee Gewerkschafter einziehen darf, wie Jugendliche auf ihren Wehrdienst vorbereitet werden sollen und ob Bierbrauen Nahrungsmittel vergeudet. Vielleicht nickt der Sozialdemokrat Ebert seinem Kollegen Erzberger zu und denkt, dass man mit diesen Katholiken eigentlich gut arbeiten kann.

Ein Jahr später werden sie gemeinsam den Krieg beenden - und das Kaiserreich gleich mit abwickeln. Ebert wird als Kanzler den Übergang von der Monarchie zur Republik managen, später wird er zum ersten Reichspräsidenten gewählt. Erzberger unterzeichnet 1918 den Waffenstillstand, den Hindenburg und andere große Krieger gefordert hatten. Später fallen die Militärs den demokratischen Politikern in den Rücken und stellen sie als Verräter hin. Drei Jahre darauf ermorden Rechtsradikale Matthias Erzberger (hier mehr dazu).

Nach dem Ersten Weltkrieg schaffen es die politischen Kräfte, die hinter der Friedensresolution standen, die Lage in Deutschland zu stabilisieren. Sozialdemokraten, Konservativen und Liberale gelingt es, das demokratische Deutschland aufzubauen. 1933 sind sie machtlos, als die Republik in furchtbarer Dunkelheit verschwindet.

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