Man kann nicht behaupten, sie hätten klein beigegeben. Bis zur letzten Sekunde klammerten sich die Separatisten im katalanischen Regionalparlament am Freitagnachmittag an ihren Traum von der Unabhängigkeit von Spanien. Während in Madrid der Senat schon die Absetzung der Regionalregierung vorbereitete, brachten die Parteien, die diese Regierung bilden, im Parlament von Barcelona trotzig ihren wohl letzten Antrag ein: die Gründung "einer katalanischen Republik" als unabhängigen Staat.
Dessen Annahme durch die Parlamentarier der separatistischen Mehrheit stand außer Frage. Denn die Oppositionsparteien - die Konservativen (PP), Sozialisten und Liberalen - boykottierten die Abstimmung und verließen das Parlament. Bedeutungslos war die Entscheidung sowieso, denn die spanische Verfassung lässt eine Sezession eines Landesteils nicht zu, eine Abstimmung darüber ist mithin ungültig. Wer mit "Ja" stimmte, machte sich sogar strafbar. Es ging also, wie so oft im spanischen Separatismus, um die größtmögliche, volltönende Symbolhaftigkeit.
Am Abend war es dann so weit: Nach einer Sondersitzung des Kabinetts trat der spanische Ministerpräsident gegen halb neun vor die Presse und verkündete, was bereits erwartet worden war: Die gesamte katalanische Regierung werde abgesetzt, das Regionalparlament aufgelöst. Dies seien "erste Maßnahmen", um eine weitere "Eskalation des Ungehorsams" zu verhindern, sagte Rajoy. Er kündigte Neuwahlen für den 21. Dezember an.
Nur Stunden zuvor hatte der Senat in Madrid dem Antrag der Regierung auf Zwangsmaßnahmen mit großer Mehrheit zugestimmt. Zentrale Schaltstellen der Verwaltung Kataloniens werden nun von Madrid aus besetzt.
Auf der Straße gaben sich Tausende dem Taumel der Begeisterung hin
Die Debatte in Barcelona hatte am Nachmittag turbulente Züge angenommen. Hunderte Bürgermeister ländlicher Gemeinden waren angereist und feuerten die Sezessionisten an. Der Sprecher der liberalen Ciudadanos, Carlos Carrizosa, hingegen zerriss ein Exemplar der Unabhängigkeitserklärung und sagte, es handele sich um einen Putsch. Draußen auf der Straße gaben sich tausende Demonstranten nach dem Votum dem Taumel der Begeisterung hin - dabei bestand dafür wenig Anlass.
Denn Katalonien hatte am Freitag nicht etwa die Unabhängigkeit gewonnen, sondern die Autonomie verloren, zumindest bis zur Wahl einer neuen Regierung. Das bemühte sich auch der spanische Ministerpräsident Rajoy klarzustellen, der unmittelbar nach der Abstimmung in Barcelona twitterte: Der Rechtsstaat werde die Achtung von Recht und Gesetz in Katalonien wieder herstellen. Seine Landsleute rief er zur Ruhe auf.
Für seinen Gegenspieler Puigdemont war es ein denkbar schlechter Tag. Nicht nur, dass er sein Amt verlor. Kurz zuvor hatte auch noch die spanische Generalstaatsanwaltschaft erklärt, dass sie ein Verfahren gegen ihn wegen "Rebellion" einleiten werde, schon in der kommenden Woche soll Anklage erhoben werden. Auf "Rebellion" steht in Spanien eine Höchststrafe von 30 Jahren.