Separatismus in Spanien:Rajoy setzt gesamte katalanische Regierung ab

Separatismus in Spanien: Am Abend trat Rajoy vor die Presse und verkündete die Entmachtung der gesamten katalanischen Regionalregierung.

Am Abend trat Rajoy vor die Presse und verkündete die Entmachtung der gesamten katalanischen Regionalregierung.

(Foto: AFP)
  • Spaniens Ministerpräsident hat nach einer Sondersitzung des Kabinetts die gesamte katalanische Regierung abgesetzt und Neuwahlen in Katalonien ausgerufen.
  • Der Senat in Madrid hat mit großer Mehrheit dafür gestimmt, Katalonien unter Zwangsverwaltung zu stellen.
  • Derweil kündigte die spanische Justiz ein Verfahren gegen Puigdemont wegen "Rebellion" an - ihm drohen bis zu 30 Jahre Haft.
  • Am Nachmittag hatte das Regionalparlament in Barcelona einem Antrag zugestimmt, mit dem eine "unabhängige Republik" gegründet werden sollte.

Von Sebastian Schoepp und Thomas Urban

Man kann nicht behaupten, sie hätten klein beigegeben. Bis zur letzten Sekunde klammerten sich die Separatisten im katalanischen Regionalparlament am Freitagnachmittag an ihren Traum von der Unabhängigkeit von Spanien. Während in Madrid der Senat schon die Absetzung der Regionalregierung vorbereitete, brachten die Parteien, die diese Regierung bilden, im Parlament von Barcelona trotzig ihren wohl letzten Antrag ein: die Gründung "einer katalanischen Republik" als unabhängigen Staat.

Dessen Annahme durch die Parlamentarier der separatistischen Mehrheit stand außer Frage. Denn die Oppositionsparteien - die Konservativen (PP), Sozialisten und Liberalen - boykottierten die Abstimmung und verließen das Parlament. Bedeutungslos war die Entscheidung sowieso, denn die spanische Verfassung lässt eine Sezession eines Landesteils nicht zu, eine Abstimmung darüber ist mithin ungültig. Wer mit "Ja" stimmte, machte sich sogar strafbar. Es ging also, wie so oft im spanischen Separatismus, um die größtmögliche, volltönende Symbolhaftigkeit.

Am Abend war es dann so weit: Nach einer Sondersitzung des Kabinetts trat der spanische Ministerpräsident gegen halb neun vor die Presse und verkündete, was bereits erwartet worden war: Die gesamte katalanische Regierung werde abgesetzt, das Regionalparlament aufgelöst. Dies seien "erste Maßnahmen", um eine weitere "Eskalation des Ungehorsams" zu verhindern, sagte Rajoy. Er kündigte Neuwahlen für den 21. Dezember an.

Nur Stunden zuvor hatte der Senat in Madrid dem Antrag der Regierung auf Zwangsmaßnahmen mit großer Mehrheit zugestimmt. Zentrale Schaltstellen der Verwaltung Kataloniens werden nun von Madrid aus besetzt.

Auf der Straße gaben sich Tausende dem Taumel der Begeisterung hin

Die Debatte in Barcelona hatte am Nachmittag turbulente Züge angenommen. Hunderte Bürgermeister ländlicher Gemeinden waren angereist und feuerten die Sezessionisten an. Der Sprecher der liberalen Ciudadanos, Carlos Carrizosa, hingegen zerriss ein Exemplar der Unabhängigkeitserklärung und sagte, es handele sich um einen Putsch. Draußen auf der Straße gaben sich tausende Demonstranten nach dem Votum dem Taumel der Begeisterung hin - dabei bestand dafür wenig Anlass.

Denn Katalonien hatte am Freitag nicht etwa die Unabhängigkeit gewonnen, sondern die Autonomie verloren, zumindest bis zur Wahl einer neuen Regierung. Das bemühte sich auch der spanische Ministerpräsident Rajoy klarzustellen, der unmittelbar nach der Abstimmung in Barcelona twitterte: Der Rechtsstaat werde die Achtung von Recht und Gesetz in Katalonien wieder herstellen. Seine Landsleute rief er zur Ruhe auf.

Für seinen Gegenspieler Puigdemont war es ein denkbar schlechter Tag. Nicht nur, dass er sein Amt verlor. Kurz zuvor hatte auch noch die spanische Generalstaatsanwaltschaft erklärt, dass sie ein Verfahren gegen ihn wegen "Rebellion" einleiten werde, schon in der kommenden Woche soll Anklage erhoben werden. Auf "Rebellion" steht in Spanien eine Höchststrafe von 30 Jahren.

Puigdemont hatte die Zügel bereits vor Tagen aus der Hand gegeben

Rajoy hatte dem Senat bereits am Vormittag dargelegt, warum seine Regierung ein derartig hartes Durchgreifen für unvermeidlich hält. Ein Rechtsstaat könne fortgesetzten Verfassungsbruch, der zur Spaltung der Gesellschaft geführt habe, nicht zulassen. Die Regionalregierung in Barcelona habe Gesetze missachtet und die Demokratie verhöhnt.

Die radikalen Sezessionisten kündigten Widerstand an. Sie würden die Autorität Madrids nicht anerkennen und weiterhin zu einer Regierung Puigdemont stehen. Für die nächste Woche wurde ein Generalstreik ausgerufen - jedenfalls sofern die Aussetzung der Autonomie Arbeitnehmerrechte tangiere, wie es zunächst von der Gewerkschaftsspitze hieß.

Carles Puigdemont wirkt zunehmend zerfahren

Carles Puigdemont hatte zu diesem Zeitpunkt die Zügel allerdings schon aus der Hand gegeben. Es war ihm Tage zuvor anzusehen gewesen, wie sehr er darunter gelitten hatte, nicht als Erschaffer der katalanischen Unabhängigkeit in die Geschichte einzugehen. Früher waren ein spitzbübisches Lächeln und Schlagfertigkeit seine Markenzeichen gewesen, nun wirkte er zunehmend zerfahren.

Puigdemont hätte der Dramatik der Ereignisse nur zuvorkommen können, wenn er selbst Neuwahlen ausgerufen hätte. Dazu konnte er sich aber nicht durchringen. Er wollte zuvor sichergestellt wissen, dass dann Artikel 155 der Verfassung nicht in Kraft trete, Katalonien also seine Autonomie behalten würde. Als am Donnerstag klar wurde, dass sich Rajoy darauf nicht einlassen würde, trat Puigdemont vor die Presse und sagte, alles Weitere sei nun Sache des Parlaments.

Puigdemont hatte schon in den vergangenen Wochen angekündigt, dass er sich aus der ersten Reihe der Politik zurückziehen werde. Er meinte damit wohl die Rückkehr in seine idyllische und wohlhabende Heimatstadt Girona, in der er als Bürgermeister viel bewirkt hat. Nun könnte es sein, dass er - eskortiert von Beamten der nationalen Polizei abtreten muss. Es wurde sogar kolportiert, Puigdemont wolle ins Exil nach Frankreich, ins Roussillon oder "Nordkatalonien", wie die Provinz bei katalanischen Nationalisten heißt.

Puigdemont war immer mehr zwischen die Mühlsteine geraten: Madrid auf der einen Seite, seine wesentlich radikaleren Koalitionspartner auf der anderen. Puigdemont selbst ist ein eher liberalkonservativer Politiker, er gehört der Partit Demòcrata Europeu Català an, Nachfolgerin der Partei Convergència, einer Art katalanischer CSU. Er wurde stetig unter Druck gesetzt von dem bulligen Oriol Junqueras, Vorsitzenden der Linksrepublikaner (ERC), zusammen bildeten ihre Parteien das Bündnis "Gemeinsam für das Ja", abgekürzt JxSí. Dieses wurde im Parlament gestützt - und auch sehr wirkungsvoll erpresst - von der quirligen CUP, einer linksalternativen Partei, deren Aktivisten der Aufbau eines sozialistischen Staats außerhalb der westlichen Strukturen vorschwebt mit verstaatlichten Banken und Betrieben.

Rajoy hielt bis zuletzt an seiner Linie fest: Die Abstimmung ist illegal

Der einzige gemeinsame Nenner dieser buntscheckigen Koalition war die Unabhängigkeit. Sie hatte 2015 zusammen nur knapp 48 Prozent der Stimmen bekommen - wie es den Separatisten überhaupt noch nie gelungen ist, eine echte Mehrheit in ganz Katalonien zu erringen, weder bei Wahlen noch bei verschiedenen Abstimmungen.

Dass die Separatisten nur eine Minderheit vertreten, war stets das Argument von Spaniens Ministerpräsident Rajoy. Nicht zuletzt damit begründete er die harten Maßnahmen gegen die Sezessionisten - vom Knüppeleinsatz am 1. Oktober bis zur Verhaftung von Aktivisten - bis nun zur Absetzung der Regionalregierung. Es gehe nicht darum, Katalonien zu unterdrücken, sondern zu retten.

So argumentierte Rajoy auch vor der Abstimmung im Madrider Senat über die Aussetzung der katalanischen Autonomie am Freitag. Die Regionalregierung habe am 1. Oktober eine illegale Volksabstimmung abgehalten ohne jede demokratischen Garantien. "Was würden wohl Frankreich oder Deutschland machen, wenn eine Region ein illegales Referendum über die Unabhängigkeit abhalten würde?", fragte der Ministerpräsident. "Niemand von außen hilft ihnen", sagte er an die Separatisten gerichtet, und das stimmt wohl. Im Rest Spaniens haben die Separatisten nicht einmal bei der extremen Linken Unterstützer.

Viele europäische Spitzenpolitiker haben dem katalanischen Sezessionismus schon vor Wochen eine Absage erteilt. Sie stellten sich auch nach dem Unabhängigkeits-Votum und der Absetzung der katalanischen Regierung hinter Mariano Rajoy. Die deutsche Bundesregierung erklärte am Freitag, sie werde das katalanische Votum nicht anerkennen. Regierungssprecher Steffen Seibert nannte es, mit Verweis auf die Volksabtimmung im Oktober, einen "erneuten Verfassungsbruch". Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron sagte, er habe "einen Partner" in Spanien, das sei Regierungschef Mariano Rajoy. EU-Ratspräsident Donald Tusk schrieb auf Twitter, für die EU ändere sich nichts: "Spanien bleibt unser einziger Gesprächspartner."

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