Süddeutsche Zeitung

Ankläger im Eichmann-Prozess:Ein Kämpfer namens Gabriel Bach

Nach der Entführung Adolf Eichmanns vor 60 Jahren war Gabriel Bach einer der Ankläger in Jerusalem. Heute blickt der gebürtige Deutsche zurück auf den historischen Prozess gegen den NS-Massenmörder.

Von Alexandra Föderl-Schmid

Für alle ist er ein Begriff, für ihn selbst beherrscht er sein Leben: der Eichmann-Prozess. Gabriel Bach ist 93 Jahre alt, er spielte als Ankläger im Verfahren gegen Adolf Eichmann eine entscheidende Rolle: "Es vergeht kein Tag, an dem ich mich nicht an Aussagen oder einen der Momente erinnere. Der Prozess berührt mich."

Bach, dem man sein hohes Alter aufgrund seiner stattlichen Erscheinung und der mit Nachdruck vorgebrachten Sätze nicht anmerkt, ist einer der letzten noch lebenden Zeugen des Jerusalemer Verfahrens gegen Eichmann. Er kann stundenlang erzählen von dem Prozess, der sein Leben geprägt hat. Mit dem Satz "Das kann man schwer vergessen" springt er von einer Erinnerung zur nächsten.

60 Jahre ist es her, dass Eichmann, der während der Nazizeit die Verfolgung, Vertreibung und Deportation von Juden organisiert hatte, von Agenten des israelischen Geheimdienstes Mossad, wie Rafi Eitan, in der tollkühnen "Operation Finale" festgesetzt wurde. Eichmann lebte in Buenos Aires unter falschem Namen.

Der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer gab den entscheidenden Hinweis den Israelis - weil er der deutschen Polizei und Justiz misstraute. Eichmann wurde am 22. Mai 1960 - getarnt als Mitarbeiter der Fluglinie El Al - nach Israel entführt. Ein Richter erließ dort am 23. Mai 1960 Haftbefehl.

"Ich hörte im Radio, als unser Premierminister David Ben Gurion mitteilte, dass Eichmann gefasst ist und in Israel vor Gericht stehen wird", erzählt Bach. Zwei Tage später rief ihn Justizminister Pinchas Rosen zu sich: Bach war damals stellvertretender Generalstaatsanwalt: "Er hat mir gesagt: Sie werden einer der Ankläger sein. Das wird ein besonderer Prozess."

Der Prozess gegen Adolf Eichmann hat Israel geprägt. Er hat den jüdischen Opfern eine Stimme gegeben und dem deutschen Massenmord ein Gesicht.

Vor Gericht tauchte Bach wieder ein in die Welt des Bösen, dem er 1938 so knapp entkommen war

Erstmals wurde der Welt das Ausmaß und die Systematik des Holocaust wirklich vor Augen geführt. Adolf Hitler und andere Nazi-Größen waren tot. Adolf Eichmann stand für die gnadenlose Vernichtungsmaschine und die Tötung von sechs Millionen Juden.

Deshalb war es so wichtig, einem der Hauptverantwortlichen den Prozess machen zu können - und das in Israel. Und ein solcher Mann war der 1906 geborene Adolf Eichmann, der als SS-Obersturmbannführer und Leiter des Referats für "Judenangelegenheiten" im Reichssicherheitshauptamt zum Cheforganisator des Genozids wurde.

Die Bedeutung des Prozesses beschrieb der als "Eichmann"-Jäger bekannte Agent Eitan in einem Gespräch mit der SZ 2011 so: "Es ging nicht um Rache. Vielleicht könnte man von Vergeltung sprechen - aber nur in dem Sinne, dass Eichmann für seine Verbrechen büßen musste, dass an ihm, der keine Gerechtigkeit gekannt hatte, nun Gerechtigkeit geübt wurde."

Der Minister bat Bach, als Verantwortlicher die Untersuchungen vor dem Prozess zu leiten. Für Eichmann wurde ein Gefängnis nahe Haifa geräumt. Neun Monate lang quartierte sich Bach in einem Hotel ein und fuhr jeden Tag ins Gefängnis. Ein Polizeioffizier führte die Verhöre und berichtete Bach am Abend, was Eichmann gesagt hatte: "Ich habe dann allgemeine Instruktionen gegeben, wie man die Untersuchung weiterführen sollte."

Bach tauchte ein in eine Welt, der er entkommen war. Eine Vergangenheit, in der "Juden nicht auf Bänken sitzen durften" und ihnen ein Boot auf dem Wannsee in Berlin verwehrt wurde, wie er sich erinnert. Zwei Wochen vor der Reichspogromnacht am 9. November 1938 gelang der Familie die Flucht aus Berlin.

Vor der holländischen Grenze wurden er, seine Eltern und seine Schwester aus dem Zug geholt, der Inhalt ihrer Koffer wurde verstreut. "Ein SS-Mann hat mich mit dem Schuh in einen gewissen Körperteil getreten und Richtung Zug befördert. Dass ich mit einem Fußtritt aus Deutschland hinausbugsiert wurde, ist mir erst später klar geworden", sagt Bach und lacht herzhaft.

Er war damals elf Jahre alt, ein Kind. Als 34-Jähriger stand Bach dann erstmals Eichmann gegenüber und verhielt sich "korrekt", wie er selbst sagt. Er habe Eichmann mitteilen lassen, wenn er irgendwelche Probleme habe wegen seiner Gesundheit oder seiner Familie, dann sei er bereit, mit ihm zu sprechen. Beim ersten Treffen wollte Eichmann wissen, wen er als Verteidiger bekommt, und schlug Robert Servatius vor, einen der Hauptverteidiger in den Nürnberger Prozessen gegen die Nazi-Größen.

Eichmann habe ihn gefragt, ob er das mit der israelischen Regierung klären könne: "Ich habe ich ihm gesagt: ,Da brauche ich nicht zu fragen. Die israelische Regierung hat gesagt, sie wird jeden nehmen, den Sie wollen, und für die Kosten aufkommen.'"

Die Frage, wie es ihm selbst beim ersten Aufeinandertreffen mit Eichmann gegangen ist, lässt Bach unbeantwortet. Er erzählt lieber, wie er sich durch Dokumente von Opfern gearbeitet hat, die Eichmann um ihr Leben angefleht hätten. Aber Eichmann habe keine Gnade walten lassen, nicht einmal bei einem Mann, dessen Erfindung für die Wehrmacht von Nutzen hätte sein können.

Was Bach selbst angetrieben hat? "Mein Ziel war es zu beweisen, dass er nicht nur Befehlsempfänger war, sondern dass er sich mit der Tötung der Juden identifizierte. Er wollte wirklich das ganze jüdische Volk umbringen."

Bach forderte Akten aus der Bundesrepublik an: "Die deutsche Regierung war ungeheuer freundlich. Sie haben uns alle Dokumente geschickt, die wir haben wollten." Schreiben von Überlebenden der Schoah erreichten Bach in dieser Zeit, "dagegen schickten Nazis aus allen möglichen Ländern schickten Briefe, die Eichmann entlasten sollten".

Der in Großbritannien ausgebildete Jurist Bach las zur Vorbereitung auf den Prozess die Gespräche, die der Niederländer Willem Sassen mit Eichmann in den Fünfzigerjahren in Buenos Aires geführt hatte. "Die zeigen klar, dass Eichmann nicht nur ein Befehlsempfänger war. Denn er sagte zu diesem Zeitpunkt, es tut ihm leid, dass er nicht hart genug war und die ,Wiedererrichtung der Rasse' und den Staat Israel nicht verhindern konnte."

Es gab nur einen einzigen Moment im Verfahren, in dem es Bach die Sprache verschlug

Bach arbeitet sich auch durch die Autobiografie von Rudolf Höß, dem Kommandanten des Vernichtungslagers Auschwitz: "Höß schrieb, ihm hätten manchmal die Knie gezittert, wenn er Kinder in die Gaskammer stoßen musste. Aber Eichmann habe ihm erklärt, dass es vor allem die jüdischen Kindern seien, die man umbringen müsse. Sie seien die möglichen Rächer und die Keimzelle neuen Lebens dieser Rasse."

Was am schlimmsten gewesen sei? Es gab für Bach mehrere solcher Erlebnisse, eines vor Prozessbeginn. Für das Gerichtsverfahren wurden 300 Filme zur Verfügung gestellt, die das Grauen in den KZs und Vernichtungslagern von Auschwitz bis Treblinka zeigten: "Ich habe drei Tage und drei Nächte zugebracht und all diese Filme gesehen. Die grausigsten Sachen habe ich zu einem 45-minütigen Film verarbeitet."

Aus Fairnessgründen hat er Adolf Eichmann und dessen Verteidigern den Film vorab gezeigt, er wollte aber gern etwas wissen: "Ich habe auf ihn geguckt, wie er reagiert. Er war sehr stoisch, hat kaum reagiert. Nur einmal wandte er sich sehr aufgeregt zu dem Wächter neben ihm."

Was diese Emotionen ausgelöst hat? "Eichmann hat sich darüber aufgeregt, dass man ihn kurzfristig gerufen hatte und er nicht seinen dunklen Anzug anhatte. Das war das Einzige, was ihn berührt hat."

Und was war das Schlimmste während des Prozesses? Wie so oft leitet Bach mit der Bemerkung ein, dass er etwas nicht vergessen könne. In diesem Fall die Geschichte des Mädchens mit dem roten Mantel. Der Zeuge Martin Földi hat sie im Gerichtssaal erzählt.

Földis Frau und seine Kinder wurden nach der Ankunft in Auschwitz nach links in den Tod geschickt, er musste nach rechts. "Das Letzte, was er sah, als seine Familie aus seinem Leben verschwand, war der rote Mantel seiner zweieinhalb Jahre alten Tochter. Ein roter Punkt, der immer kleiner wurde", erinnert sich Bach. "Nachdem er das gesagt hatte, konnte ich nicht weitermachen. Das war der einzige Moment im Prozess, in dem ich meine Sprache verlor."

Bach hatte seiner Tochter Orli, damals zweieinhalb Jahre alt, kurz zuvor ebenfalls ein rotes Mäntelchen gekauft. "Ich sah sie vor mir und brauchte eine Pause. Es dauerte einige Minuten, bis ich mich wieder gefangen hatte."

Der Prozess, der am 11. April 1961 begonnen und am 15. Dezember desselben Jahres beendet wurde, endete mit dem Todesurteil. Wie hat Eichmann reagiert? "Er hat behauptet, dass er keine Strafe verdient hat, weil er nur Befehle ausgeführt hat." Eichmann legte Berufung ein, das Todesurteil wurde am 29. Mai 1962 durch das Berufungsgericht bestätigt, auch in diesem Verfahren war Bach Staatsanwalt.

Bach lehnt die Todesstrafe ab, eigentlich. Im Fall Eichmanns macht er eine Ausnahme

Danach reichte Eichmann ein Gnadengesuch beim israelischen Präsidenten ein. Vor der Verkündigung der Entscheidung fragte die Regierung die beteiligten Staatsanwälte, wie man im Falle einer Ablehnung weiter verfahren solle. Bach schlug vor, mit der Verkündung der Ablehnung des Gnadengesuches bis 23 Uhr zu warten undeine Stunde später "die Sache durchzuführen", sagt er: "Das ist von der Regierung genauso gemacht worden."

Am Tag vor der Hinrichtung hat Bach Eichmann noch einmal besucht. Das Todesurteil ist das einzige, das in Israel jemals vollstreckt wurde. Bach lehnt eigentlich die Todesstrafe ab. In Eichmanns Fall, so findet er, war diese Entscheidung richtig.

In diesem Prozess wurden erstmals die Traumata der Shoah aufgearbeitet, und doch war er nicht unumstritten. Die Philosophin Hannah Arendt, die den Prozess beobachtete, schrieb danach über die "Banalität des Bösen", dass die Verhandlung wie ein Theaterstück inszeniert worden sei und Eichmann eigentlich ein Schreibtischtäter gewesen sei, ein Werkzeug des NS-Regimes.

Bach lässt das nicht gelten. Er habe Hannah Arendt damals angeboten, ausführlicher mit ihm zu sprechen: "Ich weiß bis heute nicht, warum sie das nicht angenommen hat." Das Buch habe er nur "überflogen" und rasch wieder weggelegt: "Es stimmt einfach so vieles nicht."

Wohl auch deshalb kämpft er weiter in der Gegenwart für seine Anklage aus der Vergangenheit: zu beweisen, "dass Eichmann eben nicht nur Befehlsempfänger war". Bachs Motiv: Nicht vergessen, nicht vergeben. Bis vor Kurzem nahm er gerne Einladungen an - auch aus Deutschland oder Japan: "Interessanterweise steigt das Interesse fast von Monat zu Monat." Seit der Erkrankung seiner Frau Ruth reist er nicht mehr gerne, nun kamen auch noch die Corona-Maßnahmen dazu.

Aber er erzählt gerne, auch am Telefon in seiner Jerusalemer Wohnung. "Ich kann mich nicht mehr an jedes Detail meines Lebens erinnern. Aber die Einzelheiten des Eichmann-Prozesses sind etwas, was man schwer vergessen kann." Ob ihm die jüngsten Entwicklungen in Deutschland Sorgen bereiten? Mit einer solchen Lebensgeschichte betrachtet man vieles mit Gelassenheit. Bach sagt: "Man hört ja sehr viel über den wachsenden Antisemitismus. Das kommt nicht so an mich heran. Ich bin und bleibe ein unverbesserlicher Optimist."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4913769
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 23.05.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.