Die gute Nachricht ist: Sie kommen immer noch. Jeden Tag empfangen freiwillige Helfer Flüchtlinge vor dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso). Sie leisten medizinische Hilfe, verteilen Kleider oder unterstützen die Neuankömmlinge einfach bei der Registrierung. So war das schon den ganzen Sommer über, nicht nur in Berlin. In vielen deutschen Städten unterstützten Ehrenamtliche die Behörden mit Essens- und Kleidersammlungen oder hießen Flüchtlinge schlicht herzlich willkommen.
Doch was kommt nach dem Sommer der Hilfsbereitschaft? Diese Frage stellte sich schnell, verbunden mit Warnungen: Die Hilfsbereitschaft könne bald enden, die Helfer irgendwann erschöpft wegbleiben, die Stimmung kippen. Wenn sich nämlich rausstellt, dass es in der Flüchtlingskrise einfache und schnelle Lösungen nicht geben wird.
Enttäuscht von der Politik
Nun ist der Sommer vorbei, es ist längst kalt und nass und die Stimmung in Berlin kippt tatsächlich. Die Helfer bleiben zwar nicht weg, doch sie sind erschöpft und enttäuscht. Enttäuscht von der Politik, den Behörden, von denen sie sich alleingelassen fühlen. Am Wochenende trugen sie ihre Wut zum ersten Mal auf die Straße. Und gestern lehnten sie eine Einladung des Senats zu einem Empfang im Roten Rathaus demonstrativ und mit deutlichen Worten ab.
Wie können wir Prosecco trinken, während Flüchtlinge in der Kälte stehen?, fragten sie empört. Und zählen die Missstände aus ihrer Sicht auf: Im Lageso gebe es immer noch keinen 24-Stunden-Service, Behördenvertreter ließen pünktlich zu Büroschluss oder zum Wochenende den Stift fallen, Flüchtlinge stünden dann ohne Schuhe in der Kälte, die medizinische Versorgung leisteten seit nunmehr drei Monaten ausschließlich Freiwillige, unbezahlt. Schon machen erste Vermutungen die Runde: Macht Berlin das etwa mit Absicht? Damit sich die schlechte Versorgung rumspricht, weniger Flüchtlinge kommen?
Das muss den Berliner Senat alarmieren. Denn hier drohen gerade Menschen das Vertrauen in den Staat zu verlieren. In den vergangenen Monaten ging es in der Debatte viel um zweifelnde, ängstliche Bürger, die in der Flüchtlingskrise mitgenommen werden müssten. Wie ein warnendes Beispiel, was passiert, wenn das nicht gelingt, laufen jeden Montag Tausende Menschen durch Dresden, die vielen bereits als unwiederbringlich verloren gelten.
Vor lauter Pegida die Helfer nicht vergessen
Die Zweifelnden und Ängstlichen mitzunehmen ist richtig und wichtig. Nur sollte die Politik nicht vergessen, dass sie im schlimmsten Fall auch jene verlieren kann, die sie in der Flüchtlingsfrage auf ihrer Seite wähnt. Menschen nämlich, die genau das Gegenteil vieler Pegida-Demonstranten sind. Die sich nicht zurückziehen vom Staat, einfach nur schimpfen und drohen. Sondern helfen. Sie vor lauter Sorge um die skeptischen Bürger für selbstverständlich zu nehmen, wäre der größte Fehler, den die Politik machen kann.
Umso mehr, als vor allem die Jungen unter ihnen ihren Einsatz nicht nur als humanitäre Nothilfe verstehen, sondern als politisches Engagement, wie es Zeit Online-Autorin Anne-Kathrin Gerstlauer in diesem Artikel darlegt. Diese jungen Flüchtlingshelfer gehören zu einer Generation, an die die Politik seit Jahren mit allerlei Verrenkungen versucht heranzukommen - und die sie jetzt zu enttäuschen droht.
Zweifellos versucht die Berliner Politik, die Situation am Lageso zu verbessern. In der Hauptstadt hat vergangene Woche eine zweite Registrierungsstelle eröffnet, bald soll es endlich hauptamtliche Ärzte am Lageso geben, am Montag öffnete erstmals ein beheizter Wartesaal. In anderen Situationen stellt sich der Senat allerdings nicht gerade geschickt an. Wenn zum Beispiel Sozialsenator Mario Czaja in Interviews auf Kritik der Landesärztekammer vage sagt, vor dem Lageso arbeiteten "auch" ehrenamtliche Ärzte, dann kann das nur Empörung hervorrufen.
Oder eben die sicher gut gemeinte Einladung der Helfer zum Empfang im Roten Rathaus. Mit einem Dankeschön ist es für die meisten Lageso-Ehrenamtlichen nicht mehr getan. Das Wir-Gefühl, das der Senat damit transportieren wollte, empfinden sie nicht mehr. Das muss die Berliner Politik in den kommenden Monaten wiederherstellen. Die in den vergangenen Wochen ergriffenen Maßnahmen sind ein Schritt in diese Richtung. Doch damit die Helfer tatsächlich wieder an ein "Wir schaffen das" glauben, das die Politik mit einschließt, muss mehr passieren. In erster Linie müssen sie das Gefühl haben, dass sich Politik und Behörden auch außerhalb der Bürozeiten für das Schicksal der neu ankommenden Flüchtlinge verantwortlich fühlen.