Ehemaliger Verfassungsschutzpräsident:Roewer attackiert Neonazi-U-Ausschuss

Thüringens ehemaliger Geheimdienstchef Helmut Roewer lässt seinen Anwalt vor dem NSU-Untersuchungsausschuss zum Rundumschlag ausholen: Der umstrittene Ex-Behördenchef sei ein "Sündenbock", dem "voyeuristische" Presse und essende Abgeordnete zusetzten. Roewer selbst brüstet sich und bürstet andere ab - Selbstkritik ist ihm fremd.

Tanjev Schultz, Erfurt

Wieder trägt Helmut Roewer seine schon berüchtigten roten Schuhe, als er am Montagmorgen vor den Untersuchungsausschuss in Erfurt tritt. Der umstrittene Ex-Chef des Thüringer Verfassungsschutzes sagt aber erst mal kein Wort.

Roewer-Vernehmung im Neonazi-Untersuchungsausschuss

Der Thüringer Ex-Verfassungsschutzschef Helmut Roewer im Landtag in Erfurt vor seiner Befragung.

(Foto: dpa)

Für ihn spricht zunächst sein Anwalt. Er verliest länglich eine Erklärung, in der er betont, Roewer sei nicht hier, um zum "Objekt Ihrer Neugierde herabgewürdigt" zu werden. Der "voyeuristische" Erkenntnisdrang sei teilweise "respektlos", ebenso das Verhalten der Abgeordneten bei der ersten Befragung Roewers im Juli.

Sie hätten während der Befragung gegessen, seien hin und her gelaufen, hätten geredet. Jetzt sitzen die Parlamentarier, die das Versagen der Sicherheitsbehörden bei den Verbrechen der rechten Terrorzelle NSU aufklären wollen, still und erstaunt da.

Man habe den Eindruck, sagt der Anwalt, die Presse und der Ausschuss wollten Herrn Roewer für die "verpfuschte Festnahme" von Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Jahre 1998 verantwortlich machen. Der Verfassungsschutz sei aber nicht zuständig für die Strafverfolgung; er habe damals allerdings die Hinweise auf die sogenannten Bombenbauer aus Jena an die Polizei gegeben, die später den NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) bildeten.

Roewer wähnt sich vor einem "Tribunal"

Sein Mandant solle jetzt zum "Sündenbock" gemacht werden, der Ausschuss wirke wie ein "Tribunal", obwohl Helmut Roewer doch nur als Zeuge geladen sei. Übrigens habe die Mordserie des NSU erst 2001 begonnen, behauptet der Anwalt. Da hat er sich jedoch vertan. Den ersten Mord hatten die Neonazi-Terroristen bereits im Jahr 2000 in Nürnberg begangen. Roewer war von 1994 bis 2000 Präsident des Thüringer Landesamts für Verfassungsschutz.

Die Ausschussvorsitzende Dorothea Marx (SPD) weist die Kritik von Roewers Anwalt zurück. Es sei Sache der Parlamentarier, alle Hintergründe zum NSU und zu den Verhältnissen im Landesamt zu ergründen. Und das sei eine wichtige Aufgabe, die man ernst nehme. "Wir hätten unsere Tage auch anders verbringen können, als in diesem Ausschuss zu sitzen", sagt Marx barsch.

Für viele Abgeordnete ist die Amtszeit Roewers weiterhin ein Mysterium. Er soll damals persönlich - so haben es ehemalige Mitarbeiter des Landesamts ausgesagt - einen V-Mann mit dem Decknamen "Günther" geführt haben. In einem Tresor sollen zu Roewers Amtsende entsprechende Zahlungsbelege entdeckt worden sein. Zu "Günther" hat Roewer sich bisher kaum ausgelassen, jetzt aber klar gemacht, dass er notfalls auch juristisch gegen aus seiner Sicht falsche Vorwürfe vorgehen wird.

Ehemalige Mitarbeiter hatten im Ausschuss von einem höchst exzentrischen Führungsstil Roewers berichtet und unter anderem behauptet, ihr Chef habe damals im Büro bei Kerzenschein mit einer Reihe von Damen gesessen. Roewer hat dies als Lüge zurückgewiesen und Strafanzeige gegen die früheren Mitarbeiter wegen Falschaussage erstattet. Sein Anwalt sagt am Montag in diesem Zusammenhang, der Ausschuss habe zum Teil das "Niveau eines Stammtisches".

Nach diesem Vorgeplänkel steigen die Abgeordneten endlich in die erneute Befragung ein. Viel heraus kommt dabei zunächst nicht, weil Roewer sich wieder mal sehr wortkarg zeigt. Die Linken-Abgeordnete Martina Renner fragt ihn, wie Roewer in die Werbung und Führung von V-Leuten eingebunden war. Roewer verweigert zunächst Auskünfte, verweist auf frühere Aussagen und schließlich darauf, dass seine Referatsleiter dafür zuständig gewesen seien.

Renner fragt auch konkret nach einem früheren V-Mann aus dem Neonazi-Netzwerk "Blood & Honour" mit dem Spitz- oder Tarnnamen "Riese" und "Hagel". Roewer sagt, er könne sich nicht erinnern. Kurz darauf schreitet schon wieder der Anwalt ein, weil er der Meinung ist, dass weitere Fragen der Abgeordneten gar nicht mit dem NSU und dem Untersuchungsauftrag zu tun hätten.

Zweifelhafte Personalpolitik

Dirk Adams von den Grünen will von Roewer wissen, wann er eigentlich zum ersten Mal angesprochen worden sei, das Amt im Verfassungsschutz zu übernehmen. Auch Adams kommt nicht weit. Roewer erinnert sich nicht mehr so richtig. Jedenfalls sagt er das so.

Nach und nach kommt Roewer dann aber wieder in alte Form, brüstet sich selbst und bürstet andere ab. Er erzählt, wie der damalige Innenminister Richard Dewes (SPD) verlangt habe, dass der Verfassungsschutz intelligenter werden müsse. "An mir kann es nicht gelegen haben", sagt Roewer in Anspielung auf seine angeblich so großartige Qualifikation, die er schon bei seinem Auftritt im Juli hervorgehoben hat. Er habe dann weitere Akademiker ins Amt geholt.

Kriminalisten waren offenbar nicht darunter, dafür aber ein Archäologe. Roewer sagt, die neuen Mitarbeiter seien für ihre neue Aufgabe geschult und fortgebildet worden. Andere Zeugen hatten angedeutet, die neuen Mitarbeiter seien überfordert und zu unerfahren gewesen.

Danach befragt, wie eigentlich sein Verhältnis zu seinem Vize-Präsidenten Peter Nocken war, der ihn im Untersuchungsausschuss heftig kritisiert hatte, sagt Roewer zunächst, es sei ein "normales Verhältnis" gewesen. Dann schränkt er ein: "Es ist wohl so, dass zu meinem Führungsstil auch ein gewisses Tempo gehörte. Dieses Tempo war nicht für jeden angenehm."

"Mein Wille war, diese Leute abzuräumen"

Roewer stellt dar, wie der Verfassungsschutz geplant habe, ein Verbot der Neonazi-Gruppe "Thüringer Heimatschutz" (THS) vorzubereiten. Aus dem THS kamen auch Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe. Es sei alles zusammengetragen worden, um ein Verfahren einzuleiten. Das Referat Rechtsextremismus sei dafür von zwei Juristen verstärkt worden. Die Zielrichtung "war völlig klar", sagt Roewer: zu erreichen, dass die als militant eingeschätzte Gruppe und deren Finanzierungswege "getroffen" werden - aber auch zu klären, wie die Kommunikation zu dem untergetauchten Trio funktioniert haben könnte.

Auf die Frage, was man denn hätte besser machen können, macht Roewer eine lange Pause. Dann weicht er aus: "Sie verlangen von mir eine Wertung, die ich nicht abgeben will." Schließlich fügt er hinzu: "Ich kann Ihnen mit Gewissheit sagen, dass mein Wille war, diese Leute abzuräumen." Noch im März 2000 habe er gesagt, man müsse der Untergetauchten - also Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe - endlich Herr werden. "Ich habe diese drei Leute für gefährlich gehalten." Das habe sich dann bestätigt. Über die Fehler des Verfassungsschutzes oder gar über eigene Fehler sagt Roewer einmal mehr: nichts.

Die Zustände im Landesamt waren durchaus seltsam. So hat es damals keinerlei fixierte Vorschriften über die Anwerbung und den Umgang mit Spitzeln gegeben. Roewer konnte sich auch nicht mehr an die Art der Aktenführung und konkrete Bezeichnungen für die verschiedenen Aktentypen erinnern: "Die Akten wurden als Akten bezeichnet, und die Dateien als Dateien."

Die Linken-Abgeordnete Renner kommt dann noch einmal zurück auf den einflussreichen Blood & Honour-Aktivisten, der in den neunziger Jahren als V-Mann "Hagel" tätig gewesen sein und dafür ordentliche Summen vom Landesamt kassiert haben soll. Angeblich fiel im Landesamt im Jahre 2003 auf, dass die Akten verschwunden sind, in denen die Treffen mit "Hagel" geschildert worden waren.

Mal wieder ein Fall von Aktenschredderei?

Zeuge Roewer konnte das - wer hätte das auch anders erwartet - ebenfalls nicht aufhellen. Tatsächlich ist denkbar, dass die Unterlagen über "Hagel" erst nach seiner Amtszeit vernichtet worden sind.

Der Autor twittert unter @tanjev.

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