Ehemaliger DDR-Anwalt:Schnurren über Schnur

Der Boulevard schien sich sicher: Der Wende-Politiker Wolfgang Schnur sollte nach Afrika geflohen oder gar Opfer eines Verbrechens geworden sein. Doch er lebt offenbar ahnungslos in der Nähe Berlins.

Christiane Kohl

Inhaftiert, tot, abgetaucht?", titelte die ostdeutsche Illustrierte Super Illu im Stakkato-Ton über den einstigen DDR-Anwalt Wolfgang Schnur. Angeblich sei der Mann, der in den letzten Tagen der DDR beinahe noch Ministerpräsident des Arbeiter- und Bauernstaates geworden wäre, in Ghana verschwunden, wo er in Geschäften mit "Goldstaub" unterwegs gewesen sei. "Wir vermuten ein Gewaltverbrechen", zitierte daraufhin die Bild-Zeitung Schnurs alten Weggefährten, den letzten DDR-Innenminister und heutigen Anwalt Peter-Michael Diestel, der bereits das Außenministerium um Nachforschungen gebeten hatte.

Wolfgang Schnur verschwunden

Wäre in den letzten Tagen der DDR beinahe noch Ministerpräsident geworden: Wolfgang Schnur.

(Foto: dpa)

Auch das Auswärtige Amt bestätigte, mit dem "Fall Schnur" befasst zu sein. Bild setzte noch eins drauf und behauptete, die Staatsanwaltschaft Dortmund suche den Ex-Anwalt mit Haftbefehl. Derweil war der Gesuchte jedoch längst im Berliner Umland geortet worden: "Ich weiß gar nicht, was das soll", gab sich Schnur, 66, in einem Gespräch mit dem Berliner Kurier überrascht.

Schnur und Diestel gehören zu den wohl schillerndsten Akteuren der Wendezeit. So hatte Schnur einst zusammen mit dem Ost-Berliner Pfarrer Rainer Eppelmann den der CDU nahestehenden Demokratischen Aufbruch gegründet. Er besprach mit dem seinerzeitigen Bundeskanzler Helmut Kohl Details über die bevorstehende deutsche Einheit und gilt als Entdecker von Angela Merkel.

Der Aufstieg vom DDR-Anwalt zum Spitzenpolitiker schien vorgezeichnet, Schnurs Kandidatur für das Amt des Ministerpräsidenten bei den ersten freien Wahlen in der DDR stand fast nichts im Wege - wenn da nicht, kurz vor den Volkskammerwahlen im März 1990, Berichte über seine frühere Stasi-Tätigkeit bekanntgeworden wären. Als Vertrauensanwalt der evangelischen Kirche hatte Schnur Dissidenten vertreten, und über seine Mandanten - wie sich später herausstellte - Informationen an die Stasi weitergegeben.

Mitte der neunziger Jahre wurde Schnur wegen seiner Stasi-Tätigkeit gegenüber einer einstigen Mandantin, der DDR-Autorin Freya Klier, verurteilt. Zu diesem Zeitpunkt war seine politische Karriere längst beendet, auch die Anwaltslizenz hatte man ihm wegen Verstoßes gegen "Grundsätze der Menschlichkeit" entzogen. Schnur verdingte sich als Berater, etwa für ehemalige Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften. Nach Afrika soll Schnur nun gereist sein, um "auf freundliche Weise ein Geschäft mit Goldstaub" zu vermitteln, wie sein Freund Diestel der Super Illu erzählte - auch ihn hatten einst Stasi-Gerüchte umweht, jedoch gab es nie einen Nachweis.

Ob Diestels Behauptungen über Schnur stimmen, ist unklar, der Anwalt war am Donnerstag nicht erreichbar. Unterdessen sorgte die Staatsanwaltschaft Dortmund in Sachen "Haftbefehl" für Klarheit: "Wir suchen ihn", bestätigte die Sprecherin Ina Holznagel der Süddeutschen Zeitung: Schnur habe in 2009 "ein Knöllchen" nicht bezahlt, weshalb formell ein Erzwingungshaftverfahren eingeleitet worden sei. Dabei geht es um 30 Euro - "ich kann mir nicht vorstellen, dass er deshalb untergetaucht sein soll", meint die Oberstaatsanwältin.

Im Örtchen Schenkenländchen am Rande des Spreewald, wo Schnur eine Villa bewohnt, war von einem Amtshilfeersuchen nichts bekannt. Schnur sei ein unauffälliger, "ganz normaler Bürger" sagte ein Sprecher der Ortsverwaltung.

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