Ehemalige RAF-Mitglieder:Seit Jahrzehnten auf der Flucht

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Als man niemandem erklären musste, wie gefährlich die RAF war: Eine Polizistin verteilt 1977 Fahndungsblätter an Passanten in Westberlin (Foto: Edwin Reichert/AP)
  • Noch immer sind einige Taten der Rote Armee Fraktion (RAF) aus den 90er Jahren nicht aufgeklärt.
  • Besonders drei ehemalige Mitglieder, die in den letzten Jahren immer wieder Geldtransporte überfallen haben, entkommen den Behörden seit Jahrzehnten.
  • Inzwischen sind die Ermittlungen nicht mehr auf Bundesebene angesiedelt - einige Politiker kritisieren das.

Von Georg Mascolo und Ronen Steinke

Die drei Attentäter kamen in der Dunkelheit, sie postierten sich auf der anderen Rheinseite in Königswinter, dann jagten sie Salve um Salve über den Fluss, auf die Bonner US-Botschaft. Minutenlang dauerte die Schießerei am 13. Februar 1991, auf dem Höhepunkt des Golfkrieges; Fassade und Fensterscheiben der amerikanischen Vertretung wurden mit 60 Einschüssen übersät.

Dass nicht Iraks Diktator Saddam Hussein das Terrorkommando geschickt hatte, war schnell klar: An der Uferpromenade, direkt neben dem Hotel Loreley, blieben ein leerer Munitionskasten der Bundeswehr zurück und eine Erklärung der RAF ("Gegen den US-Nato-Völkermord"), in der die Schützen den vor der Botschaft kampierenden Friedensfreunden wortreich versicherten, sie seien nie in Gefahr gewesen: "Wir haben unsere Munition mit Leuchtspurmunition gemischt, damit Ihr gleich seht, wo genau sich die Schießerei abspielt, und niemand von Euch vor Schreck in die falsche Richtung läuft."

Drei ehemalige RAF-Mitglieder entwischen der Justiz seit 25 Jahren

An diese Zeit hat Armin Schuster, 57, eine besondere Erinnerung: Als junger Beamter des Bundesgrenzschutzes patrouillierte er an der Rheinbrücke in Kehl, mit schusssicherer Weste und umgehängter Maschinenpistole. Heute ist Schuster Bundestagsabgeordneter der CDU, Vorsitzender des Geheimdienst-Kontrollgremiums, außerdem Mitglied im Innenausschuss. Und so etwas wie der prominenteste Vertreter einer immer drängender auftretenden Gruppe von Politikern. Sie bezweifeln, dass genug getan wird, um die Taten der einstigen Rote-Armee-Fraktion (RAF) aufzuklären und die bis heute flüchtigen Täter zu fangen.

Eine Terroristin, die höchstwahrscheinlich an der Attacke auf die US-Botschaft beteiligt war, ist den Ermittlern schon seit Jahren bekannt, sie heißt Daniela Klette, ist heute 59. Seit einem Vierteljahrhundert aber entwischt sie allen Fahndern. In jüngster Zeit gelang es ihr sogar, immer wieder mitten in Deutschland aufzutauchen, Geld zu rauben, und wieder abzutauchen. Gemeinsam mit zwei weiteren Gefährten aus RAF-Zeiten, Burkhard Garweg, der in diesem Jahr 50 wird, und Ernst-Volker Staub, 63.

Erst unlängst war dieser Umstand wieder Thema im Innenausschuss, wo Bundesanwaltschaft und Bundesjustizministerium sich bereits zum zweiten Mal für eine Entscheidung rechtfertigen mussten: Dass die kleine Staatsanwaltschaft in Verden an der Aller und das Landeskriminalamt in Hannover nach den untergetauchten RAF-Terroristen suchen. Und nicht mehr Verfassungsschutz, Bundeskriminalamt (BKA), Bundesnachrichtendienst.

Die sogenannte dritte Generation der RAF, zu der Klette, Staub und Garweg gezählt werden, agierte anders als ihre Vorgänger. Sie hinterließ kaum Fingerabdrücke oder sonstige Spuren, und sie tauchte spätestens im April 1998 endgültig ab, als die RAF sich auflöste. Die Ermittler stehen vor ungelösten Rätseln, vor einigen der spektakulärsten Kriminalfälle der deutschen Geschichte, etwa dem Mord am Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, oder am Treuhand-Chef Detlev Karsten Rohwedder.

Die heutigen Taten sind nicht mehr politisch brisant

Dass sich der Bund nun heraushält, ist für den CDU-Politiker Schuster ein Unding. "Wir brauchen die geballte Kompetenz der Bundesbehörden." Angeblich soll auch der langjährige Innenminister Thomas de Maizière das so gesehen haben. Es sei "seltsam", dass der Bund hier nicht weiter ermittle, sagt auch der grüne Innenpolitiker Konstantin von Notz.

Die Begründung der Bundesbeamten lautet: Die heutigen Taten des RAF-Trios seien nicht mehr politisch brisant genug, um ein Eingreifen der Anti-Terror-Justiz zu rechtfertigen. Die drei Verdächtigen finanzierten mit ihren inzwischen zahlreichen Überfällen auf Geldtransporter und Supermärkte ja nur noch ihr Leben im Untergrund.

Auch sei ihre politische Relevanz als Terroristen gerade verjährt: Am 20. April 2018 war es genau zwanzig Jahre her, dass die RAF sich auflöste. Eine Verfolgung wegen der reinen Mitgliedschaft in der Terrorgruppe ist seitdem nicht mehr möglich, der betreffende Paragraf soll dem "Rechtsfrieden" dienen.

Andererseits gibt es ein "vitales Interesse" des Staates an der Aufklärung der Taten der dritten RAF-Generation, hält Notz dagegen. Und sind nicht die heutigen Überfälle der drei Gesuchten auch eine Art Nachfinanzierung ihrer Terroristenkarriere? Dient das nicht weiter der Verdeckung? Mord und Mordversuch verjähren nicht, deshalb gelten zumindest für manche ihrer Taten aus ferner RAF-Vergangenheit noch immer Haftbefehle der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe.

Einst taten die Strafverfolger dort alles, um dranzubleiben an den Ehemaligen der RAF. Kaum hatte sich die Bande aufgelöst, gingen Terrorermittler dem Verdacht nach, sie könnten es sich anders überlegt haben. Mit einer Panzerfaust und einer Maschinenpistole überfielen Staub und Klette, wie später DNA-Spuren ergaben, 1999 ihren ersten Geldtransporter in Duisburg-Rheinhausen und erbeuteten eine Million Mark. Die Bundesanwaltschaft mutmaßte, dies diene nur dem Zweck, Bargeld für eine neue Terroristentruppe zu beschaffen. Das BKA übernahm, akribisch wurde ermittelt, in Spanien, Frankreich, sogar in Nicaragua.

Der Bund sei nicht mehr zuständig, sagen Juristen

Doch man blieb erfolglos, auch als Klette, Staub und Garwegs Freunde gründlich ausgeforscht wurden, sagt ein Ermittler, "und zwar nicht nur einmal, sondern sehr regelmäßig und nachhaltig". Das Ergebnis: Alle Kontakte in die Szene seien verstummt. Und so wanderte die Zuständigkeit 2015 endgültig von BKA und Bundesanwaltschaft nach Verden und Hannover - dort gab es damals einen Überfall, bei dem die Täter DNA-Spuren hinterließen.

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Der aus Coburg stammende Jurist Thomas Beck war noch jung, als er 1988 zur Bundesanwaltschaft kam, er wurde "sozialisiert mit der RAF", wie er sagt. Heute leitet er als Stellvertreter des Generalbundesanwalts alle Terrorismus-Fälle. Der Polizist Holger Münch hatte zur selben Zeit als Personenschützer des Entwicklungshilfeministers Jürgen Warnke mit der RAF zu tun, heute ist er Präsident des BKA. Beide beteuern, man könne juristisch gar nicht anders: "Bedauerlicherweise", so sagte Beck im Innenausschuss, gebe es nun mal keine Zuständigkeit des Bundes mehr.

Während die CSU-Abgeordnete Andrea Lindholz kritisiert, es fehle am politischen Willen der Bundesregierung, nimmt inzwischen ausgerechnet eine Vertreterin der Linkspartei die Ermittler in Schutz. "Das Kapitel RAF ist wirklich beendet", sagt Ulla Jelpke, die innenpolitische Sprecherin. Pikant ist, dass Jelpke nach eigenen Angaben Mitglied im Verein "Rote Hilfe" ist, dessen Vereinszeitung noch 2016 in einem Editorial an das flüchtige RAF-Trio schrieb: "Daniela, Burkhard und Volker: Wir wünschen Euch viel Kraft und Lebensfreude. Lasst es Euch gutgehen ... und lasst Euch nicht erwischen!"

Andere, wie der SPD-Innenpolitiker Uli Grötsch, stellen sich mit einer anderen Begründung hinter die Ermittler. Es befremde ihn sehr, "dass sich Teile der Unionsfraktion um drei alternde Ex-Terroristen offenbar mehr Sorgen machen als um mehr als 500 Rechtsextremisten, gegen die offene Haftbefehle bestehen, die aber nicht auffindbar sind".

"Allmählich geht es an die Ehre"

Am Tag vor Weihnachten 2015 stiegen in Niedersachsen zwölf Polizeihubschrauber auf, sie sollten eine Flotte von Geldtransportern beschatten, die in verschiedene Richtungen ins Land ausschwärmten. Wann immer unten am Boden ein Wagen anhielt, um Geld aus einem Supermarkt zu holen, schwebte etwas abseits ein Hubschrauber - bereit, aus der Deckung zu kommen, falls etwas passiert. "Wir wussten, dass die Täter meist kurz vor oder kurz nach Feiertagen zuschlagen", sagt der Leiter der Ermittler in Hannover, Matthias Behnke. Es war eine gigantische Falle, eine der aufwendigsten in der Geschichte der Bundesrepublik, mit der das Landeskriminalamt die drei Flüchtigen erwischen wollten.

Doch dann kam es wie schon oft: Die drei Flüchtigen überfielen zwar tatsächlich einen Geldtransporter in der Gegend - aber genau zwei Tage nach Weihnachten, als die Aktion gerade vorbei war.

Die RAF-Rentner tanzen der Polizei auf der Nase herum, sagt ein BKA-Mann, der dies seit Jahren erlebt. Es gebe Videoaufnahmen, wie sie nach einer Tat seelenruhig wegfahren, mit dem Auto an der roten Ampel halten. "Allmählich geht es an die Ehre", sagt der BKA-Mann. Wenigstens muss er die Fahndung seit drei Jahren nicht mehr selbst verantworten.

© SZ vom 02.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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