Ehe für alle:Vorlage verwandelt

Es war nicht das Verfassungsgericht allein, das die Rechte Homosexueller gestärkt hat. Vielmehr wirkten Politiker und Richter zusammen.

Von WOLFGANG JANISCH, Karlsruhe

Immer wieder hat das Bundesverfassungsgericht die Rechte gleichgeschlechtlicher Partnerschaften ausgebaut und aufgewertet. Waren die Karlsruher Richter damit die Wegbereiter der Ehe für alle? Haben sie den gesellschaftlichen Wandel vorangetrieben, wie es ihnen die Union oft vorgeworfen hat?

Ganz so einfach ist die Sache nicht. Denn die entscheidenden Schritte hat der rot-grüne Gesetzgeber unternommen. 2001 wurde die eingetragene Lebenspartnerschaft Gesetz, 2005 wurde sie erweitert. Das war ein Zugewinn an Rechten, gewiss. Zugleich aber war damit ihre Benachteiligung gegenüber der Ehe manifest. Es gab rechtliche Annäherungen, aber es blieb ein juristischer Abstand. Ein anderes Wort dafür ist Diskriminierung. Und zu deren Beseitigung ist an oberster Stelle das Bundesverfassungsgericht aufgerufen. Das Gesetz war also eine Einladung an das Karlsruher Gericht, sich mit dem effektiven Instrument des Gleichbehandlungsgrundsatzes der Sache anzunehmen. Schon im ersten Urteil im Jahr 2002 fand sich der Satz, aus dem besonderen Schutz der Ehe im Grundgesetz lasse sich eben kein Gebot herleiten, andere Lebensformen gegenüber der Ehe zu benachteiligen.

Den entscheidenden Schritt vollzog das Gericht aber im Jahr 2009, da ging es um die Hinterbliebenenversorgung. Die Richter fanden, dass Ehe und Lebenspartnerschaft Lebensbünde mit einer gleich starken Verbindlichkeit seien. Womit sich die Frage aufdrängte, warum eigentlich die Homo-Ehe mit weniger Rechten ausgestattet sein sollte. Die Antwort des Gerichts: "Geht die Privilegierung der Ehe mit einer Benachteiligung anderer Lebensformen einher, obgleich diese nach dem geregelten Lebenssachverhalt und den mit der Normierung verfolgten Zielen der Ehe vergleichbar sind, rechtfertigt der bloße Verweis auf das Schutzgebot der Ehe eine solche Differenzierung nicht." Also keine Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare.

Danach kippte das Gericht die Benachteiligungen fast im Jahresrhythmus: bei der Erbschaftsteuer (2010), bei Grunderwerbsteuer und Familienzuschlag (2012), beim Ehegattensplitting (2013). Und schließlich beim Thema Kinder: 2013 erlaubte Karlsruhe gleichgeschlechtlichen Paaren die "Sukzessivadoption" - ein Partner durfte fortan das zuvor vom Lebensgefährten adoptierte Kind annehmen. CDU und CSU schäumten. In der Tat war die Anerkennung einer rechtlichen Elternschaft zweier gleichgeschlechtlicher Partner eine Revolution - allerdings eine, die der Gesetzgeber schon Jahre zuvor vollzogen hatte. Seit 2005 war Homosexuellen nämlich die Adoption der leiblichen Kinder erlaubt. Der Schritt des Gerichts zur Billigung der Sukzessivadoption war - Stichwort Diskriminierung - damit bereits vorgezeichnet.

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