Ehe für alle:"Mein Mann, mein Freund, also mein Mann"

Lesezeit: 3 Min.

Zum ersten Mal in der deutschen Geschichte können nun gleichgeschlechtliche Paare heiraten. (Foto: Johannes Simon/Getty Images)

Vom 1. Oktober an können Schwule und Lesben heiraten. Viele Paare freuen sich darauf - und müssen sich doch erst daran gewöhnen.

Von Felicitas Kock, Carsten Scheele und Constanze von Bullion, München/Berlin

Im Jahr 1995 hat sich Conrad Breyer zum ersten Mal für die Ehe für alle stark gemacht, die damals noch Homo-Ehe hieß. In Passau war das, er war Student, sammelte Unterschriften, weil er sich für etwas einsetzen wollte, das er wichtig fand - an dessen Realisierung er aber nicht so recht glaubte. Mehr als 20 Jahre sind seitdem vergangen. Und jetzt, im Oktober, wird er tatsächlich "den Stas" heiraten, so nennt er den Mann, in den er sich 2012 verliebt hat. Breyer schaut konzentriert, wenn er erzählt, fährt sich durch das dunkle Haar, den breiten silbernen Ehering am rechten Ringfinger, und grinst dann: "Schockverliebt, auf den ersten Blick, um genau zu sein."

Vom 1. Oktober an können Schwule und Lesben in Deutschland heiraten und gemeinsam Kinder adoptieren. Der Bundestag hatte kurz vor der Sommerpause der "Ehe für alle" den Weg frei gemacht.

Dass jetzt alles so schnell gehen würde, damit hatten beide nicht gerechnet, der 44-jährige Journalist aus München, der schon früh offen mit seiner Homosexualität umging, 20 Jahre mit einem anderen Mann zusammen war und neben seinem Job beim Schwulen Kommunikations- und Kulturzentrum in München als Pressereferent tätig ist, und Stanislav Mishchenko, 34, Fotograf, Designer und Komponist aus der Ukraine, der in seiner Heimat schon mal für drei Jahre eine Ehe geführt hat. Mit einer Frau, um sein Schwulsein "wegzuheiraten". Der dann aber erkannte, dass er so nicht würde leben können, und sich in der LGBTI-Bewegung in Kiew engagierte. Mishchenko ist ein bisschen größer als Breyer, - er scherzt gerne über den Altersunterschied, der ihm nicht von Anfang an klar gewesen sei. In der Ukraine sähen die Leute älter aus, weil alle zu viel rauchen.

Seit Januar sind sie nun verpartnert. Es habe sich dadurch ein ganz anderes Gefühl eingestellt, man übernehme Verantwortung füreinander, fühle sich näher als zuvor, nicht nur räumlich. "Mein Mann, mein Freund, also mein Mann", sagt Breyer, wenn er über "den Stas" spricht. Ist eben noch neu, alles. Den Namen des anderen haben sie nicht angenommen. Das mache eigentlich kaum jemand aus der Community, sagt Breyer.

Die Standesämter in einigen Städten sind an diesem Sonntag geöffnet

Weil die Feier im Januar recht klein ausfiel - ein Stehempfang mit Wodka und ukrainischen Häppchen - planten sie für 14. Oktober ein "richtiges Fest". Erst geht es in die Kirche, das ist Breyer wichtig. Mishchenko nicht so sehr, aber er hat mit den Schultern gezuckt und zugestimmt. Dann Kaffee und Kuchen im Gemeindesaal, abends bayerisches Buffet. 100 Leute sind eingeladen. Und seit klar ist, dass die Ehe für alle Gesetz wird, haben sie noch einen Termin. Am 13. Oktober, einen Tag vor der großen Sause, gehen sie zu zweit zur Standesbeamtin ihres Vertrauens und lassen ihre Lebenspartnerschaft in eine Ehe umwandeln. "Wir wollen damit ein Zeichen setzen", sagt Breyer und nickt ernst. Diese Ehe sei ein symbolischer Akt, ein politischer Akt. Und ja, romantisch sei sie natürlich auch.

Irgendwann kam der Punkt, an dem Dorle und Claudia Göttler an sich selbst denken mussten. Die beiden Frauen aus Hannover-Hemmingen hatten so viele Interviews geführt und immer wieder geduldig erklärt, wie es dazu kam, dass sie am 1. Oktober als erstes lesbisches Paar überhaupt die gleichgestellte Ehe eingehen - und darüber hinaus die eigene Hochzeitsplanung vernachlässigt. Alles musste vorbereitet werden. Und auch für sich selbst brauchten Dorle und Claudia Göttler noch etwas Zeit, um den Moment zu genießen.

Zum dritten Mal werden sich die beiden Frauen an diesem Sonntag das Ja-Wort geben - doch erstmals vollwertig und gleichgestellt, als in Deutschland rechtmäßige Eheleute. Schon 1998 wurden Göttler und Göttler, heute 53 und 51 Jahre alt, kirchlich gesegnet. Als die rot-grüne Bundesregierung die Gesetze 2001 lockerte, ließen sie ihre Lebenspartnerschaft als erstes lesbisches Paar offiziell eintragen, gemeinsam mit dem schwulen Ehepaar Reinhard Lüschow und Heinz-Friedrich Harre, das ebenfalls aus Hannover stammt. Die Stadt bewies Pioniergeist, denn um im Rennen ganz vorne zu liegen, öffnete das Standesamt vor 16 Jahren extra früher. Und auch diesmal, nach der Öffnung zur Ehe für alle, gibt es eine Sondergenehmigung: Der 1. Oktober fällt auf einen Sonntag, also wird in Hannover ausnahmsweise am Feiertag getraut.

Auch in Berlin und Hamburg werden schon an diesem Sonntag die ersten gleichgeschlechtlichen Paare heiraten. Mit einem nicht zu bewältigenden Ansturm wird nicht gerechnet. Viele verpartnerte Paare dürften - statt zu heiraten - ihre Lebenspartnerschaft einfach in eine Ehe umwandeln. In Berlin beantragten dies im Sommer rund 40 Paare. Für eingetragene Lebenspartner galten seit 2005 bei Unterhalts- und Rentenansprüchen die gleichen Rechte und Pflichten wie für heterosexuelle Eheleute. Erst 2013 und nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wurden sie auch beim Steuer- und Erbrecht gleichgestellt.

Auch für die Göttlers ist ihre dritte Hochzeit mehr als bloß ein symbolischer Schritt. "Wir wollen 100 Prozent Gleichstellung, nicht 95 Prozent", sagt Claudia Göttler. An einen Gedanken müssen sich beide noch gewöhnen: Es wird wohl ihre letzte Hochzeit werden.

© SZ vom 30.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: