Ehe für alle:30 Jahre Ringen enden in 45 Minuten voller Emotionen

Nachdenklichkeit, Leidenschaft, Zorn - in der Debatte über die Ehe für alle zeigen viele Redner ihr wahres Gesicht. Man kann das eine Sternstunde nennen. Aber es deuten sich Konflikte an, die noch bitter werden können.

Reportage von Stefan Braun, Berlin

Am Ende liegen sie sich in den Armen. Vor allem bei Grünen, Linken und Sozialdemokraten. Viele freuen sich riesig, die meisten würden jetzt am liebsten tanzen. Und auf der Tribüne des Parlaments sind alte Kämpfer der schwul-lesbischen Bewegung zu Tränen gerührt. Für viele endet hier und jetzt ein jahrzehntelanges Ringen. Es ist für sie ein Glück, mit dem sie schon fast nicht mehr gerechnet haben.

Entsprechend ausgelassen feiern sie - und stoßen gleich wieder an Grenzen, weil Norbert Lammert glaubt, er müsse die Spaßbremse geben. Also ermahnt er sie, es bitte nicht zu sehr zu übertreiben. Es wäre nicht schön, so der Bundestagspräsident, wenn die Gewinner des Tages "in den Verdacht der Albernheit gerieten".

Ja, ein bisschen albern sind sie jetzt. Aber der Tag ist zuvor alles andere als albern gewesen. Nun ist passiert, was in dieser Legislaturperiode unmöglich schien: Die Ehe für alle hat nach Jahren der Blockade durch CDU und CSU die Hürde Bundestag genommen.

Und das ist nicht nur für alle Homosexuellen im Land ein Großereignis. Der 30. Juni 2017 könnte auch als der Tag in die Geschichte eingehen, an dem Rot-Rot-Grün seinen ersten und vielleicht einzigen gemeinsamen Erfolg einfährt. Ohne eine absolut geschlossene Haltung der drei Parteien nämlich wäre es an diesem Tag zu dieser Abstimmung nicht gekommen.

Das zeigt sich am Morgen, als es um die Frage geht, ob das Thema überhaupt auf die Tagesordnung kommt. So diszipliniert und geschlossen haben Grüne, Linke und Sozialdemokraten noch nie zusammengearbeitet. Alle sind mobilisiert, auf beiden Seiten. Geschlossenheit ist diesmal unverzichtbar. So unverzichtbar wie in einer Koalition, könnte man sagen.

"Das hätten Sie die ganzen vier Jahre haben können"

Keine Überraschung, sondern logisch ist, dass die Linkspartei dieses Ereignis im eigenen Sinne ausschlachtet. Süffisant bohrt Dietmar Bartsch an der wunden Stelle. An die SPD gewandt sagt er gleich zu Beginn der Debatte: "Ich habe Sie ja selten so gelöst erlebt wie heute." Deshalb wolle er schon anmerken: "Das hätten Sie die ganzen vier Jahre haben können."

Und weil Bartsch ist, wie er immer ist, umrahmt er das mit einer Provokation, die SPD und Union gleichermaßen wehtun soll. "Wir als Linke", so Bartsch, "werden die CDU-Vorsitzende nie um Erlaubnis fragen, ob wir fortschrittliche Politik beschließen dürfen." Seinen Genossen hat das natürlich gefallen.

Trotzdem ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass der Tag kein Vorbild ist für künftige Kooperationen. Nicht, weil diese drei Parteien sonst niemals zusammenarbeiten werden. Die Debatte und Abstimmung über die Ehe für alle aber ist, und das zeigt sich schnell, eben doch ein solitäres Ereignis.

Thomas Oppermann, der SPD-Fraktionschef, zeigt das in seiner Rede genauso wie Unionskollege Volker Kauder. Oppermann erklärt, der heutige Beschluss sei "vielleicht nicht gut für die Koalition, aber er ist gut für die Menschen". Da verzichtet einer darauf, Triumphgefühl zu zeigen, sondern folgt dem Bedürfnis, den richtigen Ton zu treffen. Deshalb fügt der Sozialdemokrat noch an, wenn die Ehe für alle jetzt komme, dann werde "vielen etwas gegeben, aber niemandem etwas genommen".

Das klingt fast wie eine Brücke zu den Christdemokraten. Und Kauder lässt keinen Zweifel daran, dass er die komplette Gleichstellung weiterhin ablehnt. Für ihn sei und bleibe die grundgesetzlich geschützte Ehe eine Verbindung zwischen Mann und Frau. Deshalb werde er persönlich "nie etwas unterschreiben, in dem 'Ehe für alle' drinsteht".

Doch wie Oppermann verzichtet Kauder auf alle scharfen Töne. Ganz im Gegenteil wirbt er dafür, man möge bitte alle persönlichen Auffassungen respektieren, auch die derjenigen, die das neue Gesetz ablehnen. Kauder ist sauer über das Verfahren, er ist hochgradig verärgert. Aber an diesem Morgen will er das nicht mehr hoch hängen.

Nur an einer Stelle kann er sich Kritik am Koalitionspartner nicht verkneifen. Dass das Bundesjustizministerium noch 2014 erklärt habe, man brauche für eine Einführung der Ehe für alle eine Änderung der Verfassung, um nun diese Woche plötzlich das Gegenteil zu behaupten, sei "irritierend".

Kauders Bitte und Mahnung, die auch als Warnung gelesen werden könnte: "Vorsicht Herr Minister, es darf nicht der Eindruck entstehen, dass die Frage einer Verfassungsmäßigkeit unter politischen Opportunitätsgesichtspunkten beurteilt wird." Es ist diese Stelle, an der alle kapieren, dass die Frage nicht vom Justizministerium, sondern durch das Bundesverfassungsgericht abschließend geklärt wird.

Steinbach voller Zorn auf Merkel

Schärfe allerdings kommt in die Debatte trotzdem. Sie kommt garstig und aggressiv und sie wird in Erinnerung bleiben. Da ist zuerst Erika Steinbach, ehemalige Christdemokratin und heute fraktionslos. Sie hält ihre letzte Rede im Parlament. Und die 73-jährige nutzt die Gelegenheit, um auszuteilen. Zunächst zitiert sie ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Juni 2012. Darin steht: "Die Ehe als allein der Verbindung zwischen Mann und Frau vorbehaltenes Institut erfährt durch Artikel 6 einen eigenständigen verfassungsrechtlichen Schutz."

Steinbach zeigt Verständnis für Kauders Auffassung - um anschließend ihre Hauptgegnerin anzugreifen. Die heißt Angela Merkel und muss sich schärfste Attacken anhören. Jetzt wird klar, warum Steinbach für die AfD wahlkämpfen möchte - und es ist offensichtlich, in welcher Tonlage das stattfinden wird.

Merkel sei schuld, wettert Steinbach. Sie habe die Türen für die überstürzte Entscheidung "sperrangelweit geöffnet"; und sie sei es auch, die verantworten müsse, dass "Beschlüsse der CDU offenkundig nicht das Papier wert sind, auf dem sie stehen". Dort sei bis heute zu lesen: "Die Ehe ist unser Leitbild der Gemeinschaft von Mann und Frau." Deshalb stehe die Ehe unter "dem besonderen Schutz des Grundgesetzes".

So kontrolliert und freundlich sie sich nach 27 Jahren von den "Kolleginnen und Kollegen" verabschiedet will, so viel Hass bricht aus ihr heraus in den Attacken gegen ihre Lieblingsfeindin. Dass Lammert sie am Ende ermahnt, bringt wenig. Es wirkt schulmeisterlich, und das dürfte jene, die wie Steinbach denken, nur bestärken.

"Es war erbärmlich, es war peinlich"

Aus einer ganz anderen Richtung folgt wenig später eine Attacke im gleichen Tonfall. Und wieder richtet sie sich gegen die Kanzlerin. Es ist der Sozialdemokrat Johannes Kahrs, der seinen Gefühlen und seiner Wut freien Lauf lässt. Auch Kahrs kämpft wie der Grüne Volker Beck seit Langem für die rechtliche Gleichstellung. Und ihn packt der Zorn, dass manche jetzt ausgerechnet Merkel für die Abstimmung an diesem Tag loben.

"Immer und immer wieder waren es CDU und CSU, die in dieser Frage die Gleichstellung von Lesben und Schwulen blockiert haben", schimpft der Hamburger. "Frau Merkel, ich kann es Ihnen nicht ersparen: Es war erbärmlich, es war peinlich."

Seit 2005 habe sie die Diskriminierung von Lesben und Schwulen unterstützt. "Sie haben nichts dafür getan, dass es zu einer Gleichstellung kommt. Sie haben sich hier verstolpert, das war Ihr Schabowski-Moment."

Je länger Kahrs spricht, desto mehr redet er sich in Rage. So sehr sogar, dass Sigmar Gabriel neben der Kanzlerin ein Gesicht macht, als müsse er gleich unter den Tisch kriechen. Dabei wird in diesem Moment nicht nur Kahrs Temperament deutlich, es offenbart sich eben auch, wie tief die Frage ihn über Jahre verletzt hat.

"Dieses ganze Geschwurbel, es steht mir bis hier", schimpft Kahrs in den Saal. Bis zuletzt hätten CDU und CSU in den Ausschüssen des Parlaments blockiert. "Ehrlicherweise, Frau Merkel: Vielen Dank für nichts." Kahrs hat viele Jahre gekämpft; und das hat offenkundig so viele Narben hinterlassen, dass er dies auch im Moment des Glücks und der Genugtuung nicht vergessen kann.

Versuche der Versöhnung

Und so bleibt es, neben einigen anderen leisen, ruhigen Rednern wie Gerda Hasselfeldt einem besonders bescheidenen Christdemokraten überlassen, die interessanteste Rede zu erhalten. Gemeint ist Jan-Marco Luczak aus Berlin.

Er beginnt seine Rede mit einer Botschaft und einer Bitte. "Nicht jeder, der heute nicht für die Öffnung der Ehe stimmt, ist damit gleich homophob", so Luczak. Und deshalb wünsche er sich, dass nach dieser Debatte nicht alle rausgehen und schauen, wer wie abgestimmt habe - um sich das anschließend im Wahlkampf vorzuwerfen. Auch Luczak kämpft seit Langem für die Gleichstellung, aber er will keinen Sieg reklamieren und keine Verlierer aus dem Saal schicken.

Und so betont der 41-jährige aus Berlin noch einmal, um was es aus seiner Sicht geht: "Für mich ist die Ehe der wunderbare Liebesbeweis von zwei Menschen, die in guten und schlechten Zeiten füreinander einstehen wollen - bis dass der Tod sie scheidet." Es gehe um Treue, es gehe um Beständigkeit, es gehe um Verlässlichkeit, es gehe um zutiefst konservative Werte. "Deswegen bin ich nicht für die Öffnung der Ehe, obwohl ich Christdemokrat bin - sondern gerade weil ich Christdemokrat bin."

Luczak bekommt viel Applaus, nicht nur aus den eigenen Reihen. Am Ende stimmen 393 Abgeordnete für die Öffnung, das bedeutet: Mindestens 73 Parlamentarier von CDU und CSDU müssen Ja gesagt haben. Es wäre nicht überraschend, wenn dies Jan-Marco Luczak mit bewirkt haben sollte.

Eine Abgeordnete seiner Fraktion allerdings hat Luczak nicht überzeugen können. Es ist die Kanzlerin, von der in dieser Woche alles ausging. Am Montag hat sie die Abstimmung für eine "Gewissensentscheidung" freigegeben. Am Freitag hat ihr Gewissen der Kanzlerin geraten, Nein zu sagen.

Ein erstaunliches Ende für eine außergewöhnliche Woche.

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