Süddeutsche Zeitung

Ehe für alle:Ist die Ehe für alle verfassungswidrig?

Richter haben die Ehe in früherer Rechtsprechung als "Verbindung zwischen Mann und Frau" bezeichnet. Warum den Ehe-für-alle-Gegnern trotzdem die Argumente ausgehen.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Es wäre schon kurios, wenn sich CDU und CSU ausgerechnet beim Thema Ehe für alle Hilfe beim Bundesverfassungsgericht holten. Wie es aussieht, hat ja einzig die Union den Schlüssel in der Hand, die spektakuläre Reform nach Karlsruhe zu tragen. Entweder müsste mehr als die Hälfte der Unionsfraktion sich zu einem Normenkontrollantrag zusammentun, oder die bayerische Landesregierung müsste klagen. Politisch sind beide Varianten riskant. Und verfassungsrechtlich? Noch vor wenigen Jahren hatte die Union die vom Verfassungsgericht verfügte Aufwertung des Adoptionsrechts für gleichgeschlechtliche Paare heftig kritisiert. Da wäre es schon überraschend, wenn sie nun auf ein konservatives Urteil aus Karlsruhe vertraute.

Wobei man sagen muss: Auf den ersten Blick liegt Gerda Hasselfeldt, Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, nicht so ganz falsch, wenn sie behauptet: "Die höchstrichterliche Rechtsprechung definiert Ehe als Gemeinschaft von Mann und Frau." Das ist durchaus O-Ton Bundesverfassungsgericht. "Die Ehe als allein der Verbindung zwischen Mann und Frau vorbehaltenes Institut" genieße einen eigenständigen Schutz, schrieben die Richter 2013. Und im Jahr 2002, im ersten Urteil zur Homo-Ehe, heißt es: Zum Gehalt der Ehe gehöre "ungeachtet des gesellschaftlichen Wandels", dass sie "die Vereinigung eines Mannes mit einer Frau zu einer auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft" sei. Auch das Bundesjustizministerium geriet angesichts solcher Aussagen ins Schwanken. 2015 hielt das Ministerium in der Antwort auf eine Kleine Anfrage eine Grundgesetzänderung für notwendig, um die Ehe für alle einzuführen. Inzwischen vertritt Minister Heiko Maas das Gegenteil.

Helfen könnte Karlsruhe, dass der Deutsche Bundestag die Ehe nun umdefiniert hat

Dieses Gegenteil könnte indes richtig sein. Gerade im Familienrecht, das wie kein anderes Rechtsgebiet dem Wandel von Überzeugungen und Anschauungen unterworfen ist, reicht es nicht, aus einer Mehrheitsmoral, wie sie zu einerbestimmten Zeit vorherrschend war, ein Betonfundament fürs Grundgesetz zu gießen. Der Begriff "Familie" etwa: Von Vater-Mutter-Kind über Patchwork bis zur Reproduktionsmedizin war er in wenigen Jahrzehnten großen Veränderungen ausgesetzt. Und der gesellschaftliche Wandel sickert in den juristischen Sprachgebrauch ein.

Deshalb hilft auch der Verweis auf die Autoren des Grundgesetzes nicht weiter. Gewiss, als sie 1949 den Lebensbund mit den drei Buchstaben ins Grundgesetz schrieben, dachten sie nicht im Traum an verheiratete Schwule und Lesben. Aber sie hatten eine Idee davon, dass eine Verfassung offen für Entwicklungen sein muss, wenn sie nicht erstarren soll. Außerdem war der "besondere Schutz" der Ehe keineswegs als Abwehrbollwerk gegen die Schwulenehe gedacht, sondern vermutlich gegen die "wilde Ehe" zwischen Mann und Frau - darauf weist Mathias Hong, Rechtswissenschaftler an der Uni Freiburg, in einem Aufsatz im "Verfassungsblog" hin. "Dagegen verfolgte die Privilegierung der Ehe, soweit ersichtlich, keine homophobe Zielsetzung." Hong zitiert Hermann von Mangoldt, Mitglied des Parlamentarischen Rates: "Es wird gesagt, dass die Ehe als die rechtmäßige Form der dauernden Lebensgemeinschaft unter dem Schutze der Verfassung steht, nicht aber das Konkubinat."

Es genügt also nicht, allein die "Mann-Frau"-Sätze der Verfassungsrichter zu zitieren. Denn im selben Atemzug erinnerten die Richter daran, was der Zweck des Eheschutzes sei - "alles zu unterlassen, was die Ehe beschädigt und sie sonst beeinträchtigt". Spätestens an dieser Stelle gehen den Ehe-für-alle-Gegnern die schlagkräftigen Argumente aus. Mag ja sein, dass die Ehe zwischen verschiedenen Geschlechtern eine "wertentscheidende Grundsatznorm" sei, wie es in den Grundgesetzkommentaren heißt; aber inwiefern wird sie für Heteros beschädigt, wenn auch Homosexuelle sie schließen dürfen? Wem wird etwas weggenommen? Wo werden Grundrechte eingeschränkt? Es ist kein Zufall, dass niemandem einfällt, wer gegen eine Ehe für alle überhaupt Verfassungsbeschwerde einlegen könnte. Es fehlt schlicht an einer Rechtsverletzung.

Abstammung ade

Das Abstammungsrecht soll geändert werden. Das empfiehlt der vom Bundesjustizministerium eingesetzte "Arbeitskreis Abstammungsrecht". Er will Regelungen auch für solche Familien finden, die nicht in klassischen Konstellationen zusammenleben oder in denen Kinder durch Samen- oder Embryospende entstanden sind. Der "Arbeitskreis Abstammungsrecht" schlägt vor, statt "Abstammung" künftig den Begriff "rechtliche Eltern-Kind-Zuordnung" zu verwenden. Immer häufiger kämen Kinder zur Welt, die mit einem Elternteil oder gar beiden nicht verwandt sind. Die Experten plädieren unter anderem für eine "Mit-Mutterschaft", bei der in lesbischen Lebenspartnerschaften automatisch auch die Partnerin der Gebärenden Mutter wird. Bislang ist das für sie nur durch Adoption möglich. Am Dienstag wird der Arbeitskreis seinen Abschlussbericht offiziell an Maas übergeben. EPD

Fantasiebegabtes Gericht

Wer übrigens nach Rechtsverletzungen sucht, findet sie eher auf der anderen Seite. Aus dem Gebot der Gleichbehandlung im Grundgesetz hat das Verfassungsgericht einen starken Schutz vor Diskriminierungen wegen der sexuellen Orientierung abgeleitet. Auf dieser Grundlage hat es zwischen 2009 und 2013 gleich reihenweise Benachteiligungen schwuler und lesbischer Paare beanstandet - bei der Hinterbliebenenversorgung, bei der Erbschaftsteuer, beim Familienzuschlag für Beamte, beim Ehegattensplitting.

Am Ende blieb nur noch beim Adoptionsrecht ein kleiner Abstand zur Ehe. Und das war nicht Aktivismus progressiver Verfassungsrichter; das Grundgesetz selbst enthält mit seinem Diskriminierungsschutz eine Dynamik, die die eingetragene Lebenspartnerschaft wie von selbst zur Beinahe-Ehe gemacht hat. Keiner hat das früher geahnt als der einstige Verfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier: Der konservative Verfassungsrechtler, der auch jetzt eine Ehe für alle für grundgesetzwidrig hält, stimmte seinerzeit im Urteil von 2002 gegen die Anerkennung der Homo-Ehe - weil er ahnte, dass damit der Weg zur Angleichung eingeschlagen war.

Aber wie würden die Richter über ihr Bekenntnis zur Ehe als Lebensbund von Mann und Frau hinwegkommen? Das Gericht ist in diesen Dingen durchaus fantasiebegabt. Helfen könnte dabei, dass inzwischen eine maßgebliche Institution des Verfassungsstaates die Ehe als offen für Homosexuelle umdefiniert hat - der deutsche Bundestag. Und das Grundgesetz? "Das Grundgesetz selbst enthält keine Definition der Ehe, sondern setzt sie als besondere Form des menschlichen Zusammenlebens voraus." Karlsruhe im Jahr 2002.

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SZ vom 03.07.2017
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