DDR-Geschichte:Das deutsche Paradies, Teil eins

DDR-Geschichte: Mit großem Tamtam: Egon Krenz, letzter SED-Generalsekretär, stellt Band eins seiner Autobiografie vor.

Mit großem Tamtam: Egon Krenz, letzter SED-Generalsekretär, stellt Band eins seiner Autobiografie vor.

(Foto: Wolfgang Maria Weber/Imago)

Egon Krenz präsentiert den SED-Staat im ersten Band seiner Biografie als bessere Alternative zur damaligen BRD. Das klappt aber nur mit eimerweise Schönfärberei und frecher Geschichtsklitterung.

Von Norbert F. Pötzl

Dieses Buch ist eine Zumutung. Ergötzen können sich daran nur unerschütterliche DDR-Nostalgiker, die dem vermeintlichen Arbeiter- und Bauernparadies nachtrauern. Davon gibt es jedoch offenbar in Ostdeutschland noch so viele, dass ein Machwerk wie dieses die Bestsellerliste stürmen kann.

Historischen Erkenntnisgewinn bietet der erste Band der Erinnerungen (bis 1973) des letzten DDR-Staatsratsvorsitzenden und SED-Generalsekretärs Egon Krenz jedenfalls nicht. Vielmehr handelt es sich um eine Aneinanderreihung übelster Geschichtsklitterungen, von denen Krenz viele auch schon in seinen früheren Büchern zwecks Rechtfertigung der SED-Diktatur ausgebreitet hat.

Die Biografie reicht bis ins Jahr 1973

Diesmal ist die Propaganda als Biografie verbrämt. Sie reicht von der vorzeitigen Aufnahme des noch nicht einmal zehnjährigen Krenz 1946 in eine Gruppe der "Freien Deutschen Jugend", deren Kinder-Organisation ("Junge Pioniere") in der Ost-Republik er zwischen 1971 und 1974 leitete, bis zur Berufung zum Chef des Staatsjugendverbands 1974. Diese Funktion behielt der Berufsjugendliche bis 1983, also bis zu seinem 47. Lebensjahr, ehe er in der Parteihierarchie weiter aufstieg bis zum Kronprinzen und kurzzeitigen Nachfolger des 1989 gestürzten Erich Honecker. So war Krenz sein ganzes Berufsleben lang Parteifunktionär; eine Schlosserlehre, die einem Journalismus-Studium vorgeschaltet sein sollte, brach er zu Gunsten einer Fachschulausbildung zum Unterstufenlehrer ab, doch unterrichtet hat er keinen einzigen Tag.

Das Buch ist gespickt mit sattsam bekannten DDR-Sprachstanzen - vom "Schwindelkurs" der D-Mark gegenüber der Ostwährung bis zur "Umsiedlung" der Sudetendeutschen, womit deren Vertreibung amtlich beschönigt wurde. Absurd ist die These, die Mauer sei nicht 1961 von der DDR, sondern schon 1948 vom Westen errichtet worden - durch die Währungsreform in den drei Westzonen. Den mit Sowjetpanzern niedergewalzten Volksaufstand 1953 vergleicht Krenz allen Ernstes mit dem von den Gewerkschaften ausgerufenen Generalstreik gegen Ludwigs Erhards Wirtschaftspolitik am 12. November 1948 in der amerikanischen und britischen Zone.

Die DDR als lupenreine Demokratie

Die DDR erscheint bei Krenz als lupenreine Demokratie. "Im April 1968 hatten 94,49 Prozent der Bürger in einem Volksentscheid für eine neue Verfassung gestimmt", rühmt Krenz. Nun weiß jeder, dass Wahlen und Abstimmungen in der DDR eine Farce waren und man nur zum "Zettelfalten" ging, um sich Ärger zu ersparen. Komisch ist jedoch, dass ausgerechnet der Wahlfälscher Krenz sich auf Volkes Zustimmung zur Verfassung beruft - als Vorsitzender der zentralen "Wahlkommission" half er, das Ergebnis der Kommunalwahlen im Mai 1989 auf 98,85 Prozent für die Einheitsliste zu manipulieren.

Angesichts der vorab feststehenden Ergebnisse mussten im SED-Staat auch keine kontroversen Wahlkämpfe ausgetragen werden. Erheiternd wirkt da das Bekenntnis von Krenz, er sei "froh" gewesen, dass es "Schlammschlachten" wie beim westdeutschen Wahlkampf 1961, als CDU-Kanzler Konrad Adenauer dem SPD-Herausforderer Willy Brandt dessen uneheliche Geburt vorhielt, "in der DDR nicht gab".

Die militärische Niederschlagung des "Prager Frühlings" 1968 war laut Krenz eine "konzertierte Aktion der verbündeten Warschauer-Pakt-Staaten". Das klingt wie Wladimir Putins "Spezialoperation", wie der Kremlherrscher den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine bezeichnet.

DDR-Geschichte: Erinnerung an alte Zeiten: Im damaligen Hotel "Erfurter Hof" fanden am 19. März 1970 Gespräche zwischen dem Bundeskanzler der BRD Willy Brandt und dem Vorsitzenden des Ministerrats der DDR Willy Stoph statt, draußen hatte sich eine protestierende Menschenmenge angesammelt und rief: "Willy Brandt ans Fenster", bis sich der Bundeskanzler tatsächlich am Fenster zeigte.

Erinnerung an alte Zeiten: Im damaligen Hotel "Erfurter Hof" fanden am 19. März 1970 Gespräche zwischen dem Bundeskanzler der BRD Willy Brandt und dem Vorsitzenden des Ministerrats der DDR Willy Stoph statt, draußen hatte sich eine protestierende Menschenmenge angesammelt und rief: "Willy Brandt ans Fenster", bis sich der Bundeskanzler tatsächlich am Fenster zeigte.

(Foto: Regina Schmeken)

Vollends abenteuerlich ist Krenz' Verschwörungstheorie zum Besuch Willy Brandts 1970 in Erfurt, als Hunderte Menschen "Willy, Willy" riefen und damit nicht den gastgebenden DDR-Ministerpräsidenten Willi Stoph meinten. "Man musste schon sehr naiv sein, um anzunehmen, dass die Beifallsbekundungen für den westdeutschen Gast spontan und die Rufer zufällig dort gewesen waren", schwadroniert Krenz. Seine Erklärung geht so: Weil die Sowjetführung den deutsch-deutschen Alleingang ihres Statthalters Walter Ulbricht nicht billigte, hätten die "Freunde aus Karlshorst", dem Sitz des sowjetischen Geheimdienstes KGB, die Provokation inszeniert.

Eigenwillige Interpretation der "Kofferfälle"

Auch die Reise des SPD-Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner 1973 in die DDR deutet Krenz auf eigenwillige Weise um und spricht ihr das humanitäre Motiv ab. Hunderte DDR-Bürger, deren Ausreiseanträge bereits genehmigt waren und die schon auf gepackten Koffern saßen, waren als Geiseln genommen worden, um politische Ziele gegenüber der Bundesregierung durchzusetzen. Deshalb entschloss sich Wehner, mit Erich Honecker diese "Kofferfälle" zu lösen - dazu ermuntert von dem DDR-Unterhändler Wolfgang Vogel.

DDR-Geschichte: Egon Krenz: Aufbruch und Aufstieg. Erinnerungen. Eulenspiegel-Verlag / Edition Ost, Berlin 2022. 352 Seiten, 24 Euro. E-Book: 19,99 Euro.

Egon Krenz: Aufbruch und Aufstieg. Erinnerungen. Eulenspiegel-Verlag / Edition Ost, Berlin 2022. 352 Seiten, 24 Euro. E-Book: 19,99 Euro.

Die DDR "duldete keinen Antisemitismus", behauptet Krenz. Er verschweigt, dass die DDR sich bis kurz vor ihrem Ende beharrlich geweigert hat, irgendwelche Zahlungen an Israel oder internationale jüdische Organisationen zu leisten. Über die Zuchthausstrafe für Paul Merker, der als einziges Politbüromitglied Entschädigungszahlungen für jüdische Naziopfer verlangt hatte, verliert Krenz kein Wort. Ebenso tut Krenz so, als habe es in der DDR ein harmonisches Verhältnis zwischen Staat und Kirchen gegeben. Dass bekennende Christen systematisch benachteiligt und schikaniert wurden, blendet er aus.

So zieht sich ein roter Faden von Geschichtsfälschungen durch das ganze Buch. Autor Krenz und sein auf DDR-Schönfärberei spezialisierter Verlag haben angedroht, dass zwei weitere Erinnerungsbände folgen. Das kann ja noch heiter werden.

Norbert F. Pötzl hat unter anderem Biografien über Erich Honecker und Wolfgang Vogel verfasst.

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