Egon Krenz:"Alle wollen Egon"

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„Wir und die Russen“, das neue Buch von Egon Krenz, soll keine Abrechnung sein und ist es doch in Teilen geworden.

(Foto: Tobias Schwarz/AFP)

Der letzte Staatsratsvorsitzende der DDR und seine Fans treffen in Berlin aufeinander. Einig ist man sich vor allem in einem: Die DDR war besser, als sie heute gemacht wird. Mindestens.

Von Cornelius Pollmer, Berlin

Draußen, an der Friedrichstraße, schnurrt das kapitalistische System stabil Richtung Feierabend. Bei Karl Lagerfeld und Swarovski langweilen sich Verkäufer zwischen vollen Regalen, die neuen Leihfahrräder vor ihren Filialen sehen schon wieder alt aus gegen die noch neueren Roller, bei denen endlich keiner mehr strampeln muss. Schon als Gebäude wirkt das Russische Haus der Wissenschaft und Kultur in diesem Surren irgendwie fremd. Und damit passt es schon wieder ganz gut zu Egon Krenz, 82, der am Donnerstag von der Ostsee nach Berlin gereist ist, um sein neues Buch vorzustellen.

Drinnen, das ist der Plan, soll gleich die DDR ein wenig aufleben, und in einem Hinterzimmer scheint es einen interessanten Moment lang so, als wäre der letzte Staatsratsvorsitzende dieser DDR noch immer im Dienst. Krenz hat sich auf ein kleines Sofa plumpsen lassen, neben ihm fällt die Deutschlandflagge so schlaff vom Mast, dass man nicht sehen kann, ob auf ihr nicht vielleicht doch Hammer und Zirkel leuchten. Fotografenlicht blitzt ohne Unterlass, und nebenan füllt sich schon der große Saal mit mehr als 400 Gästen. "Tja, alle wollen Egon", sagt eine Frau vom Verlag nicht unglücklich - und tatsächlich sind alle 180 vorrätigen Exemplare von "Wir und die Russen" noch vor Beginn der Lesung verkauft.

Das Buch, sagt Krenz, soll die Beziehungen zwischen Berlin und Moskau im Herbst 1989 betrachten und das tut es auch. Das Buch soll, sagt Krenz, keine Abrechnung sein und ist es doch in Teilen geworden. Das geht schon aus der Einleitung hervor, die Krenz am Donnerstag komplett und mit mächtiger Stimme vorliest. Eine knappe Stunde dauert das, und an deren Ende hat man den Titel jener Veranstaltungsreihe fast schon vergessen, in deren Rahmen Krenz sein Buch präsentiert: "Dialog statt Monolog".

Überhaupt doziert Krenz häufiger, als dass er nur berichtet, und das wäre noch mehr in Ordnung, wenn er dabei nicht immer wieder den Anspruch erheben würde, ausschließlich Fakten und anderswie Objektivierbares vorzutragen. Dieses Vermischen von Weltsicht und Wahrheit erschwert zuweilen auch dem Lesenden, klar zu unterscheiden: Was ist berechtigte Perspektive? Was nur Rechthaberei? "Falsch und gehässig gegenüber der DDR" werde die Geschichte der Spaltung Deutschlands dargestellt, schreibt Krenz, "unrichtig und unmoralisch" sei die Verteilung der Schuld im Diskurs. Denn so es zum Beispiel sei, dass im Herbst 1989 niemand an der bröckelnden Mauer erschossen wurde, so wenig würden die Soldaten und er selbst mit seinem Befehl 11/89 (Bloß nicht Schießen!) gewürdigt. Und so großzügig Egon Krenz über die Ursachen des Verhaltens von Gorbatschow seinerzeit spekuliert, so eindeutig wirft er ihm in seinem Buch doch Verrat vor an seinem Staat, der DDR.

Natürlich kann so ein Abend wie dieser irritieren. Krenz begrüßt unter den kollektivgleichen "Genossinnen und Genossen" namentlich auch gleichere wie den früheren Vize-Verteidigungsminister der DDR, Generaloberst Fritz Streletz a. D. Krenz erzählt von der "urrussischen Krim", in die Gegenwart geht er dann verbal nur, um die deutsche Außenpolitik zu kritisieren, nicht aber um kriegerische Handlungen Russlands zu erwähnen. Über die zu Grunde liegende tief empfundene "Freundschaft zur Sowjetunion" sagt Krenz: Bei allem, was man heute kritisieren könne, ohne diese Freundschaft "hätten wir 40 Jahre DDR nicht erlebt". Beipflichtendes Nicken im Saal, wie überhaupt es da ein gar nicht so kleinen gemeinsamen Nenner von Publikum und Vortragenden gibt: Die DDR war nicht schlecht, mindestens aber war sie besser, als sie heute gemacht wird.

Die Logik dahinter dürfte eigentümliche Mathematik sein: Wenn die DDR von vielen immer nur auf Diktatur und Mauer und Stasi reduziert wird - warum nicht mit einer allergischen Reaktion antworten, warum nicht sie seinerseits reduzieren auf Gutes?

Wo man sich einig ist: Die DDR war besser, als sie heute gemacht wird. Mindestens

So wenig die Einigkeit von Krenz und seinen Fans beim Blick aufs Gestern verwundert, so interessant wird es immer dann, wenn es gedanklich in die Gegenwart geht oder in Richtung Selbstkritik. Den Ostdeutschen, sagt Egon Krenz, seien nach der Wende viele Kränkungen zugeführt worden, jedoch gebe es "trotz dieser Kränkungen keinen Grund, AfD zu wählen". Da gibt es nicht nur Zustimmung im Saal. Über seine eigenen Verfehlungen schreibt Krenz, er habe die Auseinandersetzung zu spät und inkonsequent geführt. Und er kann subjektiv etwas objektiv Selbstverständliches einräumen, nämlich, dass die Führung der SED zum Ende der DDR "das Vertrauen großer Teile des Volkes verloren" hatte.

Bleibt einmal mehr die Frage, wie viel Seligkeit in Bezug auf die DDR gestattet oder gar vonnöten ist. Schließlich habe der Westen, sagt Krenz, mit dem Sozialismus auch ein Korrektiv verloren für soziale Ungerechtigkeit. Trotzdem dürfte es nicht vollumfänglich getan sein mit seiner Idee, von der DDR solle an künftige Generationen vor allem eine Botschaft ausgehen: "Es ist möglich, ohne Kapitalismus zu leben."

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