Ein russisches Gesetz, das "Propaganda für Homosexualität" unter Strafe stellt, ist diskriminierend und verletzt das Recht auf freie Meinungsäußerung. Zu diesem Schluss ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gekommen. In ihrer am Dienstag veröffentlichten Entscheidung gibt die dritte Kammer einer Klage von drei Aktivisten statt, die in Russland wegen dieses Vorwurfs verurteilt worden waren. Einzig der von Russland entsandte Richter Dmitrij Djedow stimmte gegen das Urteil seiner sieben Kollegen und verteidigte die Position Moskaus, eine positive Darstellung von Homosexualität wirke "schädlich auf die Entwicklung von Kindern" und setze sie "der Gefahr von sexuellem Missbrauch aus".
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Russisches Justizministerium will das Urteil anfechten
Geklagt hatten drei Aktivisten, die in Russland zu Geldstrafen verurteilt worden waren, nachdem sie gegen die Gesetze protestiert hatten. Das Straßburger Gericht sprach ihnen eine Entschädigung von fast 50 000 Euro zu. Das Justizministerium in Moskau kündigte an, die Entscheidung anzufechten. Ein Sprecher von Präsident Wladimir Putin erklärte, das Urteil werde geprüft. Das Gesetz verbiete lediglich, vor Minderjährigen für Homosexualität zu werben.
Das 2013 verabschiedete Gesetz untersagt "Propaganda für nichttraditionelle sexuelle Beziehungen unter Minderjährigen", Verstöße werden als Ordnungswidrigkeiten mit Strafen zwischen umgerechnet 80 und 1 500 Euro geahndet. Aktivisten beklagen, dass schon Zärtlichkeiten in der Öffentlichkeit als Werben für Homosexualität ausgelegt werden können. Jeder, der keine heterosexuelle Beziehung führe, müsse befürchten, bestraft zu werden, wenn er seine Neigung öffentlich zeigt. So überprüfen Veranstalter, die Filme zeigen möchten, in denen homosexuelle Beziehungen thematisiert werden, beim Einlass die Ausweise der Zuschauer, um keine Strafen zu riskieren.
Homosexuellen-Verschleppungen in Tschetschenien
Zwischen 2014 und 2016 wurden 14 Personen wegen Verstößen gegen den Paragrafen verurteilt. Die europäischen Richter kamen jetzt zu der Auffassung, dass das 2013 verabschiedete Gesetz eine Atmosphäre schaffe, die zu Übergriffen auf sexuelle Minderheiten einlade. Im April war bekannt geworden, dass in der russischen Republik Tschetschenien in jüngster Zeit mehr als einhundert Personen verschleppt und gefoltert wurden wegen des Vorwurfs, sie seien homosexuell. Die Zeitung Nowaja Gaseta berichtete, dass mindestens drei Männer getötet wurden.