EGMR-Urteil gegen Russland:Schmerzensgeld für Angehörige verschleppter Tschetschenen

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Russland wegen der Verschleppung von Tschetschenen erneut verurteilt. Die Angehörigen von 36 Verschollenen erhalten nun insgesamt etwa 1,9 Millionen Euro Schmerzensgeld.

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat Russland zu Schmerzensgeld in Höhe von 1,9 Millionen Euro verurteilt. Geklagt haben Angehörige 36 verschollener Tschetschenen.

(Foto: dpa)

Zwischen 2000 und 2006 sind bei russischen Militäroperationen 36 Tschetschenen verschwunden. Von den Männern fehlt immer noch jede Spur. Deshalb gehen die Richter des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) nun von ihrem Tod aus. Sie sehen es als erwiesen an, dass die Männer bei Einsätzen der russischen Armee in der abtrünnigen Kaukasus-Republik verschleppt wurden.

Russland muss den klagenden Angehörigen nun Schmerzensgeld in Höhe von jeweils 23.000 bis 300.000 Euro zahlen. Hinzu kommen Beträge von 2500 bis 7000 Euro pro Antrag und Aufwand. Der Gesamtbetrag in den zwanzig Fällen beläuft sich damit auf mehr als 1,9 Millionen Euro. Das Schmerzensgeld fließt an enge Verwandte der Verschollenen, an Ehefrauen, Kinder, Eltern oder Geschwister.

Die rund 90 Kläger berichteten übereinstimmend von bewaffneten Soldaten, die akzentfrei Russisch sprachen. Diese seien nachts in ihre Häuser eingedrungen und hätten die Männer mitgenommen. Das älteste Opfer war zum Zeitpunkt seiner Verschleppung 54 Jahre alt, das jüngste 18. Moskau bestreitet, dass russische Soldaten sie verschleppt haben.

Mangelhafte Ermittlungen und unmenschliche Behandlung

Der Straßburger Gerichtshof rügte, dass Russland wie bei früheren Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien und anderen Kaukasus-Republiken keinen einzigen Täter ermittelt und zur Verantwortung gezogen habe. Die russische Justiz leitete Ermittlungen ein, die wiederholt ausgesetzt wurden und noch heute nicht abgeschlossen sind. Alle Versuche, die Vermissten aufzuspüren, seien gescheitert. Moskau habe keinerlei plausible Erklärung für das Verschwinden der Männer vorgebracht.

Die Strafverfahren wiesen dem Urteil zufolge durchweg Mängel auf. In allen Fällen begannen die Ermittlungen zu spät. Die Beweisaufnahme war nicht gründlich und mögliche Zeugen kamen nicht zu Wort. Russland habe somit nicht nur gegen die Grundrechte auf Schutz des Lebens und der Freiheit verstoßen, sondern auch gegen das Recht auf ein wirksames Gerichtsverfahren, heißt es in dem Urteil. Außerdem lasse Moskau die Angehörigen seit vielen Jahren im Ungewissen über das Schicksal der Verschollenen. Dies verstoße gegen das Verbot unmenschlicher Behandlung.

Der EGMR sprach heute mehrere Urteile. Russland ist seit Jahren das Europaratsland, gegen das der EGMR die meisten Rügen ausspricht. Allein 2012 erließen die Straßburger Richter 122 Urteile gegen Moskau, unter anderem wegen der Tötung und weiteren Verschleppungen von Zivilisten in Tschetschenien.

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