Süddeutsche Zeitung

Edward Snowden:Bildschirmgrüße aus Moskau

Seit fünf Jahren sitzt der berühmteste Whistleblower unserer Zeit im Exil fest - und in einem Dilemma: Er setzt sich für Freiheitsrechte ein, die Russland seinen eigenen Bürgern nicht gewährt.

Von Frederik Obermaier und Bastian Obermayer

Vermutlich ist Edward Snowden der begehrteste Redner, von dem niemand erwartet, dass er tatsächlich physisch erscheint. Jeder, der Snowden bucht, weiß genau, dass der Whistleblower seine Zuhörer von einem Bildschirm begrüßen wird - mit der typisch blechern-verzerrten Stimme, was der Computer-Übertragung geschuldet ist. Snowden erklärt dann, unaufgeregt und gern ironisch, wie digitale Geheimnisse der Bürger ihren Weg zu den Geheimdiensten dieser Welt finden. Seine regelmäßigen Vorträge und Teilnahmen an Podiumsdiskussionen gehören zu dem neuen Leben, das Edward Snowden sich im Moskauer Exil aufgebaut hat.

Fünf Jahre nach seinen weltverändernden Enthüllungen ist es politisch ruhiger geworden um den ehemaligen NSA-Mitarbeiter. Die Journalisten, mit denen er zusammengearbeitet hat, sind mittlerweile mit allen vorstellbaren Preisen ausgezeichnet worden, dem Pulitzerpreis für den britischen Guardian und die Washington Post etwa oder dem Oscar für Laura Poitras' Dokumentation "Citizenfour". Damit ist auch Snowdens Relevanz wieder und wieder bestätigt worden. Er ist inzwischen sozusagen ein amtlich anerkannter Whistleblower, jedenfalls für die überwältigende Mehrheit. Der Rest hasst ihn dafür umso inniger - ihn, den Verräter; viele unterstellen ihm, inzwischen für die russischen Geheimdienste zu arbeiten. Dieser Vorwurf ist indes durch nichts belegt. Die zahlreichen Snowden-Hasser scheinen ihre Gewissheit vor allem aus der Tatsache zu ziehen, dass er sich nun mal in Russland aufhält, unter dem Schutzschirm des russischen Staates.

Nach wie vor lebt Edward Snowden irgendwo im Großraum Moskau. Hier ist er gestrandet, nachdem die US-Behörden 2013 während seiner Flucht über Hongkong seinen Reisepass für ungültig erklärt hatten. Freunde und Verwandte besuchen ihn seither regelmäßig in Russland. Nach allem, was man weiß, kann er sich verhältnismäßig frei bewegen. Verzichtet Snowden auf seine markante Brille, werde er auf der Straße meistens nicht einmal erkannt, erzählte ein Vertrauter Snowdens der Süddeutschen Zeitung.

Wenn Snowden sich zu Wort melden will, nutzt er meist den Kurznachrichtendienst Twitter. Seinem Account dort folgen inzwischen beinahe vier Millionen Menschen, und retweeten seine Botschaften tausendfach. Er selbst folgt nur einem einzigen Account: dem der NSA, dem US-Geheimdienst, seinem ehemaligen Arbeitgeber, der Millionen Menschen weltweit illegal überwachen ließ. Die Botschaft ist klar: Ich behalte euch im Auge.

Seine Leidenschaft im Kampf gegen die weltweite Überwachung scheint unverändert zu sein. Snowden setzt sich weiterhin gegen das totale Ausspionieren privater Daten im Internet ein, und verbreitet, etwa über Twitter, Ratschläge, wie man sein eigenes Privatleben davor schützen kann. Aber Edward Snowden will nicht nur Vorträge halten und diskutieren, als Präsident der Nichtregierungsorganisation Freedom of the Press Foundation kümmert er sich um die Entwicklung und Verbesserung von verschlüsselter Kommunikation, etwa den Chat-Service "Signal".

Wer mit Professoren für Kryptologie - unter diesen Begriff fallen Verschlüsselungstechniken - über Instrumente spricht, die Whistleblower nutzen können, der hört auch mal ein lapidares: "Lasst uns das mit Ed besprechen". Wenig später sitzt man dann Edward Snowden im Videochat gegenüber und erfährt, woran dieser gerade arbeitet. Das aktuellste Projekt der Freedom of the Press Foundation ist eine Idee namens "Sunder", ein sogenannter Secret Splitter, auf Deutsch "Geheimnisteiler". Durch Sunder können Dokumente digital so verschlüsselt werden, dass man zur Entschlüsselung später nicht mehr nur einen Schlüssel benötigt, sondern zwei, drei oder mehr. Wenn also ein Whistleblower einem Journalisten geheime Unterlagen zuspielen will, über die erst ab einem gewissen Zeitpunkt berichtet werden soll, kann er die anderen Schlüssel seinem Anwalt, seiner Mutter oder einer anderen Vertrauensperson übergeben. So haben Whistleblower mehr Kontrolle über ihre Daten - und ein Stück mehr Sicherheit.

Snowden selbst, der wohl berühmteste Whistleblower unserer Zeit, bleibt derweil gefangen. Er will weg aus Russland, das hat er jedenfalls wiederholt gesagt. Die Lage in Russland muss ihm höchst unangenehm sein: Ausgerechnet er, der sich weltweit für Freiheitsrechte einsetzt, wird protegiert von einem Staat, der seinen Bürgern diese Rechte nicht wirklich gewährt. Doch im Rest der Welt droht Edward Snowden die Festnahme, die Auslieferung in die USA und sogar die Todesstrafe wegen Verrats - damit hatte US-Präsident Donald Trump im Wahlkampf wiederholt gedroht.

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SZ vom 26.05.2018/eca
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