Süddeutsche Zeitung

Editorial:Pistengigantismus

Das Skifahren hat seit Jahren ein echtes Imageproblem, und die Skigebietsbetreiber sind nicht ganz schuldlos daran.

Von Dominik Prantl

In der vergangenen Woche gab es in einigen Teilen Österreichs einen für November ungewohnt starken und zerstörerischen Wintereinbruch. Ich habe mich dann auch ein paarmal dabei ertappt, wie ich ans Skifahren dachte, und mich dafür natürlich auch sofort angemessen geschämt. Skischam sozusagen.

Denn das Skifahren hat seit Jahren ein echtes Imageproblem, und die Skigebietsbetreiber sind nicht ganz schuldlos daran. In einem Skigebiet im erweiterten Münchner Speckgürtel zum Beispiel wurde schon im Oktober ein weißes Band aus konserviertem Vorjahresschnee - die Marketingmenschen nennen das Snowfarming, als könnte man den Schnee säen und ernten - an die grünbraunen Hänge tapeziert. Zwei Betreiber im Ötz- und Pitztal planen wiederum, ein paar bislang unberührte Gletscherflächen mit Liftanlagen zu verkleiden, um eine tälerübergreifende Verbindung zu schaffen. Kürzlich machte sogar die Meldung die Runde, dass sie für diese sogenannte Gletscherehe einen ganzen Berggipfel absprengen müssten, was nicht wirklich stimmte. Nur ist es offenbar so, dass die Menschen das durchaus glaubhaft fanden und eine Petition gegen das Projekt eifrig unterstützten. Sie steht derzeit bei etwa 150.000 Unterschriften.

Es verwundert auch nicht weiter, wenn manche dieser Skigebietsbetreiber immer wieder als Liftkaiser, Seilbahnfürst oder Schneekönig bezeichnet werden, gerne in Kombination mit dem Begriff Liftimperium. Liftimperialisten - es sind nie Imperialistinnen - finden solche Bezeichnungen naturgemäß unpassend bis deppert. Allerdings trifft es den Kern der Sache ganz gut. Behauptet der Seilbahnfürst doch gerne, er handle im Sinn des Volkes ("Skilifte bedeuten Arbeitsplätze"), ohne anscheinend zu erkennen, welch holzschnittartiger Form des Berg-Absolutismus er frönt (Der Tourismus bin ich!). Wahrscheinlich ist es auch kein Zufall, dass die meisten von ihnen der ÖVP nahestehen. Einige von ihnen stehen ihr sogar so nahe, dass sie selbst schon ÖVP sind, wie etwa der in vielerlei Hinsicht durchaus unterhaltsame Nationalratsabgeordnete und Obmann des Österreichischen Fachverbands der Seilbahnen, Franz Hörl. Obmann bedeutet frei übersetzt so viel wie Chef und ist eines der Wörter, das außer in Ausschüssen des Deutschen Bundestags vor allem in österreichischen Institutionen ein wichtiges Biotop zum Überleben gefunden hat. Man gewinnt jedenfalls oft den Eindruck, dass es die Alphamännchen des Wintertourismus wenig juckt, wie viele Menschen den Pistengigantismus satthaben, ohne gleich einen Kreuzzug gegen den gesamten Skibetrieb anzetteln zu wollen. Ich bin zum Beispiel der Meinung, dass man gerne ans Skifahren denken darf und manche Entwicklung im Skizirkus trotzdem fragwürdig finden kann - genauso wie man gerne Bayer oder Österreicher sein kann und sich dennoch über die jeweiligen Regierungen wundern darf.Falls Sie demnächst also Ski fahren gehen sollten, dann schämen Sie sich nicht zu sehr. Genauso wenig wie man sich für Österreichs Fußballer (allesamt in der deutschen Bundesliga aktiv) schämen muss, die sich die Teilnahme an der EM 2020 gesichert haben.

Dieser Text ist zuerst am 22. November 2019 im Österreich-Newsletter erschienen. Kostenlose Anmeldung: sz.de/oesterreich

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SZ vom 23.11.2019
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