Editorial:Das sind die Implant Files

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Implantate können Leben retten - oder zerstören. Eine Sonderausgabe über gefährliche Medizinprodukte und die Leidtragenden eines Systems.

Von Katrin Langhans

Bandscheibenprothesen wandern im Körper, giftiges Metall reibt von Hüftgelenken ab, Herzschrittmacher fallen plötzlich aus. Immer wieder gelangen schlecht getestete Produkte in Deutschland auf den Markt, und immer wieder sind die Patienten die Leidtragenden eines unzureichend kontrollierten Systems. Deutschland ist berühmt, sogar berüchtigt für seine peniblen Vorschriften. In einer Bäckerei darf keine Fliese einen Sprung haben, im Restaurant darf kein Nagel im Flur aus der Wand hängen, das Gewerbeamt vermisst jeden Quadratzentimeter auf dem Gehweg, ehe der Wirt einen Sonnenschirm vor seinem Lokal aufstellen darf. Aber ein Implantat, das Menschen an die Schnittstelle zwischen Leben und Tod, zwischen Gebrechen und Mobilität, zwischen Krankheit und Wohlbefinden implantiert wird, in den Körper gepflanzt, das kommt oft schlampig geprüft oder ganz ohne Studien auf den Markt.

Die europäische Verordnung, die bestimmt, was ein neues Produkt leisten muss, ist viel zu lax. Neun von zehn Hochrisikoprodukten, zu denen etwa Hüftgelenke und Herzschrittmacher zählen, durchlaufen nach einer Schätzung des Gesundheitsministeriums keine klinische Studie. Angesichts der möglichen Folgeschäden ist das fatal. Denn ist der Schrott einmal im Körper, ist er schwer wieder herauszubekommen. Der Patient erleidet Schmerzen, ihm drohen komplizierte und teure Folgeoperationen. Hat ein Medikament unerwünschte Nebenwirkungen, kann man es einfach absetzen, der Arzt verschreibt ein anderes, verträglicheres. Aber ein Implantat? Das lässt sich nicht einfach so aus dem Körper reißen. Patienten vertrauen solchen Geräten ihr Leben an - Hersteller, die mangelhafte Produkte auf den Markt bringen und Behörden, die sie gewähren lassen, spielen mit diesem Vertrauen. Die Folge ist oft: Verunsicherung und pure Angst. Der Schutz des Patienten bleibt seit Jahren auf der Strecke, die Politik hat nichts aus den Skandalen der vergangenen Jahre gelernt.

Gerissene Brustimplantate? Giftige Metallprothesen? Solch schadhaften Produkte können jederzeit wieder auf den Markt gelangen, wie viele Geschichten der weltweiten Implant-Files-Recherche zeigen. Mehr als 250 Journalisten unter der Leitung des International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) haben über ein Jahr lang mit Patienten gesprochen, Dokumente ausgewertet und Gerichtsakten gewälzt. Natürlich retten und verlängern viele medizinische Geräte unser Leben. Aber das Ergebnis der Recherche ist alarmierend und erschreckend. Es zeigt, dass Patienten auf ein löchriges System vertrauen müssen, und es zeigt auch, dass die Politik bei den simpelsten Fragen passen muss. Denn am Ende will man als Patient nur Gewissheit bekommen: Ist das Produkt, das mir der Arzt empfiehlt sicher? Funktioniert es? Gibt es Erfahrungswerte?

Man will nicht irgendein Gerät, vielleicht auch nicht unbedingt das Neueste. Aber ein sicheres, auf das man sich verlassen kann. Datenbanken, in denen sich Patienten darüber informieren können, welche Produkte gut sind und welche oft zu Komplikationen führen, gibt es nur in wenigen Ländern. Die, von denen man es erwarten würde, die peniblen Deutschen, die über jeden Verkehrssünder punktgenau Kartei führen, sie sind nicht dabei. Zwar gibt es zumindest einige Daten auch hierzulande, aber das Ministerium für Gesundheit hält sie unter Verschluss. Patienten erfahren nicht einmal, welche Produkte zu den meisten Todesfällen geführt haben. Alles geheim, zum Schutz der Unternehmen. Der Staat schützt Geschäftsgeheimnisse, aber er schützt den Patienten nicht. Es wird Zeit, dass sich das ändert.

© SZ vom 30.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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