Edeka, Tengelmann und Gabriel:Gabriel ist nicht befangen, er will Arbeitsplätze retten

Sigmar Gabriel, Edeka, Tengelmann

16 000 Arbeitsplätze in 451 Tengelmann-Einkaufsmärkten zu erhalten - darum geht es Sigmar Gabriel bei der Fusion der Supermarktketten.

(Foto: REUTERS)

Der Wirtschaftsminister wird getadelt, weil er sich in eine Unternehmensfusion einschaltet. Das ist absurd. Würde Gabriel nicht versuchen, Jobs zu erhalten, wäre er ein verantwortungsloser Nichtsnutz.

Kommentar von Heribert Prantl

Der freie Markt ist unantastbar; ihn zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Nein, so steht das nicht im Grundgesetz. Nein, dort geht es nicht ganz vorn um Markt und Wettbewerb, sondern um die Würde des Menschen. Freier Markt und Wettbewerb sind wichtig, aber nicht heilig.

Die Wirtschaftsordnung, die der deutschen Gesellschaft so gutgetan hat und die auch der europäischen Gesellschaft so guttun würde, heißt soziale Marktwirtschaft, nicht freie Marktwirtschaft. Darum ist es wichtig, dass, bei aller Lust am Wettbewerb, das Gemeinwohl nicht unter die Räder kommt. Zum Gemeinwohl zählt es, wenn Arbeitsplätze gesichert werden können. Das mag, wie Ökonomen das formulieren, ein "außerwettbewerblicher Gesichtspunkt" sein. Es ist aber ein wichtiger Gesichtspunkt.

Zu tadeln ist der Kartellsenat

Wenn Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel im Rahmen der Möglichkeiten, die das Gesetz ihm ausdrücklich gibt, per Ministererlaubnis bei Tengelmann Arbeitsplätze zu sichern versucht, ist das nicht zu tadeln, sondern zu loben. Zu tadeln ist der Kartellsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf, der dem Minister deswegen in barscher Form "Befangenheit" unterstellt. Das ist lächerlich und absurd.

Ein Minister, der Arbeitsplätze erhalten will, ist nicht befangen, sondern macht Politik; befangen wäre er, wenn er sich damit private Vorteile sichern würde; das behaupten auch Gabriels größte Kritiker nicht.

Ein Sozialdemokrat, der nicht im Rahmen der Gesetze und seiner politischen Möglichkeiten versuchen würde, 16 000 Arbeitsplätze in 451 Tengelmann-Einkaufsmärkten zu erhalten, wäre ein verantwortungsloser Nichtsnutz. Man kann sich darüber streiten, ob die Auflagen an Edeka, mit denen er das zu erreichen versucht, Erfolg haben werden; die Richter bezweifeln das; aber das ist ein politischer Streit, kein juristischer. Oberlandesrichter sind keine Oberwirtschaftspolitiker.

Tengelmänner und Tengelfrauen sind dankbar, wenn die Politik sich um ihre Arbeitsplätze kümmert

Im Streit um die Fusion von Tengelmann und Edeka, die Gabriel per Ministererlaubnis mit harten Auflagen genehmigt hat, geht es nicht nur um Tengelmann und Edeka und auch nicht nur um Arbeitsplätze. Es geht um Machtfragen, um das Verhältnis von Justiz und Politik und um Gewaltenteilung. Die Beschlüsse des Kartellgerichts in Sachen Tengelmann sind eine juristische Kriegserklärung dreier Richter nicht nur gegen Minister Gabriel, sondern gegen die Politik als solche. Die Richter wollen das politische Ermessen durch ihr eigenes Ermessen ersetzen; sie wollen die Wirtschaftspolitik juristisch so kontrollieren, dass ihr im konkreten Fall kein Spielraum bleibt.

Die Kartellrichter wollen ihr Fach (das Kartellrecht, das marktbeherrschende Fusionen verhindern soll), nicht mit sozialen und sonst angeblich wettbewerbsfremden Gesichtspunkten beschmutzt sehen. Sie agitieren daher gegen das gesetzliche Instrument, das sie für einen Einbruch der Politik ins Recht der Wirtschaft halten: die Ministererlaubnis. Den Kartellrichtern passt die Ministererlaubnis nicht, sie halten diese für systemwidrig. Eigentlich möchten sie den einschlägigen Paragrafen zerreißen; aber das dürfen sie nicht; das darf nur das Bundesverfassungsgericht. Aber statt das Gesetz dort zur Prüfung vorzulegen, zerreißen die Richter ersatzweise den Minister in der Luft. Die Richter machen Politik; das steht ihnen nicht zu. Hans-Peter Uhl, Justiziar der CDU/CSU-Fraktion, sonst kein Freund von Gabriel und der SPD, hat daher den Minister im Handelsblatt gegen die Angriffe der Richter verteidigt.

Ein Gericht darf sich nicht auf diese Weise selbst zum Gesetzgeber machen

Die Ministererlaubnis ermöglicht es einem Wirtschaftsminister seit 43 Jahren, eine Fusion auch gegen das Votum des Bundeskartellamts auf Antrag der fusionswilligen Firmen zu genehmigen. Das kommt nicht oft vor; 21 Mal wurde seit 1973 so ein Antrag gestellt, nur in acht Fällen wurde die Ministererlaubnis erteilt. So war das nun auch im Fall Nummer 22, dem Fall Tengelmann; zum ersten Mal wurde sie auf das Argument Arbeitsplatzsicherung und nicht etwa auf internationale Wettbewerbsfähigkeit (wie 2002 bei E.ON/Ruhrgas) oder Ähnliches gestützt.

Kartellamt und Monopolkommission hatten die Edeka-Fusion mit Warnung vor einer Konzentrationsspirale abgelehnt; der Verlust der Arbeitsplätze fiel bei ihren Gutachten nicht ins Gewicht. Solche Auswirkungen, so die Monopolkommission kalt, könnten ja durch die positiven gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen abgemildert werden. So einen Satz kann sich die entlassene Tengelfrau dann einrahmen. Die meisten Schleckerfrauen (Wirtschaftsminister Philipp Rösler, FDP, hatte damals eine Transfergesellschaft für Schlecker verhindert) sind noch heute arbeitslos.

Politische Selbstermächtigung statt Rechtsinterpretation

Gremien, die nur dem Kartellrecht verpflichtet sind, dürfen so kalt reden; nicht ein dem Gemeinwohl verpflichteter Politiker. Gabriel hat versucht, die Fusion per Auflage an den Abschluss rechtssicherer Tarifverträge zu koppeln. Die Kartellrichter aber machen sich darüber in befremdlicher Weise lustig. Sie stellen an den Weg, der zur Ministererlaubnis führt, so hohe Anforderungen, dass sie praktisch unerfüllbar sind. Die Richter machen aus der politischen Ministerentscheidung eine bürokratische Ministeriumsentscheidung, deren Bewertung sie durch eigene Bewertungen ersetzen. Das ist nicht Rechtsinterpretation, wie sie zum Richteralltag gehört, das ist politische Selbstermächtigung.

Es kommt vor, dass ein Gericht ein Gesetz für wenig sinnvoll hält. Aber es darf dieses Gesetz dann nicht so anwenden, dass es seinen Sinn verliert und unanwendbar wird; ein Gericht darf sich nicht auf diese Weise selbst zum Gesetzgeber machen. Das darf ein Gericht nur dann, wenn es Bundesverfassungsgericht heißt; dann darf es Gesetze verwerfen. Dann, wenn es gar kein Gesetz gibt, aber die Dinge (wie im Arbeitskampfrecht) geregelt werden müssen, können Gerichte auch rechtsgestaltend wirken; das gesamte Streikrecht ist daher Richterrecht. Und wenn sich der Gesetzgeber, wie des Öfteren, vor Entscheidungen drückt, muss das höchste Gericht einspringen und ersatzweise Politik machen. Aber nur dann!

Richter sind unabhängig. Das ist gut so. Aber die Kartellrichter in Düsseldorf haben etwas verwechselt: Unabhängigkeit meint nicht Unabhängigkeit vom Gesetz.

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