US-Deserteur im Zweiten Weltkrieg:Warum Eddie Slovik sterben musste

Pvt. Eddie D. Slovik, Shot for Desertion 1944

Eddie Slovik wurde im Alter von 24 Jahren von der US-Armee in Frankreich hingerichtet - als einziger Deserteur seit dem Amerikanischen Bürgerkrieg.

(Foto: Bettmann Archive)

Ende Januar 1945 richtete die US-Armee einen 24-jährigen Soldaten hin. Die Geschichte des bislang letzten US-Deserteurs, an dem die Todesstrafe vollstreckt wurde.

Von Thomas Balbierer

Als Edward D. Slovik am 31. Januar 1945 von elf Gewehrkugeln durchsiebt wird, stirbt er nicht sofort. Keiner der zwölf Männer des Erschießungskommandos trifft sein Herz, einer schießt aus zwanzig Schritten Entfernung sogar daneben.

Slovik, ein einfacher, 24 Jahre alter Soldat der US-Armee, ist erst tot, als die Schützen abermals zum Feuerstoß nachladen. Es ist das unglückselige Ende eines Menschen, der seine Flucht vor dem Grauen des Zweiten Weltkrieges mit dem Leben bezahlt.

Heute gilt die Exekution Eddie Sloviks in den USA als Unrecht. Benedict Kimmelman, der als Offizier den Kriegsprozess gegen Slovik mitverhandelt und das Todesurteil unterstützt hatte, gestand Ende der 80er Jahre in dem Geschichtsmagazin American Heritage: "Seine Hinrichtung war eine historische Ungerechtigkeit." Kimmelman war überzeugt, dass das Urteil nie vollstreckt würde.

Während des Zweiten Weltkriegs wurden Tausende US-Soldaten wegen Fahnenflucht angeklagt und verurteilt. Dem offiziellen Vermerk eines Militärjuristen aus der Nachkriegszeit zufolge erhielten 49 Soldaten sogar die Todesstrafe. Hingerichtet wurde nur einer, als letzter US-Deserteur bis heute: Eddie Slovik. Warum musste er sterben?

1939 klaut er einen Wagen und baut betrunken einen Unfall - für die Armee ist er untauglich

Slovik kommt am 18. Februar 1920 als Nachfahre polnischer Einwanderer in der Nähe von Detroit zur Welt. Er ist alles andere als ein Musterknabe. Im Alter von zwölf Jahren bricht Eddie Slovik gemeinsam mit Freunden in eine Gießerei ein und klaut Messing.

Das bringt ihm laut einem Bericht der Detroit News seine erste Verhaftung ein. Weitere folgen, Slovik begeht kleinere Diebstähle und Ruhestörung. 1939, in dem Jahr in dem Hitler-Deutschland mit dem Überfall auf Polen den Zweiten Weltkrieg auslöst, ist das große Gemetzel für Slovik ganz weit weg. Er sitzt im Gefängnis, nachdem er und zwei Freunde betrunken ein Auto gestohlen und damit einen Unfall gebaut haben. Beim Kriegseintritt der Vereinigten Staaten 1941 gilt der Kleinganove als untauglich für den Militärdienst.

Nach seiner Haftentlassung 1942 will Slovik ein redliches Leben führen. Er heiratet und bekommt einen Job in einer Autofabrik. Mit seiner Frau Antoinette zieht er in ein Städtchen nahe Detroit. Der Journalist William Bradford Huie, der 1954 mit seinem Buch "The Execution of Private Slovik" erstmals auf dessen Schicksal aufmerksam macht, beschreibt ihn als einfachen und glücklichen Mann. "Er liebte es, abends im Carmen-Filmtheater [...] zu sitzen und einen guten Film zu schauen, mit den Lippen am Ohr seiner Frau."

Doch dann werden die USA immer tiefer in den Krieg hineingezogen, Uncle Sam braucht jeden Mann - und plötzlich gilt auch das frühere Schmuddelkind Eddie Slovik als kriegstauglich. Er wird eingezogen und im Sommer 1944 nach Frankreich beordert. Dort drängen die Alliierten seit ihrer Landung in der Normandie die Wehrmacht immer weiter zurück.

Nachdem seine Einheit unter Beschuss gerät, setzt sich Slovik ab

Slovik wird dem 109. Infanterieregiment zugewiesen. Auf dem Weg zu der Einheit erlebt der junge Soldat erstmals die Schrecken des Krieges. Er sieht Leichen, ausgebrannte Lastwagen und zerbombte Orte. Seine Gruppe gerät unter schweren Beschuss, muss sich zum Schutz eingraben.

Die Gewalt versetzt Slovik in Todesangst. Er will nicht kämpfen und bleibt in seiner Höhle. Wie aus dem Gerichtsurteil gegen Slovik hervorgeht, setzt er sich am 25. August 1944 von der Truppe ab. Er marschiert in eine französische Stadt, schläft in einem Krankenhaus und schließt sich der kanadischen Militärpolizei an. Dort macht er sich beim Räumen von Minenfeldern nützlich.

Als er im Oktober zurück an seine Kompanie überstellt wird, weigert sich Slovik aber immer noch, in den Kampf zu ziehen. Er will seinem Land in Sicherheit dienen und gibt eine handschriftliche Erklärung ab.

"Ich, Pvt. Eddie D. Slovik #36896415 gestehe die Fahnenflucht gegenüber der Armee der Vereinigten Staaten." Der 24-Jährige berichtet von seinem ersten traumatischen Kriegserlebnis. "Ich war so verängstigt und habe gezittert." Der letzte Satz klingt wie ein erbittertes Flehen um Gnade: "WENN ICH DA NOCH EINMAL RAUS MUSS, RENNE ICH WIEDER WEG."

Das Gericht diskutiert nicht ob, sondern wie Slovik hingerichtet wird

Am 11. November 1944 wird Slovik vor dem Kriegsgericht angeklagt und wegen Fahnenflucht zum Tode verurteilt. Während der Verhandlung, so erinnert sich Kimmelman in American Heritage, sagt Slovik nichts. Sein Verteidiger plädiert auf "nicht schuldig", doch die Militärrichter haben ihr Urteil schnell gefällt. "Keiner von uns im Gericht hatte Zweifel an seiner Schuld geäußert", so Kimmelman, der als Richter mit am Tisch sitzt.

Lediglich über die Art und Weise der Hinrichtung habe es "kurze Unstimmigkeiten" gegeben. Weil die Erschießung den Richtern als "weniger unehrenhaft" erscheint als das Hängen, wollen sie Slovik vor das Erschießungskommando stellen.

Das Todesurteil wird vom Oberbefehlshaber und späteren US-Präsidenten Dwight D. Eisenhower abgesegnet. Dass Slovik der einzige amerikanische Soldat ist, der seit dem Bürgerkrieg in den 1860er Jahren hingerichtet wird, ist also kein Versehen des Militärs, sondern Kalkül.

Denn die Alliierten stecken gerade mitten in der Abwehr der deutschen Ardennenoffensive und müssen herbe Verluste hinnehmen. Allein in der "Battle of Bulge" verlieren die USA rund 19 000 Soldaten. Die Strategen fürchten um den Kampfeswillen der GIs.

An dem Kleinkriminellen Eddie Slovik statuieren sie daher ein Exempel, wie aus einer Antwort des Judge Advocate General's Corps, der obersten Justizinstanz der Armee, auf das Todesurteil hervorgeht. Darin heißt es, Slovik habe eine Haftstrafe beabsichtigt, um so an einen "sicheren Ort" zu gelangen. Eine "weniger strenge Strafe" als der Tod hätte ihn vor den Gefahren beschützt, "denen so viele unserer Streitkräfte täglich begegnen müssen".

Ein Gnadengesuch Sloviks nimmt General Eisenhower wohl nicht zur Kenntnis. Es endet laut Kimmelman mit dem Satz: "Meines Wissens habe ich mich seit meiner Heirat und als Soldat gut verhalten. Ich würde gerne weiterhin ein guter Soldat sein."

Die Witwe weiß lange nichts vom Schicksal ihres Mannes

Die Tötung Sloviks wird in den Vereinigten Staaten ein Thema, als der Autor William Bradford Huie Mitte der 50er ein Buch über den jungen Rekruten veröffentlicht. Eddie Slovik sei der "wahrhaft einzigartigste Soldat Amerikas", schreibt er.

Slovik sei als Erster von den USA dafür getötet worden, etwas nicht getan zu haben. Der Autor macht auch auf das Schicksal der Witwe Antoinette Wisniewski Slovik aufmerksam. Sie wusste bis zu Huies Recherchen nichts von der Hinrichtung ihres Mannes.

Die Witwe kämpft fortan um Wiedergutmachung. Sie will, dass die Gebeine ihres Mannes in die USA überführt werden. In Frankreich ist er neben Soldaten begraben, die für Vergewaltigung und Mord exekutiert wurden.

Nach der Verfilmung von Huies Buch 1974 erfährt ein Millionenpublikum vom tragischen Schicksal des jungen Rekruten. Und tatsächlich entscheidet die Regierung, Sloviks Überreste in die Heimat zu holen.

"Seit meiner Geburt hatte ich immer Pech", schrieb Slovik einmal kurz nach seiner Einberufung an Antoinette. Erst sie habe ihn glücklich gemacht, doch das Militär zerstöre alles. "Warum lassen sie uns nicht in Ruhe?"

Im Juli 1987, mehr als 40 Jahre nach seinem Tod, findet Sloviks Beerdigung statt. Seine Frau erlebt die Rückkehr nicht mehr. Sie stirbt im Jahr 1979. Slovik wird neben ihr auf einem Friedhof in Detroit beigesetzt. Die gemeinsame Ruhe, die sie im Leben nicht mehr fanden, teilen sie im Tod.

Zur SZ-Startseite
Deutscher Soldat bringt gefangene US-Soldaten nach hinten, 1945

SZ PlusZweiter Weltkrieg
:Wie die Ardennenschlacht tobte

Vor 75 Jahren bricht die Ardennen-Offensive zusammen, der letzte Versuch Hitler-Deutschlands, das Blatt noch einmal zu wenden. Die deutschen Anfangserfolge schockieren die Alliierten ebenso wie die Gräuel der SS.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: