Edathy-Affäre:Schuld und Bühne

Sebastian Edathy

"Sicherlich habe ich Fehler gemacht": Sebastian Edathy am Donnerstag vor der Bundespressekonferenz.

(Foto: Getty Images)

Der Ex-Abgeordnete tritt in Berlin auf, "um die Wahrheit zu sagen". Sollten seine Vorwürfe stimmen, hätte die Republik einen Skandal. Wenn nicht, wäre alles nur ein mieses Spiel aus falschen Beschuldigungen, verletzten Gefühlen und Rachegelüsten.

Von Nico Fried und Thorsten Denkler

Das Erste, was auffällt, ist nicht das, was Sebastian Edathy sagt, sondern das, was er nicht sagt. Mehr als sechs Minuten lang haben ihn die Fotografen und Kameraleute belagert. Es gab ja seit über einem Jahr praktisch keine aktuellen Bilder mehr, Edathy war abgetaucht, nur für ein Interview ließ er sich einmal fotografieren. Wobei man sagen muss, dass der gewesene SPD-Abgeordnete Edathy eigentlich nicht anders aussieht als der, den man als Abgeordneten in Erinnerung hat. Die Haare kurz, der dunkle Teint, weißes Hemd, dunkelgrauer Anzug, Krawatte.

Selbst die Umgebung ist dieselbe geblieben. Denn genau da vorne, auf dem Podium der Bundespressekonferenz, hat Edathy vor 16 Monaten den Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses zur Mordserie des NSU präsentiert. Sehr gelobt worden ist er damals für seine Arbeit als Vorsitzender. Und wer diesen Auftritt noch in Erinnerung hat, dem fällt jetzt gleich auf, dass Edathy noch genauso redet wie damals, mit diesen Pausen mitten im Satz, diesen auffallend langen Unterbrechungen, die Nachdenklichkeit suggerieren, Präzision, eine Suche nach dem richtigen Wort, der korrekten Formulierung. Souverän wirkt das schon.

Damals, das war wohl sein größter Auftritt vor so vielen Journalisten. Diesmal ist es mit ziemlicher Sicherheit sein letzter. Welcher Auftritt am Ende bedeutender sein wird, lässt sich noch nicht beurteilen. Denn Sebastian Edathy, 45 Jahre alt, ist an diesem Donnerstag nach Berlin gekommen, um die Wahrheit zu sagen. So formuliert er das selbst. Am Ende dieses Tages wird er mit dieser Wahrheit ziemlich alleine stehen. Aber wenn es doch stimmen sollte, was er erzählt hat, dann hat es die Republik mit einem Skandal zu tun, den Edathy gleichermaßen ausgelöst und aufgedeckt hätte. Wenn nicht, dann ist alles nur ein mieses Spiel aus falschen Beschuldigungen, verletzten Gefühlen und Rachegelüsten. Es kann übrigens auch sein, dass die Wahrheit dazwischen liegt, irgendwo zwischen Bananenrepublik und Bubenstück.

Edathy beklagte sich über die Verletzung seiner Rechte

Jetzt, Moment mal: Edathy? Ist das nicht der mit den Kinderpornos? Ja, das stand ganz am Anfang, die Adressenliste eines kanadischen Versandhändlers, Ermittlungen in Deutschland, ein Rücktritt vom Bundestagsmandat, Hausdurchsuchungen. Der juristische Streit war hart, Edathy beklagte sich über die Verletzung seiner Rechte, aber nun könnte alles schon bald beigelegt sein. Die Staatsanwaltschaft Hannover wirft ihm vor, in sieben Fällen Nacktbilder von Kindern auf den Computer geladen zu haben. Die Bilder, die er aus Kanada bezog, sind gar nicht mehr Gegenstand der Anklage. Am 23. Februar soll in Verden der Prozess beginnen. Edathy selbst erzählt jedoch, dass das Verfahren gegen Zahlung "einer überschaubaren" Geldbuße vorzeitig eingestellt werden könnte. Darüber werde gerade verhandelt.

Die Bilder spielen keine allzu große Rolle mehr während Edathys Auftritt. Das liegt auch daran, dass er sich reumütiger gibt als bisher. Im Frühjahr 2014 hatte er dem Spiegel noch gesagt: "Ich weigere mich, einen öffentlichen Kotau zu machen." Er werde "medial und sozial gefoltert" und solle nun "auf der öffentlichen Streckbank ein Mea culpa raunen". Das werde er nicht tun. Nun, im Dezember 2014 sagt Edathy immerhin:"Sicherlich habe ich Fehler gemacht. Es war falsch, diese Filme zu bestellen." Und etwas später fügt er hinzu: "Es war rechtmäßig in Ordnung, aber moralisch falsch, wie ich mich verhalten habe."

Das bedeutet freilich nicht, dass er nun in die Details dessen gehen will, was auf diesen Fotos und Filmen zu sehen ist. So kommt er auch darum herum, über das zu reden, was diese Bilder für die Kinder bedeuten könnten, die darauf zu sehen sind. Immer wenn es um diese Fragen geht, verliert Edathy ein wenig die Contenance, wird er heftiger, manchmal auch fast aggressiv: "Wissen Sie überhaupt, wovon Sie reden?", herrscht er einen Fragesteller an. "Da wird doch nur spekuliert!". Sensibilität bei diesem Thema finde er sehr richtig, nicht aber Hysterie.

Edathy hat einen hohen Preis bezahlt

Für das, was ursprünglich der Fall Edathy war, hat der Delinquent objektiv einen hohen Preis bezahlt, unabhängig davon, ob er noch bestraft wird oder nicht. "Den Makel bekommt man nicht mehr los", das habe er immer gewusst, sagt Edathy. Als er damals sein Bundestagsmandat aufgab, habe er noch gehofft, damit auch zu großer öffentlicher Aufmerksamkeit zu entkommen. Doch da habe er sich getäuscht. Edathy erhielt, so berichtet er, Drohungen, versteckte sich im Ausland. Jetzt wolle er dieses Kapitel "einfach beenden".

Doch einer der vielen Widersprüche dieses Falles besteht darin, dass es mit dem, was Edathy für das Ende der Geschichte halten mag, erst so richtig losgeht. Und niemand weiß das besser als er selbst. Wohl auch deswegen hat er so lange gewartet, das auf den Tisch zu legen, was er als die Wahrheit bezeichnet, zehn Monate, um genau zu sein. Dass er eigenen früheren Äußerungen nun widerspreche, bestreitet Edathy mit einem so ausgeklügelten Satz, dass man ihn glatt für einen Juristen halten könne, obwohl er doch Soziologie studiert hat: "Ich habe mich vorher nicht unterschiedlich geäußert, ich habe mich zu Beginn des Jahres nur nicht vollständig geäußert."

Was den Fall Edathy um so vieles brisanter macht als andere Fälle persönlicher Vorlieben, kann man vielleicht am besten mit dem bei Kindern beliebten Malen nach Zahlen erklären. Es geht darum, wie die Information, dass Edathy auf der Kundenliste des kanadischen Händlers stand, eigentlich vom Bundeskriminalamt in Wiesbaden bis zu Edathy gekommen ist. Das BKA ist also der Ausgangspunkt. Und bisher ging die Linie von einem Punkt zum nächsten so: Der Chef des BKA, Jörg Ziercke, informiert den Staatssekretär im Bundesinnenministerium, der informiert den Minister, der zum fraglichen Zeitpunkt im November 2013 Hans-Peter Friedrich heißt.

Friedrich kostete die Indiskretion sein Amt

Friedrich ist von der CSU und steckt gerade in Koalitionsverhandlungen mit der SPD, weshalb er als vertrauensbildende Maßnahme deren Chef Sigmar Gabriel informiert. Friedrich wird diese Indiskretion später sein Amt kosten, was er lange nicht recht einsehen wollte, weil er nur in bester Absicht gehandelt habe. Es wird sich später noch zeigen, dass in bester Absicht zu handeln im Fall Edathy eigentlich der größte Fehler ist, den man begehen kann, weil man am Ende immer der Dumme ist.

Aber weiter im Spiel: Sigmar Gabriel weiß also nun, dass gegen Edathy möglicherweise strafrechtliche Ermittlungen wegen des Besitzes von Kinderpornografie eingeleitet werden. Gabriel erzählt die Geschichte dem damaligen Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier und dessen parlamentarischem Geschäftsführer Thomas Oppermann. Das war das Ende der Linie von Punkt zu Punkt - doch anders als beim Malen nach Zahlen, wo man jetzt die Kontur eines Elefanten oder einer Maus erkennen würde, ergab sich im Fall Edathy kein vollständiges Bild, weil alle bestritten, ihr Wissen an ihn weitergegeben zu haben.

Edathy wiederum zieht die Linie an diesem Donnerstag in der Bundespressekonferenz und später auch im Untersuchungsausschuss des Bundestages in die Gegenrichtung. Demnach sprach er am 15. November am Rande des SPD-Parteitages in Leipzig seinen Abgeordnetenkollegen Michael Hartmann an. Eigentlich habe er nur über Karriereplanungen für den Fall einer großen Koalition reden wollen. Dass er darüber mit Hartmann redet, liegt nahe, denn die beiden beackern mit der Innenpolitik dasselbe Feld und sind einmal schon als Konkurrenten gegeneinander angetreten. Damals gewann Hartmann die Kampfabstimmung in der SPD-Fraktion um das Amt des innenpolitischen Sprechers.

Hartmann zu Edathy: "Bereit für eine schlechte Nachricht?"

Dann habe Hartmann ihn an jenem Abend in Leipzig jedoch gefragt, ob er "bereit für eine schlechte Nachricht" sei, berichtet Edathy. Sein Name stünde in der Adresskartei des kanadischen Händlers, die Strafbarkeit werde geprüft. Das habe Hartmann aus Sicherheitskreisen erfahren. Im Dezember habe ihm Hartmann dann in einem weiteren Gespräch gesagt, dass seine Quelle BKA-Chef Ziercke sei. Später habe er noch erläutert, dass Ziercke von sich aus auf Hartmann zugekommen sei. "Mehrfache Rücksprachen" habe es zwischen Ziercke und Hartmann gegeben, sagt Edathy in der Pressekonferenz. Er sei "laufend unterrichtet worden".

Wie bitte?

Bundestag Holds Hearings Over Edathy Child Pornography Affair

Aussage gegen Aussage: Jörg Ziercke, einst BKA-Chef, bestreitet Edathys Vorwurf, er habe Informationen weitergegeben.

(Foto: Adam Berry/Getty Images)

Jörg Ziercke ist inzwischen pensioniert. Er hat die Behauptungen Edathys bereits vor einigen Tagen zurückweisen lassen, als sie das erste Mal als Meldung des Magazins Stern veröffentlicht wurden. Es steht Aussage gegen Aussage - und außerdem die Frage im Raum, warum Ziercke das getan haben sollte.

Genau darüber will Edathy mit Hartmann im Januar 2014 auch mal gesprochen haben. Edathy und Ziercke kennen sich. Im NSU-Untersuchungsausschuss war der BKA-Chef als Zeuge geladen. Der Auftritt Zierckes und seine Ausführungen zu möglichen Fehlern der Polizei löste damals bei vielen Abgeordneten des Gremiums nicht gerade Begeisterungsstürme aus. Edathy selbst maulte den BKA-Chef in der Sitzung an: "Ich find's nicht nachvollziehbar, wie Sie hier auftreten."

Trotzdem soll Ziercke, der SPD-Mitglied ist, gewollt haben, dass Edathy stets Bescheid weiß, wie der Stand der Ermittlungen gegen ihn sei. Ziercke habe trotz der Auseinandersetzungen im NSU-Ausschuss nichts gegen Edathy, soll Hartmann gesagt haben, und die SPD solle nicht noch einmal Schaden nehmen wie einige Jahre zuvor im Falle eines anderen Abgeordneten, auf dessen Computer Kinderpornografie gefunden worden war.

Kann ein BKA-Präsident so blöd sein?

Es ist ein Kuddelmuddel an Erzählungen, Vermutungen, Interpretationen, das letztlich zu einer Frage führt: Kann ein Mann, der es bis zum Präsidenten des BKA gebracht hat, wirklich so blöd sein, sich aus parteipolitischem Opportunismus wiederholt der Strafvereitelung im Amt schuldig zu machen? Und kann er noch ein bisschen blöder sein und dafür eine dritte Person ins Vertrauen zu ziehen und quasi als Postillon d'amour einzusetzen?

Ihm gehe es nicht um Rache, er wolle einen Beitrag zur Aufklärung leisten, sagt Edathy ziemlich früh in der Pressekonferenz am Donnerstag. "Welchen Grund sollte ich haben, nicht die Wahrheit zu sagen?" Gut, er habe nur Indizien, keine Belege. Was er schildere, sei "mein Eindruck", sagt Edathy. Alles beruht letztlich auf dem, was ihm Hartmann erzählt haben soll. Aber warum sollte er das anzweifeln? Warum sollte Hartmann sich das alles nur ausgedacht haben? "Mich musste er ja nicht beeindrucken, wir hatten ja eh ein gutes Verhältnis", sagt Edathy.

Wenn es an diesem Tag, an dem so viele Fragen offen bleiben, eine Gewissheit gibt, dann ist es die, dass eine Freundschaft endgültig zerbrochen sein muss: Die Freundschaft zwischen Sebastian Edathy und Michael Hartmann. Wenn es denn überhaupt eine Freundschaft war. "Richtig enge persönliche Freundschaft habe ich in der Politik nicht kennengelernt", sagt Edathy einmal. Es gebe ja auch immer wieder Konkurrenzen untereinander. "Aber man kann trotzdem einen guten Draht haben."

Möglicherweise hat sich auch Hartmann strafbar gemacht

Was Edathy über Michael Hartmann zu sagen hat, ist vielleicht der abstoßendste Teil der ganzen Veranstaltung. Wenn es stimmt, was Edathy erzählt, dann war der Abgeordnete aus Rheinland-Pfalz sein einziger Vertrauter in all den Monaten, hat ihm berichtet, hat sich solidarisiert, war stets ansprechbar. Wenn es stimmt, was Edathy sagt, hat sich möglicherweise auch Michael Hartmann strafbar gemacht.

Edathy aber wirkt merkwürdig distanziert, wenn er über Hartmann spricht. Es ist ja nicht so, dass er es an persönlicher Zerknirschtheit fehlen ließe an diesem Tag. "Ich weiß, ich habe viele Menschen enttäuscht, das tut mir aufrichtig leid", sagt er schon ziemlich am Anfang seines Auftritts. Er habe auch "vielen Weggefährten eine Enttäuschung bereitet". Immer bleibt sein Bedauern allgemein. Ob er sich vorstellen könne, dass Hartmann nun enttäuscht sei von ihm, wird Edathy gefragt. "Ja", antwortet Edathy eher ungerührt.

Aber es geht ja um die Wahrheit.

Natürlich habe er überlegt, ob er "die Wahrheit auch transportieren" könne, ohne Hartmann zu beschädigen. Er führt das nicht weiter aus, aber das Ergebnis dieser Abwägung ist offenkundig. Edathy, der von Hartmann über alle Schritte der Ermittlungen informiert worden sein will, hat seinen Kollegen umgekehrt nicht einmal vorgewarnt, als er dem Stern den beiderseitigen SMS-Verkehr offenbarte. Das gibt Edathy freimütig zu. Er habe ja gewusst, dass es Hartmann über Nachfragen von Journalisten erfahren werde. Und dann sagt er diesen wirklich erstaunlich kalten Satz, der womöglich einiges über Sebastian Edathy verrät: "Er hätte mich ja nicht informieren müssen, aber er hat es getan." Und zwar, so vermutet Edathy, "in menschlich bester Absicht".

In bester Absicht. So wie Hans-Peter Friedrich damals. Der ist nun wenigstens nicht mehr der einzige Dumme.

Vorwürfe an Thomas Oppermann

Zwei Stunden stellt sich Edathy den Fragen der Journalisten. Manche Behauptung ist juristisch nicht von Bedeutung, aber politisch vielleicht noch von Belang. Dem Fraktionschef Thomas Oppermann zum Beispiel wirft Edathy vor, er habe "seine Leute" auf ihn angesetzt, um ihn zur Aufgabe des Mandats zu überreden. Das würde bedeuten, dass Oppermann gelogen hätte, als er behauptete, mit niemandem über den Fall Edathy gesprochen zu haben, außer mit seiner Nachfolgerin in der Fraktionsgeschäftsführung. Oppermann wie auch sein Büroleiter bestreiten das.

Dann zieht Edathy weiter. In seinen 15 Jahren im Bundestag gehörte er fünf Untersuchungsausschüssen an. Jetzt besucht er den sechsten, den, der nach ihm benannt ist. Die Vorsitzende Eva Högl kennt er gut. Sie ist auch in der SPD, sie saß mit Edathy in anderen Ausschüssen. Sie begrüßen sich mit einem eher förmlichen Lächeln. Edathys Vernehmung dauert - mit Unterbrechungen - sieben Stunden. Neue Erkenntnisse bringt sie keine.

Spät am Abend, genauer gesagt um 21.33 Uhr kommt Michael Hartmann, 51 Jahre alt, in den Untersuchungsausschuss. Das wird seine Bühne sein in den nächsten Stunden, absehbar bis tief in die Nacht hinein. Hier muss er den Return spielen. Er öffnet erst eine kleine Wasserflasche, dann eine schwarze Mappe mit Unterlagen. Er beginnt mit einigen Worten über Edathy. Er sei nicht mit ihm befreundet, "wir haben uns nicht mal sehr gemocht". Er habe Edathys Verhalten eher merkwürdig, ja irritierend gefunden. Und er habe erkennbar ein Alkoholproblem gehabt. Dann sagt Hartmann, worauf es ankommt: "Ich hatte keine Informationen über Ermittlungen." Er habe nicht mal vom Verdacht gewusst, Edathy habe Kinderpornos erworben. Davon habe er erst auf dem Parteitag erfahren, von Edathy selbst. Von BKA-Chef Ziercke habe er keine Informationen bekommen. "Ich habe nichts verraten, weil ich nichts zu verraten hatte."

Schon nach wenigen Minuten ist klar, dass am Ende des Tages weiter Aussage gegen Aussage stehen wird. Mann gegen Mann, SPD gegen SPD.

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