Ecopop-Initiative in der Schweiz:Gefährliche Strategie des Ignorierens

Schweizer entscheiden über ´Ecopop"

Plakakt der Gegen-Kampagne zur Ecopop-Initiative

(Foto: dpa)

Die Schweizer stimmen an diesem Sonntag über das Maß der Zuwanderung ab. Die "Ecopop"-Initiative zeigt: Mit Bürgern, die sich vor Überfremdung fürchten, müssen die verantwortlichen Politiker das Gespräch suchen. Ansonsten könnten sich ganze Gesellschaftsschichten abspalten.

Kommentar von Charlotte Theile

Wenn die Schweiz im Ausland für etwas besonders respektiert wird, dann für ihre Fähigkeit zum Konsens. Ihre Regierung, der Bundesrat, besteht aus sieben Mitgliedern, die sich immer und immer wieder einig werden. Auch in Unternehmen, Lehrerkollegien oder Vereinen ringt man sich nach Möglichkeit zu einer gemeinsamen Lösung durch. Jeder soll einbezogen und nicht einfach nur überstimmt werden.

In den vergangenen Wochen war es mit der Einigkeit allerdings nicht weit her. Im Gegenteil. Die strikte Begrenzung der Zuwanderung, wie sie die Initiative "Stopp der Überbevölkerung" der Gruppe Ecopop fordert, entzweit die Schweiz. Der Grundsatz, dass Initiativen, die den ökonomischen Erfolg des Landes aufs Spiel setzen, chancenlos sind, scheint nicht mehr zu gelten. Das Bedürfnis, "denen in Bern" eins auszuwischen, ist bei vielen Bürgern so groß, dass sie wirtschaftliche Nachteile akzeptieren würden.

Etwa 40 Prozent wollen diesen Sonntag mit Ja stimmen. Für diejenigen, die in Wirtschaft, Medien und Politik den Ton angeben, ist das nur schwer zu verstehen. Die Gegen-Kampagne bezeichnet Ecopop rundweg als "absurd", "faschistisch" gar. Ein Ecopop-Nein-Plakat legt nahe, die Befürworter seien Menschen, die dort, wo bei anderen der Kopf sitze, ein Sackgassen-Schild hätten. Wenn gleichzeitig beteuert wird, man müsse die Ängste des Volkes ernst nehmen, klingt das nicht ganz ehrlich.

Wut in den Leserforen

Auf der anderen Seite, in den Kommentarspalten der großen Online-Medien etwa, wird die Wut immer größer. Sie richtet sich nicht nur gegen Bern, sondern auch und vor allem gegen Ausländer. Gegen Arbeitskräfte aus Deutschland etwa, die die Mieten nach oben und die Löhne nach unten trieben, gegen Flüchtlinge aus Eritrea, die zu viel Nothilfe erhielten - und gegen all die Menschen, die ausgerechnet dann die Straßen und Trams verstopften, wenn man selber nach Hause möchte.

Dies sind Argumente, die, um es freundlich zu sagen, eher auf den Bauch als auf den Kopf zielen. Wer sich durch einige deutsche, französische oder österreichische Foren klickt, sieht, dass die Schweizer mit ihrer Wut nicht allein sind. Don't feed the trolls, heißt es dann - man solle solchen Idioten kein Futter geben. Das Beispiel Schweiz, wo Themen wie Zuwanderung und Heimat fast ausschließlich von der rechtspopulistischen SVP bedient werden, zeigt jedoch, dass die Strategie des Ignorierens schiefgehen kann. Der Impuls, das Gespräch mit Menschen, die einem unvernünftig erscheinen, abzubrechen, kann zur Abspaltung ganzer Gesellschaftsschichten führen.

Damit ist die Schweiz nicht alleine: Auch wer aus einer deutschen Großstadt aufs Land fährt, kann die Erfahrung machen, dass die Ansichten, die in der Stadt Konsens sind, für Ratlosigkeit sorgen- und umgekehrt.

Ein Fernsehteam der Neuen Zürcher Zeitung hat vor einigen Tagen eine Reise nach Willadingen im Emmental unternommen. Mit nicht mal 90 Einwohnern pro Quadratkilometer könne der Dichtestress, also das Unbehagen, das durch zu viele Menschen entsteht, so schlimm nicht sein, folgerten die Journalisten. Und erst die Ausländerquote: Etwas mehr als 200 Schweizer und exakt ein Ausländer leben in Willadingen. Trotzdem hat das Dorf in der Vergangenheit deutlich gegen Zuwanderung gestimmt, und es sympathisiert mit Ecopop. Im Video fährt ein einzelnes Auto gemächlich durch den Ort. Die Stimme aus dem Off sagt: "Willadingen ist das Tempo der Veränderung zu hoch."

Auch wenn es etwas Mühe kostet: Diesen Umstand muss man wohl ernst nehmen, um voran zu kommen.

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