E-Evidence-Verordnung:Wenn polnische Polizisten im deutschen Netz ermitteln

E-Evidence-Verordnung: Computerkriminalität ist schnell, die Ermittler sind oft gebremst durch Hürden bei grenzübergreifenden Fällen: Landesleitstelle der Polizei in Neuss.

Computerkriminalität ist schnell, die Ermittler sind oft gebremst durch Hürden bei grenzübergreifenden Fällen: Landesleitstelle der Polizei in Neuss.

(Foto: imago)
  • Cyberkriminalität findet fast immer grenzüberschreitend statt, internationale Rechtshilfeverfahren sind dafür oft zu langsam.
  • Die E-Evidence Verordnung soll es Ermittlungsbehörden deshalb erlauben auch im EU-Ausland Daten von Unternehmen abfragen zu dürfen.
  • Strafverfolger begrüßen das neue Instrument, Justizministerin Barley (SPD) hat aber Bedenken.

Von Karoline Meta Beisel, Brüssel

Ein Fußabdruck im Schlamm oder ein Haar auf der Matratze - im Fernsehen ermitteln Polizisten und Staatsanwälte vor allem analog. Mit der Realität hat das nicht viel zu tun, ein Gutteil der Strafverfahren basiert auch auf Spuren, die Täter im Netz hinterlassen. Die Daten bewegen sich dabei über Ländergrenzen hinweg; Strafverfolgungsbehörden können das aber nicht so leicht. Das will die Europäische Kommission ändern: Am Freitag werden die EU-Justizminister in Brüssel voraussichtlich einen Gesetzesvorschlag verabschieden, der grenzüberschreitende Ermittlungen im Netz erleichtern soll - obwohl das Vorhaben von Juristen, aber auch der Bundesregierung heftig kritisiert wird.

Strafverfolger begrüßen die geplante "E-Evidence-Verordnung. "Der Vorschlag ist eine richtige Reaktion auf die Notwendigkeiten der Praxis. Wir haben im Bereich der Cyberkriminalität kaum ein Verfahren, dass keine internationalen Bezüge aufweist", sagt etwa Oberstaatsanwalt Markus Hartmann, der in Köln eine Zentral- und Ansprechstelle für Cybercrime leitet. Aber auch bei analogeren Straftaten wie Betrug oder Erpressung steige die Bedeutung elektronischer Spuren, das zeige die Masse an Anfragen, die sein Team dazu erreiche.

Will die Polizei oder die Staatsanwaltschaft auf Daten zugreifen, die in einem anderen Mitgliedsstaat gespeichert sind, muss sie bislang den Weg der Rechtshilfe gehen, sich also an die Behörden des jeweiligen Staates wenden, die dann wiederum beim jeweiligen Provider um die Daten bitten. Das hat einen Nachteil: "Die traditionellen Mittel der Rechtshilfe dauern zu lange", sagt Markus Hartmann.

Die Behörden des Staates hätten kaum noch Mitsprache

Die E-Evidence-Verordnung sieht darum eine Abkehr von diesem lang eingeübten System der Rechtshilfe vor: Bei Straftaten, die mit Haft von mindestens drei Jahren bedroht sind, sollen sich Strafverfolger direkt an Provider oder Diensteanbieter in einem anderen Mitgliedstaat wenden können. Sie könnten Metadaten, unter strengeren Voraussetzungen aber auch den Inhalt von E-Mails oder Messengernachrichten abfragen - und zwar ohne, dass der Staat, in dem sich die betreffende Person befindet, noch großes Mitspracherecht hätte. Vor allem dieser Punkt sorgt für Kritik, unter anderem von der Bundesrechtsanwaltskammer, von Bürgerrechtlern, aber auch von Justizministerin Katarina Barley (SPD). Die Verordnung gebe "Anlass zu großer Sorge", heißt es etwa in einem Brief, den Barley und andere EU-Justizminister an die europäische Ratspräsidentschaft geschrieben haben, und welcher der SZ vorliegt.

Die Kritik entzündet sich vor allem an zwei Überlegungen. Zum einen hätte es unter der E-Evidence-Verordnung nicht mehr der Staat in der Hand, Strafermittlungen eines anderen Mitgliedsstaates voranzutreiben, sondern Provider oder Diensteanbieter - also private Unternehmen wie zum Beispiel Google, Paypal oder Facebook. Staatsanwalt Hartmann sagt, dass diese Firmen jetzt schon bei der europäischen Strafverfolgung mitwirkten, allerdings auf freiwilliger Basis nach entsprechenden Anfragen von europäischen Behörden. Künftig wären sie zur Mitwirkung verpflichtet.

Zum anderen könnte die Verordnung dazu führen, dass in Deutschland auch wegen Straftaten (elektronisch) ermittelt werden könnte, die in Deutschland gar nicht strafbar sind. Die Bundesrechtsanwaltskammer nennt in einer Stellungnahme als Beispiel "politisch motivierte Verfolgung wegen zu diesem Zweck geschaffener Delikte", andere Kritiker verweisen auf Polen: Dort ist Abtreibung verboten.

Auch Hartmann fände es gut, wenn der jeweilige Mitgliedsstaat zumindest über solche Ermittlungen in seinem Territorium informiert würde: Oft erfahren Strafverfolger auf diesem Weg von neuen Betrugsmaschen, die bald auch in Deutschland ausprobiert werden.

Trotz der grundsätzlichen Bedenken gehen Europaabgeordnete und Diplomaten davon aus, dass sich am Freitag bei der Mehrheitsabstimmung in Brüssel die Befürworter durchsetzen werden, was die Debatte allerdings nur verlagern würde: Außer den Ministern muss sich auch das Europäische Parlament mit der Vorlage befassen. Die deutsche Abgeordnete Birgit Sippel (SPD) wird am Montag im zuständigen Parlamentsausschuss einen ersten Bericht zum Verordnungsvorschlag vorstellen. Sie sagt, sie teile viele der Bedenken, die gegen die E-Evidence-Verordnung vorgebracht werden: "Wir sind nicht gegen die Idee als solche. Aber unser Eindruck ist, dass hier sehr schnell über Fragen und Bedenken hinweggegangen wurde", sagt sie.

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