Süddeutsche Zeitung

Düsseldorf:Strafrechtler soll Fall Amri in Nordrhein-Westfalen aufarbeiten

  • Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin, Hannelore Kraft (SPD), hat den Landtag über den Fall Amri unterrichtet.
  • Um mögliche Fehler Sicherheitsbehörden rasch aufzuarbeiten, benannte sie den Gießener Strafrechts-Professor Bernhard Kretschmer als Sonderermittler.
  • Zudem kritisierte Kraft die bisherige Regelungen zur Abschiebehaft.

Einen Monat nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz hat die Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, Hannelore Kraft (SPD), den Landtag über den Fall Amri unterrichtet. Zu Beginn ihrer Erklärung zeigte sich Kraft zuversichtlich: "Wenn wir es schaffen zusammenzustehen, wird es der Terror nicht schaffen, Hass und Zwietracht zu sähen."

In diesem Zusammenhang sei es aber besonders wichtig, die Debatte über die Hintergründe des Anschlags verantwortungsvoll zu führen. "Wenn Kritik maßlos und übertrieben wird, dann dient das nicht der Sicherheit in diesem Land." Jetzt befinde man sich in der Phase der Analyse. Wer jetzt schon wisse, was zu tun sei, "der springt zu kurz".

Um mögliche Fehler der nordrhein-westfälischen Sicherheitsbehörden rasch aufzuarbeiten, benannte Kraft den Gießener Strafrechts-Professor Bernhard Kretschmer als Sonderermittler. Er solle "autark arbeiten", Zugang zu allen Akten bekommen und bis Ende März ein Gutachten erstellen.

Anis Amri war von den Behörden in Nordrhein-Westfalen als Gefährder eingestuft worden. Er war bei der Ausländerbehörde im Kreis Kleve gemeldet. Allerdings hielt er sich NRW-Innenminister Ralf Jäger zufolge seit Februar 2016 überwiegend in Berlin auf.

Es war bekannt, dass Amri sich Waffen für Anschläge in Deutschland besorgen wollte, auch hatte er Komplizen gesucht. Obwohl die Prognosen über die Gefährlichkeit Amris all die Monate unterschiedlich ausfielen, gingen die Behörden letztlich davon aus, dass er keinen Anschlag begehen werde.

Kraft kritisiert die bisherige Regelungen zur Abschiebehaft

Eigentlich sollte Amri so schnell wie möglich abgeschoben werden, allerdings hatte die tunesische Regierung die notwendigen Papiere noch nicht zur Verfügung gestellt. Diese trafen erst zwei Tage nach dem Anschlag im Dezember ein.

Mit Blick auf nordafrikanische Staaten, die bislang kaum abgelehnte Asylbewerber zurücknehmen, forderte Kraft daher auch, die "untauglichen Vereinbarungen" schnellstmöglich zu verbessern. Sonst werde sich der Stau bei den Abschiebungen weiter vergrößern.

Zudem kritisierte die Ministerpräsidentin die bisherige Regelungen zur Abschiebehaft. "Wir brauchen eine flexiblere Regelung, damit die Abschiebung von Gefährdern nicht an dieser Hürde scheitert." Der Bund hat bereits angekündigt, die bisher geltende Drei-Monats-Frist zu streichen.

Trotz aller Anstrengungen die Bürger zu schützen, könne es zwar keine einhundertprozentige Sicherheit geben. Insgesamt sei das Sicherheitsniveau im Land aber sehr hoch. Seit dem Jahr 200 seien zwölf Anschläge verhindert worden. "Wir sind nicht schutzlos", sagte Kraft.

FDP-Chef Linder fordert Rücktritt von Innenminister Jäger

CDU-Fraktionschef Armin Laschet bezweifelt hingegen den Aufklärungswillen der Landesregierung. "Sie haben viele, viele Fragen erneut offengelassen", warf er der Ministerpräsidentin vor. "Es darf in Deutschland nicht Zonen unterschiedlicher Sicherheit geben", sagte er. Beim Einsatz von Fußfesseln, der Länge des Unterbringungsgewahrsams und der Videobeobachtung müssten die gleichen Regeln gelten wie in anderen Bundesländern.

Schon vor Krafts Rede hatte der FDP-Vorsitzende Christian Lindner den Rücktritt von NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) gefordert. Dieser habe den Eindruck vermittelt, es hätten keine rechtlichen Möglichkeiten bestanden, um Anis Amri festzusetzen, sagte Lindner im phoenix-Interview. Die FDP habe mit einem Gutachten aber das Gegenteil herausgearbeitet. "Wir haben hier also einen NRW-Innenminister im Amt, der gegenüber den Bürgern den Eindruck erweckt, der Rechtsstaat sei machtlos. Das ist verantwortungslos."

Die FDP zeigt sich offen für einen Untersuchungsausschuss. Das sei "möglicherweise das einzige Instrument, wirklich zu erfahren, was die Hintergründe dieses Falles sind", sagte FDP-Fraktionsvize Joachim Stamp im Landtag.

Fahndung durch Berliner LKA verzögert?

Auch in Berlin startet die Aufarbeitung. Das Berliner Landeskriminalamt (LKA) soll die internationale Fahndung nach dem Attentäter laut einem Bericht verzögert haben. Die Ermittler hätten die Fahndung nach ihm erst acht Stunden nach den ersten Hinweisen auf seine Beteiligung am Anschlag auf den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche in Berlin herausgegeben, berichtete Die Welt unter Berufung auf Sicherheitskreise. Polizei und die Bundesanwaltschaft wollten sich nicht zu dem Bericht äußern.

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