In Düsseldorf wollen an diesem Samstag bis zu 5000 Demonstranten durch die Innenstadt marschieren, um "gegen Polizeigewalt und Rassismus" zu protestieren. Anlass ist ein Vorfall vom vorigen Wochenende: Polizisten hatten den 15-jährigen Schüler Mohamad A. am frühen Samstagabend am Rande der Düsseldorfer Altstadt festgenommen und am Boden fixiert. Das Video eines Zeugen zeigt, wie ein Beamter sein Knie und Schienbein auf Kopf und Ohr des Jungen drückt. Die Bilder hatten viele Betrachter an Szenen vom Tod des Amerikaners George Floyd erinnert, den Ende Mai ein US-Polizist mit achtminütigem Druck seines Knies auf den Hals des Opfers umgebracht hatte.
Auch NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hatte sich zunächst "erschrocken" gezeigt und eine Untersuchung angeordnet. Er legte nun einen ersten Zwischenbericht vor - und demnach wären Vergleiche der Causa "Mohamad A." mit dem Schicksal von George Floyd kaum zulässig. Der 15-Jährige soll am 15. August gegen 19 Uhr einen Polizeieinsatz gegen Randalierer gestört und Beamte angepöbelt sowie handgreiflich angegangen haben. Eine Auswertung von vier Videokameras in der Nähe ergab, dass der Jugendliche ungefähr zweieinhalb Minuten auf dem Straßenpflaster arretiert gewesen sein muss. 58 Sekunden davon sind allerdings schlecht dokumentiert: Es ist nicht zu erkennen, ob das Knie des Polizisten auf dem seitlichen Kopf des Festgenommenen ruhte (was laut Polizeigesetz zulässig wäre) oder vielleicht doch auf den Hals drückte (was strikt verboten ist, weil Erstickungsgefahr droht). Reul schloss am Donnerstag ausdrücklich nicht aus, gegen den Beamten straf- und disziplinarrechtlich vorzugehen.
Aus Polizeikreisen sickerte derweil durch, dass Mohamad A. bereits mehrfach gewalttätig war. Im Herbst droht ihm ein Prozess, weil er einem Taxifahrer die Nase gebrochen haben soll.
Am Donnerstag breitete Innenminister Reul im Innenausschuss des Landtags weitere Details über Mohamad A. aus. So sei der Jugendliche am Samstagabend nur eine halbe Stunde, nachdem ihn sein Vater von der Polizeiwache abgeholt hatte, wieder am Ort des Vorfalls aufgetaucht. Am nächsten Tag sei der Junge bei einem Einsatz in einem anderen Stadtteil erneut von der Polizei gestellt worden: Dabei habe er den Beamten erzählt, dass er am Samstag in der Altstadt "wie George Floyd verwickelt gewesen sei". Zugleich habe er auf seinen Nacken gezeigt. Auf Nachfrage habe er angegeben, unverletzt zu sein. Dennoch, so Reul weiter, sei Mohamad A. am Abend des Sonntags in ein Krankenhaus gekommen und habe sich dort bis Montagmittag stationär untersuchen lassen. Die Polizei habe keine Erkenntnisse über festgestellte Verletzungen: "Ein Attest liegt bislang nicht vor."
Hier tun sich Lücken in der bisherigen Aufarbeitung des Falles auf, jedenfalls, wenn man Samy Charchira glaubt. Der Sozialpädagoge, der bei den Rathauswahlen im September als Grüner für den Düsseldorfer Stadtrat kandidiert, hat Mohamad A, vorige Woche eine Dreiviertelstunde zuhause besucht - und will den Bericht des behandelnden Arztes gesehen haben. "Zwar hat sich der Verdacht auf ein Schädel-Hirn-Trauma zum Glück nicht bestätigt", sagt Charchira, "aber der Junge hat Verletzungen im Gesicht, im Becken und an der Halswirbelsäule erlitten."
Charchira, dem Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) erst Anfang Juli den Verdienstorden das Landes NRW überreicht hatte, hat nun Innenminister Reul per E-Mail um ein Gespräch gebeten. Die Lage in und um die Düsseldorfer Altstadt spitze sich an Wochenenden immer mehr zu. Jugendliche mit Migrations-hintergrund hätten "zunehmend das Gefühl, dass sie aufgrund ihrer Herkunft ungerecht behandelt werden." Was wiederum ihre Aggression steigere: "Die Hemmschwellen sinken, es fehlt der Respekt gegenüber den Beamten," sagt Charchira. Ein Allheilmittel weiß auch er nicht und empfiehlt mehr Forschung: "Wir brauchen zwei Studien - eine über Gewalt gegen Polizisten, und eine über die Lage der Jugendlichen." Aber vorher, am Samstag, geht er zur Demo.