Dublin-System:Die CSU will Härte zeigen, schon klar

Flüchtlinge an der deutsch-österreichischen Grenze

Flüchtlinge an der deutsch-österreichischen Grenze 2015. Wer hier ankommt, aber schon in einem anderen EU-Staat einen Asylantrag gestellt hat, soll nach Willen der CSU sofort zurückgeschickt werden.

(Foto: dpa)
  • Das Dublin-System, mit dem Flüchtlinge auf die EU-Länder verteilt werden sollen, funktioniert nicht.
  • Auch vor diesem Hintergrund schlägt die CSU nun vor, bereits in anderen EU-Ländern registrierte Asylsuchende an der deutschen Grenze zurückzuschicken.
  • Rechtsexperten halten dies aber für nicht umsetzbar.

Von Jan Bielicki und Roland Preuß

Der Zusammenhang ist recht offensichtlich: In Bayern stehen im Herbst Landtagswahlen an, in denen die CSU die AfD möglichst kleinhalten will. Und wenige Monate vorher fordert der Vorsitzende der CSU im Bundestag, Alexander Dobrindt, Asylsuchende, die bereits in einem anderen EU-Staat registriert worden sind, künftig an der deutschen Grenze zurückzuweisen. Die CSU will Härte zeigen, schon klar. Doch ist die Forderung deshalb ohne Substanz oder gar rechtswidrig?

Fest steht zunächst: Die deutschen Asylbehörden haben tatsächlich ein Problem mit sogenannten Dublin-Fällen. Das sind Asylsuchende, die über andere EU-Länder nach Deutschland gekommen sind - und in einem dieser Staaten auch per Fingerabdruck in der sogenannten Eurodac-Datei erfasst wurden. Dieser Staat ist nach EU-Regeln grundsätzlich für das Asylverfahren zuständig. Doch viele Flüchtlinge reisen weiter und stellen dann in anderen Staaten ihren Asylantrag, häufig in Deutschland.

Unter den fast 200 000 Asylerstanträgen, die 2017 in Deutschland gestellt wurden, waren laut Bundesregierung gut 64 000 solcher Dublin-Fälle. Für sie haben die Behörden sogenannte Übernahmeersuchen gestellt, sprich: Die zuständigen EU-Staaten sollen diese zurücknehmen. Tatsächlich aber wurden gerade einmal 7100 dieser Flüchtlinge abgeschoben. Umgekehrt wurden im gleichen Zeitraum 8700 Asylsuchende aus anderen EU-Staaten nach Deutschland überstellt. Es ist ein Nullsummenspiel, in dem Menschen in Europa hin- und hergeschoben werden, zulasten vieler Flüchtlinge.

Fehler auch in deutschen Asylbehörden

Die Zahlen zeigen also: Das Dublin-System funktioniert nicht. Warum ist das so? Zum einen weigern sich einzelne Mitgliedstaaten, die Flüchtlinge aufzunehmen oder nehmen nur wenige zurück. Griechenland hat trotz 2300 Ersuchen 2017 keinen einzigen Asylsuchenden zurückgenommen, Ungarns Asylsystem ist so sehr von Abschreckung geprägt, dass Deutschland inzwischen keine Flüchtlinge mehr dorthin zurückschiebt. Die nötige Zusicherung, sich an EU-Asylrecht zu halten, verweigert Budapest. Doch selbst wenn andere EU-Staaten zustimmen, wird oft nicht abgeschoben: Nicht wenige Asylsuchende tauchen dann unter.

Doch die Fehler passieren auch in deutschen Asylbehörden. Viele Entscheidungen werden vor Gericht gekippt, insbesondere, wenn es um Staaten geht, in denen Flüchtlinge oft schlecht behandelt werden, etwa Bulgarien oder eben Ungarn. Aussagen des neuen italienischen Innenministers von der fremdenfeindlichen Lega lassen befürchten, dass auch in Italien die Rechte von Flüchtlingen so sehr verletzt werden könnten, dass sich Überstellungen über den Brenner künftig verbieten. Im Zuge der Flüchtlingskrise, als sich die Akten im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge stapelten, verpasste das Amt zudem häufig Fristen: Schon zwei Monate nach einem Eurodac-Treffer muss das Übernahmeersuchen an den zuständigen EU-Staat geschickt sein. Da hatten viele noch nicht einmal einen Asylantrag gestellt.

Da erscheint es einfacher, die Menschen direkt an der Grenze abzuweisen, wie es Dobrindt verlangt. Doch das dürfte auch rechtlich schwierig sein. Zwar legt der Paragraf 18 des Asylgesetzes auf den ersten Blick sehr klar fest, dass einem Ausländer die Einreise zu verweigern ist, wenn "er aus einem sicheren Drittstaat einreist" oder zweitens "Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein anderer Staat" aufgrund von EU-Recht "für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist". Allerdings setzt das Gesetz noch im gleichen Satz voraus, dass "ein Auf- oder Wiederaufnahmeverfahren eingeleitet wird".

Und hier wird es kompliziert: "Ein Asylsuchender kann an der Grenze nicht so ohne Weiteres zurückgewiesen werden", sagt die Völkerrechtlerin Anuscheh Farahat von Goethe-Universität Frankfurt. Denn wie dieses Verfahren auszusehen hat, legt eben nicht der deutsche Gesetzgeber fest, sondern - übrigens vom Grundgesetz so gebilligt - die Dublin-III-Verordnung der EU. Laut dieser muss vor einer Zurückschiebung erst festgestellt werden, welcher EU-Staat für das Asylverfahren zuständig ist - und nur dorthin kann der Asylsuchende überstellt werden.

Wenn also Bundespolizisten an Bayerns Südgrenze beim Blick in die Eurodac-Datei bemerken, dass ein Asylsuchender bereits in Italien registriert war, kann er - nach einem ordentlichen Verfahren - zwar nach Italien zurückgeschickt werden, aber eben nicht ins Transitland Österreich. Klappt eine Überstellung in den eigentlich zuständigen EU-Staat aber, aus welchen Gründen auch immer, nicht innerhalb von sechs Monaten, bleibt das Asylverfahren an Deutschland hängen.

Die Dublin-Regeln sollen vermeiden, dass Flüchtlinge in eine Art europäische Umlaufbahn geschickt werden, auf der jeder Staat die Zuständigkeit auf den nächsten abschiebt. Die Bundesregierung hat auf Anfrage von Parlamentariern dennoch wiederholt betont, dass sie Zurückweisungen an der Grenze grundsätzlich für möglich hält. Völkerrechtler halten die Dublin-Regeln auch für höchst kompliziert, aber auf ein neues System können sich die EU-Staaten nicht einigen.

Für Regierungen könnte daher "die Versuchung groß sein, die Dublin-Regeln zu umgehen", vermutet Farahat. Schließlich kann es erst einmal dauern, bis der Europäische Gerichtshof einschreitet. In einigen Entscheidungen haben die Luxemburger Richter jedoch bereits klargemacht, dass sie die Dublin-Regeln sehr ernst nehmen. Zuletzt Ende Mai entschieden sie, dass ein EU-Staat erst dann einen Überstellungsbescheid ausstellen darf, wenn der Aufnahmestaat zugestimmt hat. In diesem Fall wollte Frankreich vorschnell einen Iraker loswerden - nach Deutschland.

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