Lehren aus dem Ukraine-Krieg:Billige Allzweckwaffen

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Ein ukrainischer Soldat lässt eine bestückte Drohne starten. (Foto: Natacha Pisarenko/AP)

In der Ukraine spielen unbemannte Flugobjekte jeder Größe eine entscheidende Rolle. Armeen werden sich auf neue Kampfmethoden einstellen müssen.

Von Nicolas Freund

Die Bilder könnten auch aus einem Horrorfilm stammen. Unermüdlich rast die Kamera über Felder und ausgebombte Landstriche, verharrt kurz über einem Waldstück oder einem Schützengraben, um sich dann blitzschnell herabzustürzen. Kurz ist noch ein Panzerturm oder ein verwunderter Soldat erkennbar, dann bricht das Video ab. Soziale Netzwerke wie X oder Telegram sind seit einiger Zeit voller Videos wie diesem von der Front in der Ukraine. Sie stammen von sogenannten FPV-Drohnen, die dort zum Einsatz kommen. FPV steht für First-Person-View, was sich als Ich-Perspektive übersetzen lässt. Diese Drohnen werden von Piloten gesteuert, die oft mehrere Kilometer vom Einsatzort entfernt sind und über einen Bildschirm oder eine VR-Brille das Geschehen auf dem Schlachtfeld so sehen, als wären sie selbst die Drohne. Gesteuert wird über einen Controller, fast wie bei einer Spielkonsole. So können die Soldaten Truppenbewegungen beobachten, Granaten auf feindliche Stellungen abwerfen oder die Drohne in Kamikaze-Manier mit Sprengstoff beladen auf Panzer und Feinde stürzen. Schnell, unerwartet und jederzeit. Wie das Monster in einem Horrorfilm.

Ein ukrainischer Soldat lässt eine mit Kameras und Granaten bestückte Drohne starten. (Foto: Roman Pilipey/AFP)

Der Krieg in der Ukraine ist nicht nur nach wie vor dabei, die politischen Machtblöcke neu zu sortieren. Es ist auch der erste Krieg, in dem Drohnen jeder Art eine entscheidende Rolle spielen - und das gleich in mehreren Funktionen. Armeen in aller Welt werden sich in den kommenden Jahren auf diese neuen Methoden der Kriegsführung einstellen müssen, wenn sie in einem möglichen Konflikt nicht heillos unterlegen sein wollen.

Denn die seit Jahren von den Streitkräften vieler Nationen eingesetzten militärischen Drohnen wie zum Beispiel vom Typ Reaper oder Bayraktar, die so groß sind wie kleine Flugzeuge und mit mehreren Raketen und Kameras bestückt werden können, spielen in der Ukraine kaum noch eine Rolle.

Türkische "Bayraktar"-Drohne. (Foto: Alba Cambeiro/imago images/ZUMA Wire)

Zu dicht ist die Flugabwehr auf beiden Seiten, zu gering der Nutzen und zu groß sind die Kosten. Die ukrainische Armee hatte zu Beginn des Krieges ein paar türkische Bayraktars im Einsatz, diese hatten und haben aber kaum einen Einfluss auf das Kriegsgeschehen.

Es sind Drohnen neueren Typs, die in der Ukraine beide Seiten bereits mehrmals zur Anpassung ihrer Taktiken gezwungen haben. Es sind keine Hightech-Maschinen, sondern billig und in Massen produzierte Einwegwaffen wie die inzwischen berüchtigten iranischen Shahed-136-Drohnen. Diese dreieckigen Flugmaschinen mit einer Spannweite von 2,5 Metern werden von Russland oft in ganzen Schwärmen gegen Ziele in der Ukraine eingesetzt. Sie können mit einem Sprengkopf versehen werden, der zwar nicht so stark ist wie der eines Marschflugkörpers oder einer Fliegerbombe, aber 40 und mehr Kilo Sprengstoff genügen auch zur Zerstörung eines kleinen Hauses.

Drohnen wie die iranische "Shahed" sind viel billiger als Raketen und können in ganzen Schwärmen eingesetzt werden. (Foto: Efrem Lukatsky/dpa)

Ihr Zweck besteht vor allem darin, die Luftverteidigung des Gegners zu überfordern. Shahed sind im Vergleich zu Raketen sehr billig. Es kursieren verschiedene Zahlen zu den genauen Kosten. Ein Bericht der Nachrichtenagentur Reuters nennt "100 000 Dollar oder weniger", teilweise wurde sogar ein Preis von nur 20 000 Dollar pro Drohne genannt. Im Maßstab militärischer Ausgaben ist das fast geschenkt - vor allem, weil die Raketen, die von Systemen wie Patriot zur Flugabwehr eingesetzt werden, wesentlich teurer sind. Offizielle Preise gibt es für solche Systeme nicht, aber dem US-Kongress wurden Kosten von vier Millionen Dollar genannt - für eine einzelne Rakete. Es kann für Verteidiger also schlicht sehr teuer und deshalb nicht lange durchzuhalten sein, Shaheds mit Raketen abzuschießen. Ein wichtiger Faktor, den Armeen bei der Modernisierung bedenken müssen. Als sehr effektiv gegen diese Einwegdrohnen, auch was die Kosten angeht, hat sich unter anderem der deutsche Flak-Panzer Gepard erwiesen. Die Bundeswehr hat ihn 2010 ausgemustert.

Noch stärker verändert haben das Schlachtfeld aber ganz normale, zivile Drohnen wie Quadrokopter, die man überall kaufen kann. Diese werden an der Front zu Tausenden von beiden Seiten eingesetzt, die schon erwähnten FPV-Drohnen sind dabei nur ein Teil des neuen Arsenals, das von billigsten Eigenbauten bis zu professionellen Aufklärungsdrohnen reicht, wie sie etwa das deutsche Unternehmen Quantum Systems herstellt. Das hat übrigens gerade eine Zweigstelle bei Kiew eröffnet, was noch einmal den Stellenwert unterstreicht, den Drohnen inzwischen in dem Krieg haben.

Eine ukrainische Drohnenwerkstatt in der Region Charkiw. (Foto: Evgeniy Maloletka/dpa)

Diese kleinen Drohnen erlauben nicht nur eine nahezu lückenlose Überwachung des Schlachtfelds, was Gefechte vor allem für Infanteristen noch gefährlicher macht. Sie können auch Minen legen, Nachschub transportieren oder eben als Waffen eingesetzt werden.

Längst hat deshalb auch ein Wettrüsten bei der sogenannten elektronischen Kriegsführung eingesetzt. Störsender können den Funkkontakt zur Drohne stören und sie so lahmlegen oder sogar zum Abstürzen bringen. Teilweise wird deshalb schon mit Drohnen experimentiert, die in einem solchen Fall von einer künstlichen Intelligenz weitergesteuert werden können. Sowohl die Einsatzmöglichkeiten als auch die ethischen Fragen, die sich beim Einsatz solcher autonomen Waffen stellen, werden Armeen und Gesetzgeber in den kommenden Jahren beschäftigen.

Vermutlich stehen die Entwicklung und der taktische Einsatz von Drohnen noch am Anfang. Die Ukraine experimentiert bereits mit schwimmenden Drohnen und Eigenbauten, die Hunderte Kilometer Reichweite haben. Mit beiden hat die ukrainische Armee schon erfolgreich russische Ziele angegriffen und zerstört. Alle Armeen, die in den kommenden Jahren in einem Konflikt bestehen wollen, werden beim Thema Drohnen auf der Höhe dieser aktuellen Entwicklungen sein müssen. Denn der modernste Leopard-Panzer bringt nichts, wenn er ein paar mit Sprengstoff beladenen Discounter-Drohnen nichts entgegenzusetzen hat.

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