Süddeutsche Zeitung

Drogenkrieg in Mexiko:Nachbar außer Kontrolle

US-Präsident Barack Obama besucht Mexiko: Im Mittelpunkt steht der Drogenkrieg entlang der Grenze - in dem mehr Menschen sterben als im Irak.

Peter Burghardt

In der Schlacht um die Drogen werden schwere Geschütze aufgefahren - besonders furchterregende Exemplare entdeckten die mexikanischen Behörden pünktlich zum hohen Besuch aus dem Weißen Haus. Am Dienstag präsentierten vermummte Polizisten in Sonora nahe der Grenze das Arsenal einer jungen Frau, die zu einem mächtigen Clan gerechnet wird. Darunter war ein gewaltiges Maschinengewehr zur Luftabwehr, Kaliber 50, postiert auf einem Lastwagen.

Mit dem Ungetüm der Marke Browning lassen sich laut Fachleuten Panzerungen aller Art durchlöchern. 800 Schuss pro Minute, Reichweite 1500 Meter. Die Kanone ist nur ein weiterer Beweis für die Feuerkraft der Rauschgifthändler. Und sie stammt aus den USA - wie nun der Ehrengast Barack Obama.

Auch um solche Importe wird es gehen, wenn der US-Präsident am Donnerstag unter riesigem Sicherheitsaufwand das südliche Nachbarland bereist. Obama macht in Mexiko 24 Stunden lang Station auf dem Weg zum Amerika-Gipfel, der am Wochenende in Trinidad und Tobago stattfindet. Doch es wird mehr als eine Pflichtetappe.

Mexiko und die USA teilen den Wirtschaftsraum Nafta und 3144 Kilometer Grenze, jährlich passieren diese meistfrequentierte Nahtstelle des Planeten 250 Millionen Pendler mit und ohne Papiere.

Obama will den ehemaligen Staatsanwalt Alan Bersin wieder zum Grenzkommissar machen, er leitete zwischen 1993 und 1998 die in Mexiko heftig kritisierte "Operation Gatekeeper" gegen Einwanderer. Mexikos Präsident Felipe Calderón verlangt dagegen eine Reform der Immigrationsbeschränkungen, die Obamas Vorgänger George W. Bush einst in Aussicht gestellt hatte. Die USA brauchen billige Arbeitskräfte aus Mexiko und billige Fabriken hinter der Grenze. Mexikaner brauchen Arbeitsplätze und Geldsendungen ausgewanderter Verwandter.

Weiterer Konfliktpunkt ist die Drogenpolitik. Tonnenweise Kokain, Opium, Heroin, Marihuana und synthetische Rauschmittel gelangen aus Mexiko in den Norden. Zurück fließen Milliarden Dollar und Zehntausende von Waffen, sie nähren einen der gefährlichsten Konflikte der Welt. 10.700 Menschen starben, seit Präsident Calderón im Dezember 2006 den sogenannten Narcos den Krieg erklärte. 2008 waren es mehr Tote als in Irak oder Afghanistan, das US-State Department ist alarmiert. Drogensöldner wüten auch in den USA.

90 Prozent der Pistolen, Gewehre oder Granaten stammen aus Waffenläden nördlich der Grenze, das gab kürzlich Außenministerin Hillary Clinton zu. Sie räumte ein, dass ihre Nation Mitschuld an dem Gemetzel trage, und sicherte Hilfe zu. Das kam in Mexiko besser an als zuvor der Vorwurf, es verkomme zum failed state, zum gescheiterten Staat.

Jetzt ziehen beide Regierungen gemeinsam in den Kampf. Im Rahmen der "Operation Mérida" wollen die USA in drei Jahren 1,6 Milliarden Dollar beisteuern, Blackhawk-Hubschrauber und anderes Kriegsgerät kommen zum Einsatz. In der mexikanischen Hauptstadt entsteht eine Kommandozentrale, in der das FBI und die US-Antidrogeneinheit DEA vertreten sein sollen.

In Ansätzen erinnert das an Kolumbien. Dort ist Washington noch stärker engagiert, ohne allerdings Produktion und Handel von Kokain wirklich eindämmen zu können. Andererseits ist die Strategie dort umstritten.

Mexiko erwartet stärkere Waffenkontrolle von den USA, doch die lässt sich schwer durchzusetzen, der Verkauf nahm 2008 zu. Derweil fordern die Gouverneure grenznaher US-Bundesstaaten den Einsatz der Nationalgarde. Calderón verbittet sich zumindest offiziell einen Einsatz der US-Armee in Mexiko. Er schickte selbst 45.000 Soldaten und Polizisten gegen die Privattruppen der Drogenbarone auf die Straße - Ciudad Juárez wurde zum Symbol organisierter Kriminalität und militärischer Belagerung.

Solche Aktionen verschaffen dem konservativen Calderón nach seinem unklaren Wahlsieg Autorität. Das Grauen ging leicht zurück, trotzdem wurden 2009 schon fast 1890 Drogenmorde gezählt. Zehntausende Schergen der Kartelle von Sinaloa, Tijuana oder La Familia wurden festgenommen, 35000 Waffen, tonnenweise Rauschgift und Millionen Dollar beschlagnahmt.

Aber viele Chefs der Banden wie Sinaloas Patron Joaquín Chapo Guzmán sind frei und mehren ihr Vermögen, Guzmán belegt mit mutmaßlich einer Milliarde Dollar Platz 701 auf der Forbes-Reichenliste. Experten bezweifeln, dass sich das Gefecht mit seinen wirren Fronten so gewinnen lässt.

Mexikos Drogenindustrie werden Gewinne von bis zu 22 Milliarden Dollar im Jahr zugeschrieben, so viel investiert der Staat nicht annähernd in die Gegenwehr. Streitkräfte, Polizei, Justiz und Politik sind vielfach unterwandert, 450000 Mexikaner sollen an dem Geschäft beteiligt sein. Die Narcos bestechen und rüsten auf. Eine Studie der Brookings Institution kam zu dem Ergebnis, Mexiko reagiere spät und mit begrenzten Mitteln. Man müsse über eine grundsätzliche Drogenpolitik nachdenken. Von teilweiser Freigabe ist die Rede, um den Preis zu drücken. "Wir hören, wir werden gewinnen", spottet Víctor Hugo Vásquez, Sprecher des Parlaments von Mexiko-Stadt. "Das ist das, was der US-Präsident einst in Vietnam sagte."

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SZ vom 16.04.2009/bica
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