Dreißigjähriger Krieg:"Die Dramatik kam, als ein großer Komet am Himmel erschien"

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Der Komet von 1618 über Heidelberg (Foto: CC0 1.0; Matthäus Merian (1593-1650); Archiv Universität Münster; Bearbeitung SZ)

Heute vor 400 Jahren löste der Prager Fenstersturz den Dreißigjährigen Krieg aus. Historiker Georg Schmidt erläutert, wie ein lokales Ereignis zu Jahrzehnten Tod und Verwüstung führte.

Interview von Barbara Galaktionow

Vor genau 400 Jahren, am 23. Mai 1618, stürzten böhmische Adlige die Statthalter von König Ferdinand II., dem späteren Kaiser, aus den Fenstern der Prager Burg. Das Ereignis bildete den Auftakt zu einer Kriegsperiode von 30 Jahren, in der Millionen Menschen getötet wurden. Der Historiker Georg Schmidt von der Uni Jena erforscht die Geschichte des Krieges schon seit Jahren und hat vor Kurzem eine eindrucksvolle Gesamtdarstellung vorgelegt (Die Reiter der Apokalypse. Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, C.H.Beck Verlag, München 2018). Wir sprachen mit ihm über den ungewöhnlichen Auslöser des Kriegsgeschehens und die Frage, was uns diese Periode heute noch sagt.

SZ: Herr Schmidt, der Zweite Prager Fenstersturz war im Grunde genommen ein lokales Ereignis, das glimpflich endete - niemand kam dabei ums Leben. Warum folgten darauf dreißig Jahre Krieg, Verwüstung und Tod in Mitteleuropa?

Georg Schmidt: Der Fenstersturz löste zunächst einen regional begrenzten Aufstand der protestantischen böhmischen Stände aus. Die Dramatik kam in das Geschehen, als im Herbst 1618 ein großer Komet am Himmel erschien. Er wurde als Strafandrohung Gottes wahrgenommen, denn Kometen galten seit alters als Unglücksboten. Die Menschen sahen diesen Schweifstern als ein Zeichen, dass sich der böhmische Krieg ausweiten werde. Zudem gab es wegen der Kleinen Eiszeit immer wieder Hungersnöte und Mitteleuropa steuerte auf eine massive Inflation zu. Das alles wurde in dieses Krisenszenario mit eingespeist.

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Heue scheint es absurd, ein Naturphänomen auf eine gesellschaftlich-politische Lage zu beziehen. War das im frühen 17. Jahrhundert ein gängiges Denkmuster?

Viele Menschen gingen damals vom direkt bevorstehenden Ende der Zeiten aus und warteten nur auf entsprechende Zeichen. Wie dieses Ende aussah, wusste man aus der Offenbarung des Johannes. Es begann mit den apokalyptischen Reitern, die losgelassen wurden, um die Menschen für ihre Sünden zu züchtigen. Der Krieg in Böhmen hatte begonnen, die Kleine Eiszeit führte gepaart mit der Inflation zu periodischen Hungersnöten, so dass Seuchen und Krankheiten häufiger als sonst tödlich endeten. Die apokalyptische Trias war real geworden.

War der Dreißigjährige Krieg vor allem ein Konfessionskrieg?

Natürlich spielte die Glaubensfrage eine wichtige Rolle. Aber in erster Linie ging es um Macht: Konnte Deutschland in eine stärker zentralisierte Monarchie überführt werden? Oder blieb der Kaiser an die Reichsstände gebunden, sodass das Reich nur handlungsfähig war, wenn die beiden sich verständigten? Die auswärtigen Mächte - Dänen, Schweden und Franzosen - intervenierten nicht, weil das Reich ohnmächtig war und sie sich einen Gewinn versprachen. Sie griffen ein, weil sie Angst vor einem unter dem Kaiser geeinten Reich hatten, das dann in Verbindung mit der spanischen Macht der Habsburger zum Hegemon Europas geworden wäre.

Eigentlich gab es zwischen 1618 und 1648 gar nicht den einen Krieg, sondern verschiedene Einzelkriege und Friedensschlüsse mit wechselnden Akteuren. Was also eint diese Periode?

Die Art, wie der Krieg von Zeitzeugen wahrgenommen wurde. Spätestens das Erscheinen des Kometen veranlasste relativ viele Zeitgenossen, tagebuchartige Aufzeichnungen zu führen. In diesen Texten und auch in Flugschriften wurde der Krieg zusammenhängend gezählt. Es gibt Schriften, die vom 8., vom 18. oder vom 25. Jahr des Krieges berichten - und die zählten alle ab 1618. Das ist ein starkes Argument, diesen Krieg als einen zusammenhängenden Krieg wahrzunehmen.

Der Dreißigjährige Krieg stand in Deutschland lange für die Schrecken des Krieges schlechthin. War er besonders grausam?

Ich will nicht abstreiten, dass unendlich viele Gräuel passiert sind, dass es Folter und Elend gab. Doch man muss etwas genauer hinsehen. Die Grausamkeiten des Krieges gerieten zunächst schnell in Vergessenheit. Erst im 19. Jahrhundert änderte sich das. Der "Abentheuerliche Simplicissimus" von Grimmelshausen, ein Schelmenroman, wurde nun gelesen wie eine Quellendarstellung. Vor allem der Autor Gustav Freytag verallgemeinerte einzelne Quellen. In seinen "Bildern aus der deutschen Vergangenheit" wurden extreme Gewalttaten zu einem ständigen Zustand im Dreißigjährigen Krieg.

Georg Schmidt ist einer der angesehensten Experten für die Geschichte des Dreißigjährigen Krieges. Er ist emeritierter Professor für Frühe Neuzeit an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. (Foto: oH)

Und dieser Krieg zur "Urkatastrophe" der Deutschen erklärt.

Im Zuge der Nationalstaatsbildung im 19. Jahrhundert wurde das Alte Reich abgewertet. Der Dreißigjährige Krieg wurde zum machtpolitischen Tiefpunkt der deutschen Geschichte erklärt, von dem aus sich unter Führung Preußens und der Hohenzollern der glanzvolle Aufstieg zum kleindeutschen Nationalstaat vollzog. Dieser Staat sollte anders sein als das alte Reich: mächtig und fähig zum militärischen Erstschlag. Gut, dieser Staat hat Europa später in den beiden Weltkriegen in Schutt und Asche gelegt. Der Bezugspunkt 1648 wurde aber selbst danach beibehalten. Er galt jetzt nicht mehr als Beginn des glanzvollen Aufstiegs, sondern als der Anfang des deutschen Sonderwegs ins Verhängnis.

Der Dreißigjährige Krieg endete 1648 mit dem Westfälischen Frieden. Von Zeitgenossen wurde der Friedensschluss weithin akzeptiert. Was zeichnete ihn aus?

Die Diplomaten haben sich auf das Machbare beschränkt. Ganz am Anfang des Vertrages steht eine Einigung auf "Amnestie" und "immerwährendes Vergessen". Die Schuldfrage wurde also nicht gestellt. Dinge, die nicht zu ändern waren, wurden akzeptiert. Als die Verhandler sahen, dass ein europäischer Frieden unmöglich war, beschränkten sie sich darauf, erst einmal in Mitteleuropa, also in Deutschland, einen Frieden hinzubekommen. Dabei kamen alle Seiten zu Wort. Das hat zwar lange gedauert - die Verhandlungen hatten ja schon 1645 begonnen. Doch am Ende stand ein für alle Seiten akzeptabler Friedensschluss.

Kann der Westfälische Frieden als Modell für die Lösung heutiger Konflikte dienen, beispielsweise im Nahen Osten? Diese Ansicht vertreten ja unter anderem der Politologe Herfried Münkler oder der jetzige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

Ich bin da skeptisch. Eine der Grundvoraussetzungen des Westfälischen Friedens war die bereits genannte Gewährung einer allgemeinen Amnestie. Das könnte heute kein Politiker mehr unterschreiben. Die Öffentlichkeit würde ihn fressen. Wenn Syriens Machthaber Baschar al-Assad heute irgendeiner Form von Frieden zustimmt, kann er nicht mit "immerwährendem Vergessen" rechnen, sondern sich gleich eine Zelle in Den Haag buchen. Außerdem war das Reich kein gescheiterter Staat, die Mächte konnten 1648 im Wesentlichen zu den Spielregeln von vor 1618 zurückkehren. Und Wallenstein war kein Warlord. Als Feldherr des Kaisers war er ein immenser Aufsteiger - aber er wurde vom Kaiser regulär und legal mit Territorien belehnt.

Ist der Dreißigjährige Krieg dann heute noch relevant?

Selbstverständlich, aber vor allem mit Blick auf den eigenen Kulturkreis und das Zusammenwachsen der europäischen Staaten. Es stimmt nicht, wenn es heißt, Europa sei ohne Vorbild. Am Ende des Dreißigjährigen Krieges hatte man ein Mehrebenenmodell gefunden mit Souveränitäten, Halbsouveränitäten und geregelten Interventionsmöglichkeiten. Wir denken heute immer noch im Nationalstaatsmodell des 19. Jahrhunderts, aber das gibt es so nicht mehr. Der Staat ist geöffnet, Brüssel hat Einwirkungsmöglichkeiten, die Souveränität ist geteilt. Es ist wichtiger, in den Entscheidungszirkeln mitzubestimmen, als dass man sich selber abschließt. Souveränität ist Teilhabe an diesen übergeordneten Entscheidungszirkeln. Und da kann man im Westfälischen Frieden sehen, wie so etwas zu vereinbaren ist - auch mit Öffnungsklauseln und Ausnahmen von den Ausnahmen.

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