Dreißigjähriger Krieg:Mit "immerwährendem Vergessen" kann Assad nicht rechnen

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Der Dreißigjährige Krieg stand in Deutschland lange für die Schrecken des Krieges schlechthin. War er besonders grausam?

Ich will nicht abstreiten, dass unendlich viele Gräuel passiert sind, dass es Folter und Elend gab. Doch man muss etwas genauer hinsehen. Die Grausamkeiten des Krieges gerieten zunächst schnell in Vergessenheit. Erst im 19. Jahrhundert änderte sich das. Der "Abentheuerliche Simplicissimus" von Grimmelshausen, ein Schelmenroman, wurde nun gelesen wie eine Quellendarstellung. Vor allem der Autor Gustav Freytag verallgemeinerte einzelne Quellen. In seinen "Bildern aus der deutschen Vergangenheit" wurden extreme Gewalttaten zu einem ständigen Zustand im Dreißigjährigen Krieg.

Georg Schmidt

Georg Schmidt ist einer der angesehensten Experten für die Geschichte des Dreißigjährigen Krieges. Er ist emeritierter Professor für Frühe Neuzeit an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena.

(Foto: oH)

Und dieser Krieg zur "Urkatastrophe" der Deutschen erklärt.

Im Zuge der Nationalstaatsbildung im 19. Jahrhundert wurde das Alte Reich abgewertet. Der Dreißigjährige Krieg wurde zum machtpolitischen Tiefpunkt der deutschen Geschichte erklärt, von dem aus sich unter Führung Preußens und der Hohenzollern der glanzvolle Aufstieg zum kleindeutschen Nationalstaat vollzog. Dieser Staat sollte anders sein als das alte Reich: mächtig und fähig zum militärischen Erstschlag. Gut, dieser Staat hat Europa später in den beiden Weltkriegen in Schutt und Asche gelegt. Der Bezugspunkt 1648 wurde aber selbst danach beibehalten. Er galt jetzt nicht mehr als Beginn des glanzvollen Aufstiegs, sondern als der Anfang des deutschen Sonderwegs ins Verhängnis.

Der Dreißigjährige Krieg endete 1648 mit dem Westfälischen Frieden. Von Zeitgenossen wurde der Friedensschluss weithin akzeptiert. Was zeichnete ihn aus?

Die Diplomaten haben sich auf das Machbare beschränkt. Ganz am Anfang des Vertrages steht eine Einigung auf "Amnestie" und "immerwährendes Vergessen". Die Schuldfrage wurde also nicht gestellt. Dinge, die nicht zu ändern waren, wurden akzeptiert. Als die Verhandler sahen, dass ein europäischer Frieden unmöglich war, beschränkten sie sich darauf, erst einmal in Mitteleuropa, also in Deutschland, einen Frieden hinzubekommen. Dabei kamen alle Seiten zu Wort. Das hat zwar lange gedauert - die Verhandlungen hatten ja schon 1645 begonnen. Doch am Ende stand ein für alle Seiten akzeptabler Friedensschluss.

30 Jahre Krieg

Wenige Menschen in Mitteleuropa hätten sich im Januar 1618 vorstellen können, welcher Horror über sie hereinbrechen und dass dieser drei Jahrzehnte währen sollte. Eigentlich herrschte Frieden, und der Augsburger Religionsfrieden von 1555 hatte es ermöglicht, dass Katholiken und die neue Konfession der Protestanten zumindest in Koexistenz lebten. Doch religiöser Fanatismus und die Konkurrenz der Mächte ließen die Spannung steigen, und am 23. Mai 1618 entlud sie sich. Böhmen, zu gut 90 Prozent protestantisch, stand unter der Herrschaft des katholischen Habsburger Kaisers, der ihre Rechte zunehmend beschnitt. Wütende Protestanten stürmten die Prager Burg und warfen die kaiserlichen Statthalter aus dem Fenster. Der böhmische Aufstand scheiterte 1620 mit der Schlacht am Weißen Berg, doch zog der Krieg mit der Gewalt einer Lawine immer neue Mächte mit sich. In dem schier endlosen Gemetzel ("Der Krieg ernährt den Krieg"), der erst 1648 mit dem Frieden von Münster und Osnabrück endete, kamen etwa ein Drittel der deutschen Bevölkerung durch Hunger, Seuchen und Gewalt um.

Vor dem 400. Jahrestag des Kriegsbeginns sind zahlreiche Bücher über das Drama erschienen. Lesetipps: Herfried Münkler: Der Dreißigjährige Krieg, Europäische Katastrophe, deutsches Trauma, Rowohlt Berlin. Georg Schmidt: Die Reiter der Apokalypse, C. H. Beck. Peter H. Wilson: Der Dreißigjährige Krieg - Eine europäische Tragödie, Theiss Verlag.

Kann der Westfälische Frieden als Modell für die Lösung heutiger Konflikte dienen, beispielsweise im Nahen Osten? Diese Ansicht vertreten ja unter anderem der Politologe Herfried Münkler oder der jetzige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

Ich bin da skeptisch. Eine der Grundvoraussetzungen des Westfälischen Friedens war die bereits genannte Gewährung einer allgemeinen Amnestie. Das könnte heute kein Politiker mehr unterschreiben. Die Öffentlichkeit würde ihn fressen. Wenn Syriens Machthaber Baschar al-Assad heute irgendeiner Form von Frieden zustimmt, kann er nicht mit "immerwährendem Vergessen" rechnen, sondern sich gleich eine Zelle in Den Haag buchen. Außerdem war das Reich kein gescheiterter Staat, die Mächte konnten 1648 im Wesentlichen zu den Spielregeln von vor 1618 zurückkehren. Und Wallenstein war kein Warlord. Als Feldherr des Kaisers war er ein immenser Aufsteiger - aber er wurde vom Kaiser regulär und legal mit Territorien belehnt.

Ist der Dreißigjährige Krieg dann heute noch relevant?

Selbstverständlich, aber vor allem mit Blick auf den eigenen Kulturkreis und das Zusammenwachsen der europäischen Staaten. Es stimmt nicht, wenn es heißt, Europa sei ohne Vorbild. Am Ende des Dreißigjährigen Krieges hatte man ein Mehrebenenmodell gefunden mit Souveränitäten, Halbsouveränitäten und geregelten Interventionsmöglichkeiten. Wir denken heute immer noch im Nationalstaatsmodell des 19. Jahrhunderts, aber das gibt es so nicht mehr. Der Staat ist geöffnet, Brüssel hat Einwirkungsmöglichkeiten, die Souveränität ist geteilt. Es ist wichtiger, in den Entscheidungszirkeln mitzubestimmen, als dass man sich selber abschließt. Souveränität ist Teilhabe an diesen übergeordneten Entscheidungszirkeln. Und da kann man im Westfälischen Frieden sehen, wie so etwas zu vereinbaren ist - auch mit Öffnungsklauseln und Ausnahmen von den Ausnahmen.

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