Süddeutsche Zeitung

Dreikönigstreffen der Münchner SPD:"Der ganz normale Wahnsinn"

  • Die SPD München hat mit Malu Dreyer und Natascha Kohnen zwei Verhandlungsführer zum Dreikönigstreffen eingeladen.
  • Mit Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter wollen beide das soziale Profil der Partei schärfen.
  • Scharfe Retourkutsche auf CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt.
  • Ganz so optimistisch wie die Union sehen die Sozialdemokraten die Chancen für eine erneute Groko nicht.

Von Lars Langenau

Der Festsaal des Hofbräukellers in München-Haidhausen ist proppenvoll. Nur verdiente Genossen wie Hans Jochen Vogel, die Behindertenbeauftrage der Bundesregierung Verena Bentele, Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, und Bayerns neue SPD-Chefin, Natascha Kohnen, haben einen sicheren Sitzplatz. Sämtliche Stühle beim Dreikönigstreffen der Münchner SPD am Samstag sind weit vor 11 Uhr besetzt, viele der mehr als 450 Gäste müssen vor der Tür den Rednern lauschen.

Kurz vor Beginn der Sondierungsgespräche zwischen Union und SPD bekommt das Treffen eine besondere Bedeutung. Vor allem weil mit Kohnen und Dreyer zwei SPD-Politikerinnen sprechen, die in Berlin mit am Verhandlungstisch sitzen. Gehen sie auf Konfrontationskurs und betonen die inhaltlichen Unterschiede zu den möglichen Koalitionspartnern CDU und CSU? Oder senden sie versöhnliche Signale? Die Antwort wird eindeutig ausfallen - zumindest mit Blick auf die CSU.

Den Aufschlag für die zweistündige Veranstaltung bekommt erstmal Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter, der in einer launigen Rede fast Büttencharakter anschlägt: "Bayern ist nicht Kloster Seeon", sagt Reiter. Und vergleicht die Situation seiner SPD mit der TV-Serie "Der ganz normale Wahnsinn". In dieser Serie von Helmut Dietl, entstanden Anfang der 80er Jahre, habe der Protagonist, ein Journalist, immer ein Buch schreiben wollen, das er dann doch nie schrieb. Es sollte darum gehen, "wieso sich der Einzelne nicht wohlfühlt, obwohl es uns allen doch so gut geht".

Reiter stellt nüchtern fest, dass es in der Wohlstandsgesellschaft eben doch viele gibt, "die sich nicht wohlfühlen" mit den Parteien und dem Staat. Stattdessen feiere eine Partei Erfolge, die sich nur dadurch auszeichne, dagegen zu sein. "Neben der CSU meint er wohl auch die AfD", raunt ironisch am Tisch der ehemalige SPD-Bundestagskandidat Bernhard Goodwin.

"Ich hätte nie gedacht, dass ich mal die Zeit vermisse, in der sich Dobrindt noch um die Maut gekümmert hat"

Reiter zählt die Erfolge der SPD im Bund in der vergangenen Legislaturperiode auf und nennt an erster Stelle den Mindestlohn, den seine Partei auch gegen den erbitterten Widerstand der CSU in der großen Koalition durchgesetzt habe. "Ohne SPD gäbe es ihn nicht", konstatiert er, "aber es ist uns nicht gelungen, den Erfolg mit uns zu verbinden".

Auch die Mietpreisbremse habe man "zumindest versucht". "Zugegeben", sagt der 59-Jährige selbstkritisch, "in München hat sie nicht richtig funktioniert". Trotzdem sei und bleibe "die SPD die einzige Mieterpartei in Deutschland". Oder die "Ehe für Alle", die die SPD zum Ende der vier Jahre Regierungszeit durchgeboxt habe und gegen die die CSU nun klage.

Wieso aber habe die SPD davon nicht profitieren können? "Es muss uns gelingen, besser mit uns zu verknüpfen, was wir Gutes getan haben." Als Vorstandsvorsitzender eines Unternehmens würde er die "Marketing- und PR-Abteilung austauschen".

Tatsächlich aber rede die SPD viel lieber darüber, "was wir nicht geschafft haben" und finde immer ein Haar in der Suppe. Und dann greift Reiter noch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt an, der gerade in einem Essay in der Zeitung Die Welt für eine "konservative Revolution" gegen die vermeintlich so präsenten 68er plädiert hat: "Ich hätte nie gedacht, dass ich mal die Zeit vermisse, in der sich Dobrindt noch um die Maut gekümmert hat."

Nach 45 Minuten ist Hauptrednerin Malu Dreyer an der Reihe. Die 56 Jahre Politikerin aus Neustadt an der Weinstraße ist in einem roten Hosenanzug und einem dezenten schwarzen T-Shirt unter der Bluse erschienen, als wollte sie schon rein äußerlich die Prioritäten für die Sondierungen mit der Union festlegen.

Dreyer ruft: "Deutschland braucht keine konservative Revolution!" Und wendet sich dann der CSU-Klausur in Seeon zu, bemängelt, dass dort keine Frauen zu sehen waren, wohl aber Viktor Orbán, der für "nationale Abschottungspolitik" steht. Dieser CSU-Gast und Dobrindts jüngste Äußerungen seien keinesfalls "bürgerlich". "Es wird Zeit, dass in Bayern auch Frauen ein bisschen mehr zu sagen haben", sagt Dreyer zur SPD-Spitzenkandidatin Natascha Kohnen gewendet.

Den stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Dreyer und Kohnen, die beide an den Verhandlungen am Sonntag in Berlin teilnehmen, gehe es "nicht um taktische Spielchen" bei der Bildung einer neuen Bundesregierung, "sondern nur um Inhalte". Die SPD müsse sich erneuern, "für die Demokratie ist wichtig, dass die SPD wieder zu einer starken, linken Volkspartei wird", sagt Dreyer unter tosendendem Applaus. Sie wolle nun auf "Augenhöhe" sondieren und die CSU solle es sich als Regionalpartei mit einem Minus von zehn Prozent verkneifen, auf dem schlechten Wahlergebnis der Sozialdemokraten herumzureiten.

"Billiger, dreckiger Populismus"

Stattdessen gebe es viele Themen, die eine künftige Regierung anpacken müsse: "Wir müssen für ein demokratisches und offenes Europa kämpfen". Sie möchte in den anstehenden Verhandlungen "nicht nur über Flüchtlinge reden", aber Abschottung sei nicht der richtige Weg, denn "nur ein einiges und starkes Europa kann die Herausforderungen der Migration bewältigen". Deshalb müsse die Sozialdemokratie ein "neues Kapitel in der Europapolitik aufschlagen" - inklusive sozialer Teilhabe und Sicherheit. "Wenn nicht die SPD, wer soll für das Soziale sorgen?"

Die bayerische Landesvorsitzende Kohnen stimmt die Genossen dann auf den Landtagswahlkampf ein: "Die laden Orbán ein, wir laden Malu ein." Auch die 50-Jährige verweist auf die "klaren Vorstellungen, mit der die SPD in die Sondierungen" gehe. Die SPD setze "nicht auf Hetze gegen Minderheiten und darauf, dass Schwache gegen noch Schwächere ausgespielt" würden. Nach einigen Wortmeldungen aus der CSU frage sie sich allerdings, "ob die überhaupt an der Bildung einer stabilen Regierung interessiert sind". Der "billige, dreckige Populismus" widere sie an. Stattdessen brauche es "mehr Anstand und Respekt im Miteinander" - und "mehr Respekt gegenüber den Bedürftigen, den Nöten und Sehnsüchten der Menschen", sagt Kohnen kämpferisch.

Da ist sie die SPD, die selbstbewusst in die Sondierungen und in den Landtagswahlkampf ziehen will. Doch wird das reichen, wird es jemand sehen - und mit seiner Stimme belohnen? Beim Dreikönigstreffen in München war so etwas wie Hoffnung in dieser alten, stolzen Partei zu spüren.

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