Dreiergipfel in Deauville:Als Schrittmacher nach Osten

Das Treffen von Frankreichs Präsident und Kanzlerin Merkel mit Russlands Präsidenten widmet sich einer Weichenstellung von geopolitischer Bedeutung. Und es zeigt: Das deutsch-französische Verhältnis ist vitaler als sein Ruf.

Stefan Ulrich, Paris

Seitdem ein Halbbruder Kaiser Napoleons III. das Luxusseebad Deauville auf den Strand der Normandie setzen ließ, liebt es die Pariser Hautevolee, sich dort an frischer Meeresluft, Casino und Boutiquen zu erquicken. Besonders gern dürfte am Montag Nicolas Sarkozy in das Belle-Époque-Städtchen reisen. In Paris ist die Atmosphäre drückend geworden für den Präsidenten. Streiks, Demonstrationen und Benzin-Blockaden setzen seiner Rentenreform zu. Nun kann er dem Leidensfeld der Innenpolitik entfliehen und in der Weltpolitik Ruhm ernten. Zusammen mit Kanzlerin Angela Merkel und dem russischen Präsidenten Dmitrij Medwedjew wird Sarkozy über Nato, G20, den bösen Iran und das hoffärtige China sprechen und für knapp zwei Tage die Details des Mindestalters für den Renteneintritt vergessen.

France's President Nicolas Sarkozy gestures beside German Chancellor Angela Merkel at the start of a European Union leaders summit in Brussels

Im März trafen sich Kanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Sarkozy EU-Gipfel in Brüssel.

(Foto: rtr)

Das Treffen von Deauville ist jedoch mehr als nur ein Entlastungsgipfel für Sarkozy. Es zeigt, dass das deutsch-französische Verhältnis vitaler ist als sein Ruf. Und es widmet sich einer Weichenstellung von geopolitischer Bedeutung. Russland, der Feind aus dem Kalten Krieg und schwierige Nachbar der vergangenen beiden Dekaden, soll zum Partner werden. Sarkozy und Merkel wollen die Annäherung Moskaus an EU und USA vorantreiben. Ihr Ziel: Russland soll sich klar und endgültig im Westen verankern. Aus fragilem Frieden soll feste Freundschaft werden.

Der Zeitpunkt ist gut gewählt. Mitte November wird sich die Nato beim Gipfeltreffen in Lissabon eine neue Strategie geben. Sie wird ihren Verteidigungswillen bestärken, Herausforderungen wie den Terrorkampf angehen und den Aufbau eines Raketenabwehrschirms beschließen. Russland, die gefallene Supermacht und neue Rohstoffgröße, hat dabei kein Wörtchen mitzureden. Medwedjew soll sich in Lissabon erst dazugesellen, wenn alles entschieden ist. Das schmerzt Moskau. Deswegen wollen Franzosen und Deutsche den Russen vorab zu verstehen geben: Ihr seid uns wichtig. Wir wünschen einen gemeinsamen Raum der Sicherheit und der Wirtschaft in Europa.

Die deutsch-französische Geste liegt im Interesse des gesamten Westens. Russland wird gebraucht, um Iran zu disziplinieren, Truppen nach Afghanistan zu bringen, EU-Missionen wie im Tschad zu unterstützen, die organisierte Kriminalität einzudämmen und, nicht zuletzt, Europa verlässlich mit Energie zu versorgen. Dennoch weckt der Dreiergipfel in Deauville Argwohn. Die Italiener fühlen sich ausgeschlossen, obwohl sie sich mit ihrem Premier Berlusconi selbst ein Seriositätsproblem geschaffen haben. Die Polen sind misstrauisch, obgleich sie das Weimarer Dreieck mit Deutschland und Frankreich bilden. Vor allem aber sind die Amerikaner auf der Hut. Washington grummelt, seit wann denn Berlin, Paris und Moskau die europäische Sicherheit unter sich ausmachten.

Sarkozy und Merkel müssen dreierlei klarstellen. Erstens: Das französisch-deutsch-russische Trio richtet sich - anders als vor dem Irak-Krieg - nicht gegen die Vereinigten Staaten. Zweitens: Es geht nicht darum, die Nato einem neuen Sicherheitssystem mit Russland zu opfern, sondern darum, Russland an die Nato heranzuführen. Drittens: Deutschland und Frankreich verstehen sich, wegen ihres guten Verhältnisses zu Russland, als Schrittmacher. Sie planen keinen Alleingang.

Die Welt ist mal wieder im Umbruch. China, das Werte wie Menschenrechte und Demokratie ignoriert, steigt rapide auf. Die EU könnte auf Dauer in eine Randlage geraten, die USA verlieren schon jetzt ihre überragende Stellung. Der Westen kann eine Stärkung durch Russland also gut gebrauchen. Derzeit geht es dabei um Sicherheit und Wirtschaft. Langfristig wird ein Bund mit Russland nur gelingen, wenn dieses die westlichen Werte teilt. Auch darüber muss in der frischen Luft von Deauville gesprochen werden.

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