Süddeutsche Zeitung

Dramatische Zunahme der Kinderarmut:Raubbau am Nachwuchs

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Der Kinderreport offenbart dramatische Entwicklungen: Seit Anfang 2005 hat sich die Zahl der armen Kinder in Deutschland auf gut 2,5 Millionen verdoppelt. Die Folgen für die Bildungsfähigkeit des Nachwuchses sind verherrend.

Das Deutsche Kinderhilfswerk fordert von der Bundesregierung ein nationales Programm zur Bekämpfung von Kinderarmut. Seit der Einführung von Hartz IV Anfang 2005 habe sich die Zahl der armen Kinder auf gut 2,5 Millionen verdoppelt, mit weiter steigender Tendenz trotz abnehmender Arbeitslosigkeit, erklärte das Kinderhilfswerk.

"Diese erschreckenden Fakten fordern alle zum Handeln heraus", sagte Verbandspräsident Thomas Krüger bei der Vorstellung des "Kinderreports 2007".

War 1965 nur jedes 75. Kind unter sieben Jahre auf Sozialhilfe angewiesen, ist es heute mehr als jedes sechste, wie es heißt. Mittlerweile würden 14 Prozent aller Kinder offiziell als arm gelten.

Der gesellschaftliche Umbruch in Zeiten der Globalisierung könne und dürfe nicht "auf Kosten unserer Jüngsten gehen", warnte Krüger. Die Bundesregierung müsse daher ein Maßnahmenpaket mit konkreten Zielvorgaben erarbeiten und dabei sämtliche Politikfelder einbeziehen. So solle die "im Steuersystem verankerte Benachteiligung von Familienhaushalten mit Kindern" aufgehoben und das Kindergeld zu einer Kindergrundsicherung ausgebaut werden, forderte die Organisation.

Einkommenskluft vertieft sich

Laut Kinderreport-Mitautor Jürgen Borchert entsteht Kinderarmut systematisch dadurch, dass die Abgabenordnung das verfassungsrechtliche Prinzip der "Belastung nach Leistungsfähigkeit" für Kinder außer Kraft setze und auf diese Weise "Durchschnittsverdiener schon bei nur zwei Kindern unter das Existenzminimum" drücke. Um "Armutskarrieren" zu verhindern, müssten vor allem die Bildungschancen für Kinder unabhängig von ihrer Herkunft verbessert werden, erklärte das Kinderhilfswerk.

Schätzungsweise 5,9 Millionen Kinder lebten in Haushalten mit einem Jahreseinkommen der Eltern von bis zu 15.300 Euro - das seien rund ein Drittel aller kindergeldberechtigten Kinder. Der Bericht weist darauf hin, dass die "verheerenden Folgen der Familienverarmung für die Bildungsfähigkeit des Nachwuchses" unübersehbar seien.

Jedes dritte Kind habe bei seiner Einschulung 2004 therapiepflichtige Entwicklungsstörungen oder Verhaltensauffälligkeiten aufgewiesen. Jedes vierte Schulkind habe die Schule "ohne Beherrschung des Mindestmaßes an Kulturtechnik" verlassen - mit stark steigender Tendenz.

Der siebte Familienbericht von 2006 habe angegeben, dass die öffentlichen Ausgaben für Familien im EU-Durchschnitt einen Anteil vom Bruttoinlandsprodukt von 2,1 Prozent ausmachten. Dieser Wert liege für Deutschland bei unterdurchschnittlichen 1,9 Prozent. Der Report kommt zu dem Ergebnis: Statt die Einkommenskluft zwischen Personen mit und ohne Kindern zu verringern, mache die Politik das genaue Gegenteil. Deutschland betreibe einen in der Welt beispiellosen Raubbau an seinem Nachwuchs.

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