Italien hat nun also eine neue Regierung, nach Wochen der Wirren und Machtintrigen, nach verpufften Gewissheiten und jähen Stürzen. Das Gruppenfoto nach der Vereidigung zeigt ein Kabinett aus acht parteilosen Experten und 15 Politikern, fein austariert nach Stärke der Parteien - ein Meisterwerk politischer Ingenieurskunst.
Die Herrschaften haben auch schon ihre erste Sitzung abgehalten. Mario Draghi, der neue Premier, wird präventiv gefeiert. Glaubt man den Umfragen, ist das Vertrauen der Italiener in den früheren Vorsitzenden der Europäischen Zentralbank nun schon bei 80 Prozent angelangt, noch bevor er mit dem Regieren begonnen hat.
Doch die Begeisterung der Medien über die Besetzung von Draghis Kabinett hält sich in Grenzen. "Ganz ehrlich", schreibt etwa der Kommentator der Mailänder Zeitung Corriere della Sera, "als wir die Namen der Minister gehört haben und als wir sie nun defilieren sahen bei der Vereidigung, schlich sich eine Note der Enttäuschung ein."
Alte Ressentiments und chronische Opferhaltungen
Tatsächlich gibt es da eine Reihe objektiver Mängel. So ist der Norden des Landes stark übervertreten im neuen Kabinett: Von 23 Ministern kommen 18 aus Regionen nördlich der Toskana, aus der Lombardei allein stammen neun. Solche geografischen Dinge mögen in anderen Ländern eine Bagatelle sein, in Italien spielen in der Politik immer alte Ressentiments und chronische Opferhaltungen mit.
Völlig verzerrt ist auch die Geschlechterverteilung: Nur acht Frauen sitzen in der neuen Regierung. Das Durchschnittsalter der Minister? 54 Jahre - da klingt das Versprechen Draghis, er werde sein Handeln an den Bedürfnissen neuer Generationen orientieren, gleich etwas weniger hell. Kritisiert wird das Kabinett auch, weil viele altbekannte Politiker vertreten sind, Persönlichkeiten etwa, die schon in Regierungen von Silvio Berlusconi mitgemacht hatten. "Ripescati", sagen die Italiener, wörtlich: "Aufgefischte".
Doch viel Licht wird ihnen wahrscheinlich ohnehin nicht beschieden sein. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen drei parteilose Minister, die Draghi handverlesen hat: "Marios Trio", "Team Draghi", "Taskforce Zukunft" - so werden sie genannt. Auch in Brüssel wird man vor allem auf diese drei Figuren schauen, denn sie werden die 209 Milliarden Euro aus dem Recovery Fund der Europäischen Union verwalten. Und da der hoch verschuldete italienische Staat - seit Corona 160 Prozent des Bruttoinlandprodukts - immer im diffusen und zuweilen auch konkreten Verdacht steht, Subventionen nicht effizient einzusetzen, sie auch mal zu verschwenden, ist die Leistung von "Team Draghi" besonders exponiert.
Unermüdlicher Prediger der Nachhaltigkeit
Roberto Cingolani, Mailänder, 59 Jahre alt, Physiker, ist Italiens Minister für die ökologische Transition, ein neu geschaffenes Ressort. Bei Energiefragen darf er auch in anderen Ministerien mitreden, was ihm den Spitznamen eines Superministers einträgt. 37 Prozent der Zuschüsse und Kredite aus Brüssel sollen in diesen Wandel fließen. Cingolani, der 14 Jahre lang das von ihm mitbegründete Istituto Italiano di Tecnologia in Genua leitete, ist ein charismatischer Wissenschaftler, ein unermüdlicher Prediger der Nachhaltigkeit, bekannt dafür, dass er komplexe Materien unakademisch vermitteln kann. Eine seiner Maximen lautet: "Nur natürliche Dummheit fürchtet sich vor künstlicher Intelligenz."
Als Vittorio Colao, 59, aus Brescia, für die Vereidigung nach Rom kam, zog er seinen Rollkoffer hinter sich her in den Quirinalspalast. Colao lebt in London, er wird wohl pendeln. Man sagt von ihm, er sei der internationalste Manager Italiens. Zehn Jahre lang war er Konzernchef von Vodafone, dem britischen Telekomunternehmen. Davor hatte er bei der Investmentbank Morgan Stanley gearbeitet, bei der Beraterfirma McKinsey, bei Unilever und Verizon, ein paar Jahre auch beim Mailänder Zeitungs- und Buchverlag Rizzoli- Corriere della Sera. Colao soll als Minister für die digitale Transition und die technologische Innovation Italien und seinen Staatsapparat digitalisieren, da liegt das Land zurück: 5G, Breitbandinternet, Glasfasernetz.
Man verspricht sich davon mehr Wettbewerbsfähigkeit. Ein Fünftel der Mittel aus Brüssel ist für die Digitalisierung gedacht. Colao soll die Italiener auch dazu bringen, auf Bargeld zu verzichten, immer und bei jedem Betrag. "Ich würde die Limits bei null ansetzen", sagte er neulich. Eigentliches Ziel dabei ist die Bekämpfung der kolossalen Steuerhinterziehung - oft angepeilt, nie umgesetzt. Dem italienischen Staat entgehen so jedes Jahr mehr als hundert Milliarden Euro.
Der Schäuble Italiens
Daniele Franco, 68, aus Trichiana im Bellunese, ist Italiens neuer Wirtschafts- und Finanzminister. Er ist ein enger Vertrauter Draghis, dessen rechte Hand im Kabinett, sie haben sich bei der italienischen Zentralbank kennengelernt, der Banca d'Italia, einer Kaderschmiede der Republik. Zuletzt war er da Generaldirektor. Franco gilt als größter Experte der italienischen Staatsfinanzen, jede Position kenne er auswendig.
Bekannt wurde Franco als oberster Rechnungsprüfer des Staates, von 2013 bis 2019. Bei den Cinque Stelle, die gerne viel mehr Geld in die Hand genommen hätten für die Finanzierung des Bürgerlohns, als er ihnen zugestand, attackierte man ihn als Geizhals, als Sparvogt und mit Titeln, die nicht in die Zeitung gehören. Franco ist so etwas wie der Schäuble Italiens.
Nicht mehr dabei ist Giuseppe Conte, der gestürzte Premier. Eine Weile lang hatte es mal so ausgesehen, dass ihm Draghi vielleicht das Außenministerium reservieren könnte. Doch daraus wurde nichts. Als Conte den Regierungssitz verließ, bereiteten ihm die Mitarbeiter des Palazzo Chigi eine lange, außergewöhnliche Ovation. Der Rechtsanwalt, der im Juni 2018 völlig überraschend Premier geworden war, schaltete danach in den sozialen Medien einen Post: Er werde jetzt wieder ein "einfacher Bürger" sein. Ohne Amt, ohne Wahlmandat, ohne Parteizugehörigkeit. Vor ein paar Wochen, vor den Wirren und Intrigen im Palast, war er noch der populärste Politiker gewesen im ganzen Land.