Süddeutsche Zeitung

Doxing-Skandal:Und der Innenminister gibt sich entspannt

Der Diebstahl hunderter Daten von Politikern und Prominenten reiht sich in den Kontext rechter Einschüchterungsstrategien. Es ist gespenstisch, wie der Fall verharmlost und entpolitisiert wird.

Kolumne von Carolin Emcke

Na, das war doch erfreulich. War zwar eine kurze Aufregung gleich im neuen Jahr und, ja gut, ein paar Politikerinnen und Politiker und auch Prominente sind in ihrer Privatsphäre ausgespäht und beraubt worden. Aber so ein bisschen naiv waren die schon auch. Etwas mehr risikobewusstes Handeln sollte man erwarten können. Aber, hey, dafür haben die Ermittlungsbehörden mal gezeigt, was sie so draufhaben. Das darf an dieser Stelle auch, ganz ohne Anmaßung, aber doch mit ein wenig Stolz gesagt werden: Unsere Dienste können noch viel mehr als das, was dieser Bengel ihnen da abverlangt hat. Der Junge war auch richtig beeindruckt, als unsere Beamten bei ihm angerückt sind. Den hätten Sie mal sehen sollen. Geht ja auch noch zur Schule. Ihm gefiel nicht, was Politikerinnen und Politiker so öffentlich äußern. Aber, nee, ein dominant politisches Motiv hatte der nicht. Ja, gut, es fehlten Abgeordnete der AfD als Opfer, aber was soll sich daraus schon ableiten lassen? Leider, leider lassen sich die gestohlenen, intimen Daten nicht löschen und auch die Verbreitung der Daten lässt sich nicht gänzlich unterbinden. Aber ansonsten: keine Hinweise auf Beteiligung Dritter.

Das war in etwa die Tonlage, in der das Innenministerium und verschiedene Ermittlungsbehörden sich mühten, den seriellen Diebstahl und das Doxing von Daten von 1000 Personen zu bagatellisieren. Gewiss gibt es prinzipiell gute Gründe, unaufgeregt und sachlich über Kriminalität zu berichten. Und sicherlich ist es grundsätzlich vernünftig, sich nicht zu voreiligen Spekulationen hetzen zu lassen. Aber selbst für Menschen mit ausgeprägtem Vertrauen in Polizei und Sicherheitsbehörden war die selbstzufriedene Inszenierung eines fabelhaften Fahndungserfolgs, mit der jedwede Kritik wegsediert werden sollte, hanebüchen. Schließlich hatte "der" Hacker (ob er wirklich allein gehandelt hat, scheint inzwischen doch zweifelhaft zu sein) einen Monat lang ungestört seinen zynischen Adventskalender hochladen können - wo die Daten für alle einseh- und speicherbar waren, die damit Unheil anrichten wollen. Selbst für Menschen ohne Neigung zu Verschwörungstheorien war die bemühte Infantilisierung, mit welcher der vermeintliche Einzeltäter unbedingt verharmlost und entpolitisiert werden sollte, gespenstisch. Am Ende versetzte einen weniger die kriminelle Energie des Cyberhackers (und seiner mutmaßlichen Unterstützer) in Angst und Schrecken als die unbegründete Gelassenheit mancher in den Behörden.

Gelten islamophobe Parolen nun schon als unpolitischer Konsens?

Da gibt es einen 20-jährigen Mann, der laut Recherche verschiedener Medien in unterschiedlichen Foren mit Äußerungen wie "islam is dreck" und "So leute, jetzt wisst ihr wieso die NSDAP wiederkommen wird" auftaucht, der die Daten einer großen Anzahl Parlamentarier (ausgenommen der AfD) geleakt haben will, weil er "verärgert" war über deren Äußerungen - und dem wird ein "dominantes politisches Motiv" abgesprochen? Was ist dann ein politisches Motiv? Wie dominant müssen rassistische, revisionistische Ideen sein, damit jemand von den Ermittlern als rassistisch und revisionistisch eingestuft wird? Wird ein Bett bei den Eltern bereits als relativierender Faktor gewertet? Gelten islamophobe Parolen inzwischen als unpolitischer Konsens? Braucht es eine "Stirb, Jude, Stirb"-Tätowierung über dem Bauch, um als antisemitisch motiviert zu gelten oder ist auch das mittlerweile als Mode folklorisiert?

Das sind unironische Fragen. Eine voreilige Hermeneutik des Verdachts, die aus jedem unüberlegten Satz oder auch aus jedem kriminellen Akt eine terroristische Zugehörigkeit konstruiert, wäre auch nicht wünschenswert. Aber es ist grotesk, wie hier politische Motive von vornherein abmoderiert wurden, wie unnötigerweise jede ideologische oder logistische Verbindung in lokale oder internationale antidemokratische Milieus erst einmal bezweifelt wurde und man die Tat selbst, aber auch ihre Folgen privatisierte. Als gäbe es national oder international keine Akteure, die die so erbeuteten Informationen für ihre destabilisierenden Absichten instrumentalisieren könnten. Als gäbe es nicht den politischen Kontext rechter Einschüchterungsstrategien, in die dieses Daten-Leaking (von offenbar missliebigen Personen) sich reiht. Nun liegt inzwischen die Vermutung nahe, dass Johannes S. nicht über die technischen Mittel verfügt, um tatsächlich all die Daten allein ausgespäht zu haben. Wer immer ihm geholfen hat bei dem Raubzug durch private und intime Kommunikation - er oder sie zitieren und wiederholen eine im rechtsextremen Milieu übliche Praxis und speisen eben diese Szene mit Material.

Schon nach der Selbstenttarnung des NSU im Jahr 2011 entdeckten Ermittler Stadtpläne und Listen mit 10 000 Namen, die als "Feindeslisten" dienten. Bei einer Anti-Terror-Razzia im sogenannten Prepper-Milieu in Mecklenburg-Vorpommern im Jahr 2017 entdeckten Fahnder mehrere Listen mit Namen von bis zu 25 000 politischen Gegnern. Das Justizministerium antwortete auf eine parlamentarische Anfrage der Linken hin, der Zweck solcher Listen sei, die politischen Gegner im Krisenfall zu töten - jedoch stufte die "Gefährdungsanalyse" des BKA den Vorgang eher als harmlos ein. Eine ausdrückliche "Todesliste" mag keine Gefahr darstellen, wenn die, die sie angelegt haben, von den Behörden als inkompetent oder verpeilt eingeschätzt werden. Trotzdem dürfte es für die 25 000 Menschen, die darauf stehen, wichtig sein, zumindest informiert zu werden.

Es sind nicht allein Prominente, nicht allein Bundestagsabgeordnete, die von verschiedensten Gruppierungen auf unterschiedlichen obskuren Listen als "Feinde" ausgemacht werden. Zu denen, die eingeschüchtert werden sollen, gehören auch weniger geschützte Personen: Buchhändler, die sich mit Lesungen gegen Hass und Gewalt wenden, oder Pastorinnen, die in ihren Gemeindehäusern auch Geflüchtete betreuen; zu denen, deren Namen und Adressen geleakt werden, gehören Menschen, die als "zu judenfreundlich" klassifiziert werden oder gleich nur als "homo". Manche von ihnen erhalten regelmäßig Drohbriefe, manchen wird das Auto angezündet oder die Scheibe eingeschlagen, manche sind davon bislang verschont, aber wissen sich beobachtet und verachtet. Für sie alle ist die gemütliche Entspanntheit des Bundesinnenministers blanker Hohn.

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Quelle:
SZ vom 19.01.2019/kjan
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