Doppelte Staatsbürgerschaft:Das bedeutet Deutsch-Türken der Doppelpass

Erdogan Großkundgebung anlässlich des gescheiterten Putschversuchs in der Türkei mit ca 20 000 Erdo

Auf der Pro-Erdoğan-Großkundgebung Ende Juli in Köln: Ein Doppelpass führt nicht automatisch zu mehr Integration - er behindert diese jedoch auch nicht.

(Foto: imago/Future Image)

Die doppelte Staatsbürgerschaft untergrabe die Loyalität zu Deutschland, behaupten nicht nur Unionspolitiker seit den Pro-Erdoğan-Demos. Was sagen Türkeistämmige dazu?

Von Deniz Aykanat

Zehntausende Türkeistämmige jubeln Ende Juli in Köln dem türkischen Präsidenten Erdoğan zu, sie freuen sich über den verhinderten Putsch und schwenken rot-weiße Fahnen. Seit diesem Tag ist sie wieder da: die Loyalitätsfrage. Kann jemand dem autoritär herrschenden Präsidenten eines anderen Landes zujubeln und gleichzeitig der deutschen Demokratie treu verbunden sein? Ja, kann diese Person überhaupt noch Deutscher sein?

Im gleichen Atemzug wird einmal mehr die doppelte Staatsangehörigkeit in Frage gestellt. Politiker vor allem aus der Union sehen im Doppelpass einen Fehler, ein Integrationshindernis, wie CDU-Politiker Jens Spahn kürzlich in der Talk-Sendung "Hart aber fair" sagte. Hat ein Mensch zwei Staatsbürgerschaften, führe das zu einer "gespaltenen Loyalität". Als Beispiel führte Spahn die Erdoğan-Demo in Köln an.

"Heimat oder Herkunft? Entschieden für beides"

Bei ihrer Einführung 2002 gilt die doppelte Staatsbürgerschaft als Königsweg zu einer gelungenen Integration. Die Bundesregierung wirbt mit dem Slogan "Ein Leben. Zwei Pässe": "Heimat oder Herkunft? Entschieden für beides", heißt es in der Kampagne. War das ein Trugschluss? Haben wir uns geirrt, wie Spiegel-Kolumnist Jakob Augstein glaubt?

"Für mich hat ein Pass nichts mit Loyalität zu tun", sagt Ateş Gürpınar. Der 31-Jährige bekam bei seiner Geburt automatisch den deutschen Pass, seine Mutter ist Deutsche. Der türkische Vater beantragte später für die Kinder zusätzlich die türkische Staatsbürgerschaft. Seitdem ist Gürpınar einer von geschätzt 500 000 Menschen, die sowohl die türkische als auch die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. (Dieser Zahl liegt der Zensus 2011 zugrunde. Andere Quellen, wie etwa der Mikrozensus 2014, gehen von mindestens 200 000 aus. Lesen Sie hier, warum genaue Zahlen so schwer zu ermitteln sind)

Bis Menschen wie Ateş Gürpınar zu "Doppelstaatlern" werden konnten, war es ein langer Weg. Die rot-grüne Regierung beschloss 2002, dass in Deutschland geborene Kinder von Einwanderern neben der Staatsbürgerschaft ihrer Eltern auch die deutsche erhalten. Allerdings zunächst nur auf Zeit. Zwischen dem 18. und dem 23. Geburtstag mussten sich diese Kinder entscheiden, welchen der beiden Pässe sie behalten wollen. 2014 fiel diese sogenannte Optionspflicht weg. Seither können die Kinder von Einwanderern beide Pässe behalten, wenn sie bei Vollendung des 21. Lebensjahres acht Jahre in Deutschland gelebt oder sechs Jahre lang eine Schule besucht haben.

Integration ist eine beiderseitige Sache

Gürpınar sieht einen deutschen Pass als Chance, nicht mehr, nicht weniger. "Integration beginnt und endet nicht beim deutschen Pass", sagt er. "Das ist eine beiderseitige Sache. Du musst aufgenommen werden in der Gesellschaft. Ebenso muss sich eine Community, also die Türkeistämmigen, der Gesellschaft öffnen. Aber diese Vermischung wird von keiner der beiden Seiten vorangetrieben."

Ohnehin verhindern seine beiden Pässe nicht, dass die Leute in Gürpınar das sehen, was sie sehen wollen. Wenn er in Deutschland gefragt werde, wo er herkomme, dann wolle niemand Darmstadt hören, dabei ist er dort geboren. Im Ausland wird er wiederum häufig auf die deutsche Geschichte und den Faschismus angesprochen. "Ein Pass", sagt Gürpınar, "bedeutet für mich vor allem Verantwortung. Man muss sich dann auch mit der Kultur, der Politik des Landes auseinandersetzen."

Die Diskussion, die seit dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei in Deutschland losgetreten wurde, geht an der eigentlichen Frage vorbei, findet Gürpınar: Die laute nämlich: Wie steht man zu Erdoğan und seiner Regierung? Und diese Frage habe nichts mit dem Pass zu tun.

Die Kritiker des Doppelpasses sehen das anders. Wer für Erdoğan sei, der könne Deutschland gegenüber nicht loyal sein, finden sie. Und wer für Erdoğan sei, der sei nicht integriert, weil ihn sein türkischer Pass daran hindere.

Wie loyal ist Deutschland gegenüber den hier lebenden Türkeistämmigen?

Forscher der Universität Münster kommen zu einem anderen Ergebnis. 1200 Zuwanderer aus der Türkei und ihre Nachkommen haben sie befragt, und festgestellt, dass Angehörige der zweiten und dritten Generation wie Gürpınar in vielerlei Hinsicht besser integriert sind. Das zeigten Zuwächse bei Schulabschlüssen, Deutschkenntnissen und Kontakten zu Deutschen. Genau in diesen beiden Generationen gibt es die meisten Doppelpässe.

Erkan Dinar hat nur noch einen Pass: den deutschen. Seinen türkischen gab er mit 18 Jahren ab. "Ich wollte das einfach durchziehen", sagt er, "mein Lebensmittelpunkt war und ist in Deutschland. Dann stellt keiner mehr Fragen." Ende der Neunziger war das, als der CDU-Politiker Roland Koch in Hessen mit der Unterschriftenaktion "Ja zur Integration, Nein zur doppelten Staatsangehörigkeit" Wahlkampf machte. "Die Leute liefen herum und fragten: Wo kann ich gegen Ausländer unterschreiben?", sagt Dinar. Heute fühlt er sich an diese Zeit erinnert.

Deutschtürken müssen sich immer zu türkischen Themen erklären

Auch ohne türkische Staatsbürgerschaft wird er auf die Situation in der Türkei angesprochen. Er soll, er muss sich erklären, vor allem jetzt nach dem Putschversuch. Wie steht er zu Erdoğan? Und was hält er von dem Umsturzversuch? Er findet diese Fragen legitim. So wie Ateş Gürpınar in seinem türkischen Pass kein Integrationshindernis sieht, sieht Erkan Dinar in seinem deutschen keine Integrationsgarantie. "Es gibt Menschen, die leben seit 20 oder 30 Jahren hier, haben einen deutschen Pass und können immer noch kein Deutsch. Es gibt keinen Zusammenhang, keinen Automatismus."

Dinar ist dankbar, dass sich seine Eltern dafür entschieden, in Deutschland zu leben. Den Wunsch nach einer doppelten Staatsbürgerschaft kann er trotzdem verstehen. "Man wächst eben zwischen zwei Kulturen auf. Und Deutschland macht es einem manchmal auch nicht leicht. Einen Job, eine Wohnung hier zu finden mit einem türkischen Namen, ist immer noch sehr schwierig", sagt Dinar.

Ein großer Teil der Türkeistämmigen fühlt sich in Deutschland nicht angenommen - auch das fanden die Forscher aus Münster heraus. Will man also die Diskussion um Integration an der Loyalität festmachen, so stellt sich gleichzeitig die Frage: Wie loyal ist der deutsche Staat eigentlich gegenüber den hier lebenden Türkeistämmigen?

Bessere berufliche Chancen durch einen zweiten Pass

Für Emre Altınbaş hat Staatsbürgerschaft vor allem eine praktische Komponente. Der 27-Jährige ist in München geboren und bekam als Sohn türkischer Eltern automatisch die türkische Staatsbürgerschaft. Er spielte oft mit dem Gedanken, den deutschen Pass zu beantragen. "Aber es war für mich nicht drängend. Was auf einem Stück Papier steht, entscheidet nicht darüber, wer ich bin." Auch mit der deutschen Staatsbürgerschaft würde er sich immer noch als Türke fühlen. "Und gleichzeitig fühle ich mich mit meinem türkischen Pass auch als Deutscher."

Altınbaş bedauert es aber, den deutschen Pass nicht schon während seines Politikstudiums beantragt zu haben. "Jetzt bin ich fertig und suche noch nach einem Job. Als Arbeitsloser kann ich aber die deutsche Staatsbürgerschaft nicht beantragen." Altınbaş macht seine künftige Staatsbürgerschaft davon abhängig, wo er eine berufliche Zukunft hat. "Ich würde gerne in Deutschland im Staatsdienst arbeiten. Ich kann mir das aber genauso auch in der Türkei vorstellen." Für ihn wäre ein Doppelpass ideal, sagt Altınbaş.

Gürpınar sieht seine beiden Pässe als Chance. Dinar wollte Klarheit schaffen. Für Altınbaş entscheiden die Jobaussichten. Integration, das glauben sie alle, kann trotz eines deutschen Passes scheitern. Und trotz eines türkischen Passes gelingen.

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