Doppelmord in Moskau:Die gefährliche Arbeit russischer Anwälte

Hoffnungslose Lage: Nach den Morden in Moskau klagen Juristen über staatliche Repressionen und fürchten um ihre Kollegen.

Sonja Zekri

Wenn Karina Moskalenko Angst hat, dann nicht um sich selbst. Dabei sah es einmal schon so aus, als hätte es sie selbst erwischt.

Beerdigung von Markelow in Moskau; Reuters

"Eine öffentliche Hinrichtung": Freunde und Bekannte trauern um Stanislaw Markelow.

(Foto: Foto: Reuters)

Kurz vor dem Prozessbeginn wegen des Mordes an Anna Politkowskaja kam die Meldung aus Straßburg, dass Moskalenko, Anwältin der Familie der ermordeten Journalistin, mit Quecksilber vergiftet worden sei. Es hätte niemanden erstaunt - Tschetschenien, Russlands Ruf, die internationale Aufmerksamkeit, das war keine gute Mischung.

Am Ende stellte sich heraus, dass das Quecksilber nicht ihr galt. Davor wollte man ihr als Verteidigerin von Ex-Yukos-Chef Michail Chodorkowskij die Zulassung nehmen. "Das war ein absurder Versuch, uns einzuschüchtern und den Ruf der Anwälte in den Schmutz zu ziehen", sagt Moskalenko in der Prozesspause im Politkowskaja-Verfahren.

Tod in einer gefährdeten Zunft

Der Fall wird im Militärgericht an Moskaus Kitschmeile Arbat verhandelt, es ist eine Justiz-Farce mit gegängelten Geschworenen und mäßigem Aufklärungswillen. Und derzeit wird er überschattet vom Doppelmord an Moskalenkos Kollege Stanislaw Markelow und seiner Begleiterin, der Journalistin Anastasija Baburowa. Am Montag wurden beide erschossen, am Freitag ist Markelow auf dem Friedhof in Ostankino im Norden Moskaus beigesetzt worden.

In millionenschweren Geschäftsverfahren gab es schon früher Anschläge auf Juristen und Morde. Und politisch motivierte Prozesse konnten den Verteidigern immer zum Verhängnis werden, etwa den Yukos-Anwälten wie Swetlana Bachmina, die vor kurzem im Gefängnis ein Kind zur Welt brachte.

Aber der Mord an Markelow hat den Tod in eine Zunft gebracht, die sonst die Schuld am Sterben anderer verhandelt. Trotzdem sagt Moskalenko: "Früher hab' ich mir Gedanken gemacht. Das ist vorbei." Heute fürchtet sie um jene jungen Anwälte, die mit ihr Tschetschenen vor dem Straßburger Menschenrechtsgerichtshof verteidigen. "Wir gewinnen jedes Jahr mehr Fälle", sagt sie, "2007 waren es 14, aber allein in diesem Jahr 28. Natürlich reizt das die russische Führung."

Und deshalb, so Moskalenko, trägt diese Mitschuld am Tod Markelows: "Sie tut, als wäre einer wie Markelow ein Feind des Staates und des russischen Volkes, und irgendein Radikaler greift dann zur Waffe. Wir Anwälte wären so leicht zu schützen: Man bräuchte nur eine normale Gesellschaft."

Aber Russland ist kein Rechtsstaat. Allein das Niveau der Ermittlungen, sagt Jurij Kostanow, liege noch unter jenem aus Sowjetjahren. "Natürlich gab es damals Rechtlosigkeit, sogar jede Menge. Aber ich habe als Staatsanwalt wegen Mangels an Beweisen die Freilassung eines Angeklagten durchsetzen können, der erschossen werden sollte", sagt er: "Heute ist Gesetzlosigkeit die Regel."

Russlands Recht wird härter

Kostanow war 25 Jahre Staatsanwalt und arbeitet seit 15 Jahren als Anwalt, er gehört zum Rat Unabhängiger Juristen; die Ermittlungen im Fall Markelow und Baburowa findet er haarsträubend. Am Tag nach dem Doppelmord habe ein Passant eine Patronenhülse gefunden. "Danach hat das Ermittlungskomitee der Staatsanwaltschaft eine neue Spurensicherung durchgeführt. Ja, was haben sie denn bei der ersten gemacht?", fragt er.

Die Ermittlungen in Kriminalfällen führten heute die Sicherheitsdienste durch, und deren Methode sei einfach: "Sie greifen sich den Erstbesten und schlagen ihn mit dem Kopf gegen die Wand, bis er gesteht." Der russische Präsident Dmitrij Medwedjew ist Jurist, wie Ministerpräsident Wladimir Putin, und beschwört den Rechtsstaat in jeder Rede. Ausgerechnet er aber hat ein Gesetz unterzeichnet, das die Zuständigkeit von Geschworenenprozessen einschränkt, die nun nicht mehr über Fälle von Terrorismus oder Umsturzversuchen entscheiden dürfen.

Seit zehn Jahren, sagt Kostanow, werde das russische Recht härter. "Medwedjews Justizreform hat dazu geführt, dass die Richter sich neuerdings mit einer Aura der Unabhängigkeit umgeben. Für unsere geknechteten Richter ist das paradiesisch. Aber das ist auch alles."

99 Prozent aller Strafverfahren in Russland enden mit einem Schuldspruch. Die Tätigkeit als Anwalt sei "eigentlich hoffnungslos", sagt Kostunow. Jungen Leuten, die Juristen werden wollen, rät er ab. Sich selbst sieht er manchmal als Feigenblatt zur Kaschierung eines Unrechtsstaates. Andererseits: "Ein Arzt gibt einen hoffnungslosen Fall auch nicht auf."

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