Süddeutsche Zeitung

Doppelanschlag auf U-Bahn:Blutiger Terror in Moskau

Sie zündeten ihre Sprengsätze im Berufsverkehr: Zwei Selbstmordattentäterinnen haben sich an zwei Haltestellen der Moskauer U-Bahn in die Luft gesprengt. Sie gehören vermutlich zu einer islamistischen Separatistenbewegung.

Bei zwei Selbstmordattentaten in der Moskauer U-Bahn sind am Montagmorgen Dutzende Menschen getötet worden. Zuerst ereignete sich eine Explosion in der Station Lubjanka mitten in der Innenstadt. Unmittelbar über der Haltestelle Lubjanka liegt das Hauptquartier des russischen Inlandsgeheimdiensts FSB. Nur wenig später gab es eine weitere Detonation an der Haltestelle Park Kultury. Inzwischen haben Sicherheitskräfte an dieser Haltestelle eine weitere scharfe Sprengladung entdeckt: Ein nicht detonierter Sprengstoffgürteil sei entschärft worden, meldete die Staatsagentur Ria Nowosti.

Die Explosionen ereigneten sich mitten im Berufsverkehr. Die Moskauer Metro wird täglich von etwa sieben Millionen Menschen genutzt. Passagiere rannten nach den Detonationen weinend und in Panik aus den Bahnhöfen auf die Straßen. "So leben wir!", rief ein aufgelöster Mann immer wieder.

Die Sprengstoffanschläge hatten eine Wucht von drei beziehungsweise 1,5 Kilogramm TNT und erfolgten im Abstand von weniger als einer Stunde: der erste um 7:56 Uhr Ortszeit (5:56 Uhr MESZ), der zweite 44 Minuten später. Das russische Zivilschutzministerium sprach von 38 Toten und Dutzenden Verletzen.

Zwei Attentäterinnen mit Sprengstoffgürteln

Nach ersten Ermittlungen sind die Explosionen auf Selbstmordanschläge zurückzuführen. Der Moskauer Bürgermeister Jurij Luschkow sagte, zwei Attentäterinnen hätten sich in die Luft gesprengt. Nach Angaben des leitenden Staatsanwalts Jurij Sjomin trugen die beiden Frauen Sprengstoffgürtel.

Die zweite Selbstmordattentäterin habe einen Gürtel mit Plastiksprengstoff gezündet, als sich die Türen des Zuges an der Haltestelle Park Kultury öffneten, sagte Wladimir Markin, ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Auch die erste Attentäterin habe sich in einem vollbesetzten Zug in die Luft gesprengt.

Es wird vermutet, dass es sich bei den Attentäterinnen um sogenannte "Schwarze Witwen" handeln könnte. Die Frauen agieren im Auftrag von extremistischen Bewegungen und sind in der Regel schwarz gekleidet. Schwarzen Witwen haben seit dem russischen Einmarsch in die Kaukasusrepublik Tschetschenien 1999 bereits mehrere schwere Anschläge verübt.

Der russische Präsident Dmitrij Medwedjew kündigte nach den erneuten Anschlägen auf das Moskauer U-Bahnnetz an, Russland werde den Kampf gegen den Terrorismus "ohne Zögern und bis zum Ende" fortführen. Bei einer Krisensitzung in Moskau sagte er: "Wir werden unsere Operationen gegen die Terroristen ohne Kompromisse und bis zum Ende führen."

Regierungschef Wladimir Putin drohte den mutmaßlichen Hintermännern mit dem Tod. Die "Terroristen" würden "gefangen und vernichtet", sagte Putin laut russischen Nachrichtenagenturen.

Medwedjew forderte, die Wachsamkeit überall im Land zu erhöhen. Offenbar seien die bisherigen Vorkehrungen unzureichend gewesen, sagte der Kremlchef weiter. Auf allen Transportstrecken und auf den Flughäfen der russischen Hauptstadt wurden die Einsatzkräfte am Montag in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt.

In der Vergangenheit hatte die russische Staatsführung Terroranschläge im Land immer wieder als Begründung für eine härtere Politik herangezogen.

Die EU sicherte Russland nach den Anschlägen Unterstützung zu. "Die EU steht entschlossen den russischen Behörden bei deren Bemühungen zur Seite, Terrorismus in jeglicher Form zu begegnen", erklärte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso in Brüssel laut seiner Sprecherin. "Wir können es nicht erlauben, dass Gewalt gegenüber Freiheit und Demokratie die Oberhand gewinnt", erklärte Barroso. Er habe dem russischen Präsidenten Dmitrij Medwedjew und Regierungschef Wladimir Putin seine Solidarität versichert.

Zuletzt hatten islamistische Terroristen aus der Konfliktregion im Nordkaukasus immer wieder damit gedroht, im ganzen Land Anschläge zu verüben. Nach Angaben von Ermittlern tragen die Anschläge auf die Metro die Handschrift der Islamisten.

Es waren die ersten Anschläge im Moskauer Nahverkehr seit sechs Jahren. Zuletzt sprengte sich 2004 ein Selbstmordattentäter in der U-Bahn in die Luft und riss 41 Fahrgäste mit in den Tod. 250 Menschen wurden verletzt. Bei dem Täter handelte es sich damals um einen Untergrundkämpfer aus dem Nordkaukasus.

Racheakt islamistischer Separatisten?

Im November vergangenen Jahres kamen bei einem Anschlag auf den Schnellzug Newski Express zwischen Moskau und St. Petersburg 26 Menschen ums Leben. Etwa 100 weitere wurden verletzt. Tage später bekannten sich islamistische Extremisten zu der Tat und kündigten einen "Sabotagekrieg" gegen die "blutige Besatzungspolitik" der russischen Regierung im Kaukasus an.

Experten in Moskau vermuten, dass es sich bei dem neuen Anschlag um einen Racheakt islamistischer Separatisten handeln könnte. Diese kämpfen für ein von Moskau unabhängiges Kaukasus-Emirat. Russische Sicherheitskräfte hatten in der Konfliktregion, in der auch das frühere Kriegsgebiet Tschetschenien liegt, zuletzt Dutzende Rebellen getötet.

Die Einsätze gegen die Untergrundkämpfer werden maßgeblich auch vom Geheimdienst FSB gesteuert. Der russische Präsident Dmitrij Medwedjew hatte angesichts einer Vielzahl von Anschlägen in den vergangenen Jahren eine verstärkte "Jagd" auf die Banditen, wie sie offiziell genannt werden, gefordert.

Unterdessen äußerte sich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erschüttert über die Anschläge auf die Moskauer U-Bahn. "Das ist ein schreckliches Ereignis", sagte sie am Montag am Rande ihrer Türkei-Reise in Ankara. Sie habe dem russischen Präsidenten Dmitrij Medwedjew ihr tiefes Bedauern übermittelt und hoffe, dass die Anschläge mit mehreren Dutzend Toten schnell aufgeklärt werden können.

Die Verbrechen seien ein Rückschlag für die russischen Bemühungen um Sicherheit, sagte Merkel. "Es ist erschütternd, dass solche Anschläge mitten in Moskau möglich waren."

Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) sagte, es gebe aktuell keine Hinweise auf deutsche Opfer. "Ich gehe zur Stunde davon aus, dass keine Deutschen unter den Opfern sind", sagte Westerwelle in Berlin. "Diese Anschläge in Moskau sind verabscheuungswürdig und durch nichts zu rechtfertigen", so der Minister.

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apn/dpa/AFP/Reuters/jobr/kat/vbe
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