Süddeutsche Zeitung

Krieg in der Ukraine:Geplante Referenden über Beitritt zu Russland

In den von Separatisten kontrollierten Gebieten im Osten der Ukraine sollen schnell Volksabstimmungen abgehalten werden. Der türkische Präsident Erdoğan fordert in New York die Rückgabe aller besetzten Regionen.

Von Daniel Brössler, Nicolas Freund und Cathrin Kahlweit, München, New York

In den von Russland besetzten Separatistengebieten Donezk und Luhansk im Osten der Ukraine sollen von 23. bis 27. September Referenden über eine Eingliederung in die russische Föderation abgehalten werden. Das meldeten unter anderem russische Nachrichtenagenturen. Auch die Regionen Cherson und Saporischschja sollen eine solche Abstimmung planen. Moskau hatte unter anderem die "Befreiung" der Gebiete Luhansk und Donezk als Grund für den Angriff auf die Ukraine genannt.

Dmitrij Medwedjew, der ehemalige russische Präsident und derzeitige Vorsitzende des russischen Sicherheitsrates, schrieb am Dienstag auf seinem Telegram-Kanal, es gehe bei den Referenden um den "systematischen Schutz der Bewohner" sowie "die Wiederherstellung der historischen Gerechtigkeit". Und: "Nach ihrer Durchführung und der Aufnahme der neuen Territorien in den Bestand Russlands nimmt die geopolitische Transformation in der Welt unumkehrbaren Charakter an."

Die von Moskau und den Separatisten seit Monaten geplanten Abstimmungen waren wegen der erwarteten Gegenangriffe der ukrainischen Armee zuletzt auf Anfang November verlegt worden. Genau wegen dieser nun überraschend erfolgreichen ukrainischen Gegenoffensive sollen die Referenden nun doch so schnell wie möglich abgehalten werden. Denn wie Medwedjew schreibt, könnten weitere Rückeroberungen der ukrainischen Streitkräfte in diesen Gebieten dann als Angriff auf Russland dargestellt werden. Ein solcher Angriff würde es erlauben, "alle Kräfte der Selbstverteidigung einzusetzen", so Medwedjew.

Allerdings wertete Moskau die ukrainischen Angriffe auf militärische Einrichtungen auf der Halbinsel Krim im August nicht als Angriffe auf das eigene Territorium. Russland hatte die Krim 2014 mit einem ähnlichen Referendum annektiert, wie sie nun im Osten der Ukraine geplant sind. Wie die Abstimmungen dort ablaufen sollen, ist unklar. Nach jüngsten Meldungen ist nicht mehr das gesamte Gebiet der Regionen Luhansk und Cherson unter Kontrolle der russischen Besatzer.

Kanzler Scholz kritisierte die geplanten Abstimmungen als Scheinreferenden

Scharfe Kritik äußerte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) an den Plänen. Es sei "ganz, ganz klar, dass diese Scheinreferenden nicht akzeptiert werden können", sagte Scholz am Rand der UN-Generalversammlung in New York. Sie seien nicht gedeckt vom Völkerrecht. "Das ist nichts als der Versuch einer imperialistischen Aggression, die dadurch verbrämt werden soll", kritisierte er. Auch die USA verurteilten die angekündigten Referenden. "Wir werden dieses Gebiet niemals als etwas anderes als einen Teil der Ukraine anerkennen", sagte der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, in Washington am Dienstag. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell drohte Moskau sogar mit weiteren Sanktionsmaßnahmen. Russland und alle, die an den Abstimmungen beteiligt seien, müssten zur Rechenschaft gezogen werden, schrieb Borrell in einer Mitteilung.

Scholz wollte in der Nacht zu Mittwoch deutscher Zeit seine erste Rede vor der Generalversammlung halten. Erwartet wurde, dass der Kanzler scharfe Kritik am russischen Angriffskrieg üben würde. In New York traf er mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zusammen. Dieser forderte die Rückgabe aller von Russland besetzten Gebiete an die Ukraine. "Wenn in der Ukraine ein Frieden hergestellt werden soll, wird natürlich die Rückgabe des besetzten Landes wirklich wichtig. Das wird erwartet", sagte Erdoğan dem US-Sender PBS. Auch die von Russland annektierte Halbinsel Krim müsse an die Ukraine zurückgegeben werden. Erdoğan hat sich bislang stets um gute Kontakte sowohl nach Moskau als auch nach Kiew bemüht und sich westlichen Sanktionen gegen Russland nicht angeschlossen.

Der Gouverneur der Region Luhansk, Serhij Hajdaj, sagte bei einer Online-Pressekonferenz, es sei klar, dass der Kreml nun Fakten schaffen wolle, weil die ukrainische Armee immer weiter vorrücke. Ein manipuliertes, völkerrechtswidriges Referendum werde die Rückeroberung jedes Zentimeters ukrainischen Gebiets aber nicht aufhalten. Der Stabschef des ukrainischen Präsidenten, Andrij Jermak, sagte: "So sieht die Furcht vor der Niederlage aus."

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